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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Erstes Kapitel. §. 111.

Das soll er auch nicht, meint die neueste Kritik, son-
dern auf Rechnung der Referenten soll es kommen, ver-
schiedene, nicht zusammengehörige Aussprüche Jesu nicht
in der besten Ordnung aneinandergefügt zu haben. Mat-
thäus freilich, räumt Schulz ein, stelle sich diese Reden
als in Einem Zuge gesprochen vor, und nur Willkühr oder
Gewalt könne sie in dieser Hinsicht auseinanderreissen:
schwerlich aber habe Jesus selbst sie in diesem Zusammen-
hang und mit diesem Totalgepräge vorgetragen 15). Die
verschiedenen Momente seiner Zukunft, meint Sieffert,
seine unsichtbare Parusie zur Zerstörung Jerusalems, und
seine eigentliche am Ende der Dinge, möge Jesus zwar
nicht ausdrücklich gesondert haben, doch habe er sie si-
cher auch nicht positiv verbunden, sondern, was er still-
schweigend aneinanderreihte, das sei den Evangelisten der
Dunkelheit des Gegenstandes wegen in einander verflossen.
Und indem hier zwischen Matthäus und Lukas die Diffe-
renz wiederkehrt, dass, was Matthäus in Einem Zusam-
menhang gesprochen sein lässt, bei Lukas an verschiedene
Stellen vertheilt ist, wozu noch kommt, dass er manches
von Matthäus Mitgetheilte theils gar nicht, theils anders
giebt: so glaubte sich Schleiermacher 17) berechtigt, die
Composition des Matthäus geradezu aus Lukas zu rectifi-
eiren und zu behaupten, während bei Lukas die zwei ge-
trennten Reden, 17, 22 ff. und 21, 5 ff., jede ihren guten
Zusammenhang und ihre unzweifelhafte Beziehung haben,
sei bei Matthäus (Kap. 24. und 25.) durch Vermengung
jener beiden Vorträge und Hinzufügung anderweitiger Re-
destücke sowohl der Zusammenhang verdorben, als die Be-
ziehung verdunkelt worden. Soll nun aber in der Rede
Luc. 21. für sich genommen nichts sein, was über die Be-
16)

15) Über das Abendmahl, S. 315 f.
17) Über den Lukas, S. 215 ff. 265 ff.
16) Über den Ursprung des ersten kanon. Evang. S. 119 ff.
Das Leben Jesu II. Band. 23
Erstes Kapitel. §. 111.

Das soll er auch nicht, meint die neueste Kritik, son-
dern auf Rechnung der Referenten soll es kommen, ver-
schiedene, nicht zusammengehörige Aussprüche Jesu nicht
in der besten Ordnung aneinandergefügt zu haben. Mat-
thäus freilich, räumt Schulz ein, stelle sich diese Reden
als in Einem Zuge gesprochen vor, und nur Willkühr oder
Gewalt könne sie in dieser Hinsicht auseinanderreissen:
schwerlich aber habe Jesus selbst sie in diesem Zusammen-
hang und mit diesem Totalgepräge vorgetragen 15). Die
verschiedenen Momente seiner Zukunft, meint Sieffert,
seine unsichtbare Parusie zur Zerstörung Jerusalems, und
seine eigentliche am Ende der Dinge, möge Jesus zwar
nicht ausdrücklich gesondert haben, doch habe er sie si-
cher auch nicht positiv verbunden, sondern, was er still-
schweigend aneinanderreihte, das sei den Evangelisten der
Dunkelheit des Gegenstandes wegen in einander verflossen.
Und indem hier zwischen Matthäus und Lukas die Diffe-
renz wiederkehrt, daſs, was Matthäus in Einem Zusam-
menhang gesprochen sein läſst, bei Lukas an verschiedene
Stellen vertheilt ist, wozu noch kommt, daſs er manches
von Matthäus Mitgetheilte theils gar nicht, theils anders
giebt: so glaubte sich Schleiermacher 17) berechtigt, die
Composition des Matthäus geradezu aus Lukas zu rectifi-
eiren und zu behaupten, während bei Lukas die zwei ge-
trennten Reden, 17, 22 ff. und 21, 5 ff., jede ihren guten
Zusammenhang und ihre unzweifelhafte Beziehung haben,
sei bei Matthäus (Kap. 24. und 25.) durch Vermengung
jener beiden Vorträge und Hinzufügung anderweitiger Re-
destücke sowohl der Zusammenhang verdorben, als die Be-
ziehung verdunkelt worden. Soll nun aber in der Rede
Luc. 21. für sich genommen nichts sein, was über die Be-
16)

15) Über das Abendmahl, S. 315 f.
17) Über den Lukas, S. 215 ff. 265 ff.
16) Über den Ursprung des ersten kanon. Evang. S. 119 ff.
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[353/0372] Erstes Kapitel. §. 111. Das soll er auch nicht, meint die neueste Kritik, son- dern auf Rechnung der Referenten soll es kommen, ver- schiedene, nicht zusammengehörige Aussprüche Jesu nicht in der besten Ordnung aneinandergefügt zu haben. Mat- thäus freilich, räumt Schulz ein, stelle sich diese Reden als in Einem Zuge gesprochen vor, und nur Willkühr oder Gewalt könne sie in dieser Hinsicht auseinanderreissen: schwerlich aber habe Jesus selbst sie in diesem Zusammen- hang und mit diesem Totalgepräge vorgetragen 15). Die verschiedenen Momente seiner Zukunft, meint Sieffert, seine unsichtbare Parusie zur Zerstörung Jerusalems, und seine eigentliche am Ende der Dinge, möge Jesus zwar nicht ausdrücklich gesondert haben, doch habe er sie si- cher auch nicht positiv verbunden, sondern, was er still- schweigend aneinanderreihte, das sei den Evangelisten der Dunkelheit des Gegenstandes wegen in einander verflossen. Und indem hier zwischen Matthäus und Lukas die Diffe- renz wiederkehrt, daſs, was Matthäus in Einem Zusam- menhang gesprochen sein läſst, bei Lukas an verschiedene Stellen vertheilt ist, wozu noch kommt, daſs er manches von Matthäus Mitgetheilte theils gar nicht, theils anders giebt: so glaubte sich Schleiermacher 17) berechtigt, die Composition des Matthäus geradezu aus Lukas zu rectifi- eiren und zu behaupten, während bei Lukas die zwei ge- trennten Reden, 17, 22 ff. und 21, 5 ff., jede ihren guten Zusammenhang und ihre unzweifelhafte Beziehung haben, sei bei Matthäus (Kap. 24. und 25.) durch Vermengung jener beiden Vorträge und Hinzufügung anderweitiger Re- destücke sowohl der Zusammenhang verdorben, als die Be- ziehung verdunkelt worden. Soll nun aber in der Rede Luc. 21. für sich genommen nichts sein, was über die Be- 16) 15) Über das Abendmahl, S. 315 f. 17) Über den Lukas, S. 215 ff. 265 ff. 16) Über den Ursprung des ersten kanon. Evang. S. 119 ff. Das Leben Jesu II. Band. 23

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/372>, abgerufen am 22.11.2024.