die grelle Ungleichheit, dieselben Krankheiten in der ei- nen Zeit sämmtlich als natürliche, in der andern sämmtlich als übernatürliche denken zu müssen.
Die schlimmste Schwierigkeit aber erwächst für den Olshausen'schen Vermittlungsversuch zwischen der jüdisch- neutestamentlichen Dämonologie und der Bildung unsrer Zeit daraus, dass dieses leztere Element in ihm der An- nahme persönlicher Dämonen widerstrebt. Dasselbe, der Bildung des gedachten Theologen durch die Naturphiloso- phie angehörige Streben, das im N. T. als ein Heer dis- creter Individuen Gedachte emanatistisch in das Con- tinuum einer Substanz aufzulösen, welche zwar einzelne Kräfte aus sich hervortreten, diese jedoch nicht zu selbst- ständigen Individuen sich fixiren, sondern als Accidenzien wieder in die Einheit der Substanz zurückkehren lässt, -- dieses Streben sahen wir schon in Olshausen's Angelolo- gie hindurchleuchten, und entschiedener tritt es nun in der Dämonologie hervor. Dämonische Persönlichkeiten sind zu widrig, bei den angeblich Besessenen namentlich das, wie es Olshausen selbst ausdrückt 28), Stecken zweier Subjekte in Einem Individuum zu undenkbar, als dass man sich eine solche Vorstellung zumuthen könnte. Daher wird überall nur in schwebender Allgemeinheit von einem Rei- che des Bösen und der Finsterniss geredet, und zwar ein persönlicher Fürst desselben vorausgesezt, aber unter den Dämonen nur die einzelnen Ausflüsse und Wirkungen ver- standen, in welchen das böse Princip sich manifestirt. Da- her, und hieran ist Olshausen's Ansicht von den Dämo- nen am bestimmtesten zu ergreifen, ist es ihm zu viel, dass Jesus den Dämon im Gadarener um seinen Namen gefragt haben soll: so bestimmt kann doch Christus die von dem Ausleger bezweifelte Persönlichkeit jener Ausflüsse des finstern Reiches nicht vorausgesezt haben; wesswegen
28) S. 295 f.
Das Leben Jesu II. Band. 2
Neuntes Kapitel. §. 88.
die grelle Ungleichheit, dieselben Krankheiten in der ei- nen Zeit sämmtlich als natürliche, in der andern sämmtlich als übernatürliche denken zu müssen.
Die schlimmste Schwierigkeit aber erwächst für den Olshausen'schen Vermittlungsversuch zwischen der jüdisch- neutestamentlichen Dämonologie und der Bildung unsrer Zeit daraus, daſs dieses leztere Element in ihm der An- nahme persönlicher Dämonen widerstrebt. Dasselbe, der Bildung des gedachten Theologen durch die Naturphiloso- phie angehörige Streben, das im N. T. als ein Heer dis- creter Individuen Gedachte emanatistisch in das Con- tinuum einer Substanz aufzulösen, welche zwar einzelne Kräfte aus sich hervortreten, diese jedoch nicht zu selbst- ständigen Individuen sich fixiren, sondern als Accidenzien wieder in die Einheit der Substanz zurückkehren läſst, — dieses Streben sahen wir schon in Olshausen's Angelolo- gie hindurchleuchten, und entschiedener tritt es nun in der Dämonologie hervor. Dämonische Persönlichkeiten sind zu widrig, bei den angeblich Besessenen namentlich das, wie es Olshausen selbst ausdrückt 28), Stecken zweier Subjekte in Einem Individuum zu undenkbar, als daſs man sich eine solche Vorstellung zumuthen könnte. Daher wird überall nur in schwebender Allgemeinheit von einem Rei- che des Bösen und der Finsterniſs geredet, und zwar ein persönlicher Fürst desselben vorausgesezt, aber unter den Dämonen nur die einzelnen Ausflüsse und Wirkungen ver- standen, in welchen das böse Princip sich manifestirt. Da- her, und hieran ist Olshausen's Ansicht von den Dämo- nen am bestimmtesten zu ergreifen, ist es ihm zu viel, daſs Jesus den Dämon im Gadarener um seinen Namen gefragt haben soll: so bestimmt kann doch Christus die von dem Ausleger bezweifelte Persönlichkeit jener Ausflüsse des finstern Reiches nicht vorausgesezt haben; weſswegen
28) S. 295 f.
