Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.Erstes Kapitel. §. 111. men für unmöglich erkläre, so könne er nicht unmittelbarvorher eine solche Bestimmung gegeben haben durch die Versicherung, dass seine Zeitgenossen noch Alles erleben würden. Indess diese angebliche Nöthigung, das genea so zu deuten, ist längst aus dem Wege geschafft durch die Unterscheidung zwischen der ungefähren Bezeichnung des Zeitraums, über den das fragliche Ereigniss nicht hinaus- fallen werde (genea), welche Jesus giebt, und der genau en Bestimmung des Zeitpunkts (emera kai ora), in welchem es eintreten werde, die er nicht geben zu können versi- chert 11). Doch selbst die Möglichkeit, genea auf eine der an- gegebenen Arten zu deuten, verschwindet, wenn man er- wägt, dass in Verbindung mit einem Verbum der Zeit und ohne sonstiges Prädikat genea unmöglich eine andre als seine ursprüngliche Bedeutung: Generation, Zeitalter, ha- ben kann; dass in einen Zusammenhang, welcher die Zu- kunft des Messias durch Zeichen zu bestimmen sucht, ein Ausspruch übel passen würde, der, statt über den Ein- tritt jener Katastrophe etwas auszusagen, vielmehr von der Dauer des jüdischen Volks oder der christlichen Gemeinde handelte, von welcher gar nicht die Rede war; dass auch schon V. 33. in dem umeis, otan idete panta tanuta, ginosk ete k. t. l. vorausgesetzt ist, die Angeredeten wür- den die Annäherung des fraglichen Ereignisses noch erle- ben; endlich dass an einer andern Stelle (Matth. 16, 28. parall.) die Versicherung, die Ankunft des Menschensohns noch zu erleben, statt von der genea aute geradezu von tisi ton ode esoton gegeben wird, wodurch aufs Ent- scheidendste dargethan ist, dass Jesus auch an unsrer Stelle unter jenem Ausdruck das Geschlecht seiner Zeitgenossen verstanden hat, welches noch nicht ausgestorben sein soll- te, bis jene Katastrophe eintreten würde 12). 11) s. Kuinöl, in Matth. S. 649. 12) vgl. den Wolfenbüttler Fragmentisten, a. a. O. S. 190 ff.
Schott, a. a. O. S. 127 ff. Erstes Kapitel. §. 111. men für unmöglich erkläre, so könne er nicht unmittelbarvorher eine solche Bestimmung gegeben haben durch die Versicherung, daſs seine Zeitgenossen noch Alles erleben würden. Indeſs diese angebliche Nöthigung, das γενεὰ so zu deuten, ist längst aus dem Wege geschafft durch die Unterscheidung zwischen der ungefähren Bezeichnung des Zeitraums, über den das fragliche Ereigniſs nicht hinaus- fallen werde (γενεὰ), welche Jesus giebt, und der genau en Bestimmung des Zeitpunkts (ἡμέρα καὶ ὥρα), in welchem es eintreten werde, die er nicht geben zu können versi- chert 11). Doch selbst die Möglichkeit, γενεὰ auf eine der an- gegebenen Arten zu deuten, verschwindet, wenn man er- wägt, daſs in Verbindung mit einem Verbum der Zeit und ohne sonstiges Prädikat γενεὰ unmöglich eine andre als seine ursprüngliche Bedeutung: Generation, Zeitalter, ha- ben kann; daſs in einen Zusammenhang, welcher die Zu- kunft des Messias durch Zeichen zu bestimmen sucht, ein Ausspruch übel passen würde, der, statt über den Ein- tritt jener Katastrophe etwas auszusagen, vielmehr von der Dauer des jüdischen Volks oder der christlichen Gemeinde handelte, von welcher gar nicht die Rede war; daſs auch schon V. 33. in dem ὑμεῖς, ὅταν ἴδητε πάντα τανῦτα, γινώσκ ετε κ. τ. λ. vorausgesetzt ist, die Angeredeten wür- den die Annäherung des fraglichen Ereignisses noch erle- ben; endlich daſs an einer andern Stelle (Matth. 16, 28. parall.) die Versicherung, die Ankunft des Menschensohns noch zu erleben, statt von der γενεὰ αὕτη geradezu von τισὶ τῶν ὦδε ἑςώτων gegeben wird, wodurch aufs Ent- scheidendste dargethan ist, daſs Jesus auch an unsrer Stelle unter jenem Ausdruck das Geschlecht seiner Zeitgenossen verstanden hat, welches noch nicht ausgestorben sein soll- te, bis jene Katastrophe eintreten würde 12). 11) s. Kuinöl, in Matth. S. 649. 12) vgl. den Wolfenbüttler Fragmentisten, a. a. O. S. 190 ff.
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Erstes Kapitel. §. 111.
men für unmöglich erkläre, so könne er nicht unmittelbar
vorher eine solche Bestimmung gegeben haben durch die
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würden. Indeſs diese angebliche Nöthigung, das γενεὰ so
zu deuten, ist längst aus dem Wege geschafft durch die
Unterscheidung zwischen der ungefähren Bezeichnung des
Zeitraums, über den das fragliche Ereigniſs nicht hinaus-
fallen werde (γενεὰ), welche Jesus giebt, und der genau en
Bestimmung des Zeitpunkts (ἡμέρα καὶ ὥρα), in welchem
es eintreten werde, die er nicht geben zu können versi-
chert 11). Doch selbst die Möglichkeit, γενεὰ auf eine der an-
gegebenen Arten zu deuten, verschwindet, wenn man er-
wägt, daſs in Verbindung mit einem Verbum der Zeit und
ohne sonstiges Prädikat γενεὰ unmöglich eine andre als
seine ursprüngliche Bedeutung: Generation, Zeitalter, ha-
ben kann; daſs in einen Zusammenhang, welcher die Zu-
kunft des Messias durch Zeichen zu bestimmen sucht, ein
Ausspruch übel passen würde, der, statt über den Ein-
tritt jener Katastrophe etwas auszusagen, vielmehr von der
Dauer des jüdischen Volks oder der christlichen Gemeinde
handelte, von welcher gar nicht die Rede war; daſs auch
schon V. 33. in dem ὑμεῖς, ὅταν ἴδητε πάντα τανῦτα,
γινώσκ ετε κ. τ. λ. vorausgesetzt ist, die Angeredeten wür-
den die Annäherung des fraglichen Ereignisses noch erle-
ben; endlich daſs an einer andern Stelle (Matth. 16, 28.
parall.) die Versicherung, die Ankunft des Menschensohns
noch zu erleben, statt von der γενεὰ αὕτη geradezu von
τισὶ τῶν ὦδε ἑςώτων gegeben wird, wodurch aufs Ent-
scheidendste dargethan ist, daſs Jesus auch an unsrer Stelle
unter jenem Ausdruck das Geschlecht seiner Zeitgenossen
verstanden hat, welches noch nicht ausgestorben sein soll-
te, bis jene Katastrophe eintreten würde 12).
11) s. Kuinöl, in Matth. S. 649.
12) vgl. den Wolfenbüttler Fragmentisten, a. a. O. S. 190 ff.
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