Das Leben Jesu II. Band. 2
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0036"n="17"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Neuntes Kapitel</hi>. §. 88.</fw><lb/>
die grelle Ungleichheit, dieselben Krankheiten in der ei-<lb/>
nen Zeit sämmtlich als natürliche, in der andern sämmtlich<lb/>
als übernatürliche denken zu müssen.</p><lb/><p>Die schlimmste Schwierigkeit aber erwächst für den<lb/><hirendition="#k">Olshausen</hi>'schen Vermittlungsversuch zwischen der jüdisch-<lb/>
neutestamentlichen Dämonologie und der Bildung unsrer<lb/>
Zeit daraus, daſs dieses leztere Element in ihm der An-<lb/>
nahme persönlicher Dämonen widerstrebt. Dasselbe, der<lb/>
Bildung des gedachten Theologen durch die Naturphiloso-<lb/>
phie angehörige Streben, das im N. T. als ein Heer dis-<lb/>
creter Individuen Gedachte emanatistisch in das Con-<lb/>
tinuum einer Substanz aufzulösen, welche zwar einzelne<lb/>
Kräfte aus sich hervortreten, diese jedoch nicht zu selbst-<lb/>
ständigen Individuen sich fixiren, sondern als Accidenzien<lb/>
wieder in die Einheit der Substanz zurückkehren läſst, —<lb/>
dieses Streben sahen wir schon in <hirendition="#k">Olshausen's</hi> Angelolo-<lb/>
gie hindurchleuchten, und entschiedener tritt es nun in der<lb/>
Dämonologie hervor. Dämonische Persönlichkeiten sind<lb/>
zu widrig, bei den angeblich Besessenen namentlich das,<lb/>
wie es <hirendition="#k">Olshausen</hi> selbst ausdrückt <noteplace="foot"n="28)">S. 295 f.</note>, Stecken zweier<lb/>
Subjekte in Einem Individuum zu undenkbar, als daſs man<lb/>
sich eine solche Vorstellung zumuthen könnte. Daher wird<lb/>
überall nur in schwebender Allgemeinheit von einem Rei-<lb/>
che des Bösen und der Finsterniſs geredet, und zwar ein<lb/>
persönlicher Fürst desselben vorausgesezt, aber unter den<lb/>
Dämonen nur die einzelnen Ausflüsse und Wirkungen ver-<lb/>
standen, in welchen das böse Princip sich manifestirt. Da-<lb/>
her, und hieran ist <hirendition="#k">Olshausen's</hi> Ansicht von den Dämo-<lb/>
nen am bestimmtesten zu ergreifen, ist es ihm zu viel, daſs<lb/>
Jesus den Dämon im Gadarener um seinen Namen gefragt<lb/>
haben soll: so bestimmt kann doch Christus die von dem<lb/>
Ausleger bezweifelte Persönlichkeit jener Ausflüsse des<lb/>
finstern Reiches nicht vorausgesezt haben; weſswegen<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#i">Das Leben Jesu II. Band.</hi> 2</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[17/0036]
Neuntes Kapitel. §. 88.
die grelle Ungleichheit, dieselben Krankheiten in der ei-
nen Zeit sämmtlich als natürliche, in der andern sämmtlich
als übernatürliche denken zu müssen.
Die schlimmste Schwierigkeit aber erwächst für den
Olshausen'schen Vermittlungsversuch zwischen der jüdisch-
neutestamentlichen Dämonologie und der Bildung unsrer
Zeit daraus, daſs dieses leztere Element in ihm der An-
nahme persönlicher Dämonen widerstrebt. Dasselbe, der
Bildung des gedachten Theologen durch die Naturphiloso-
phie angehörige Streben, das im N. T. als ein Heer dis-
creter Individuen Gedachte emanatistisch in das Con-
tinuum einer Substanz aufzulösen, welche zwar einzelne
Kräfte aus sich hervortreten, diese jedoch nicht zu selbst-
ständigen Individuen sich fixiren, sondern als Accidenzien
wieder in die Einheit der Substanz zurückkehren läſst, —
dieses Streben sahen wir schon in Olshausen's Angelolo-
gie hindurchleuchten, und entschiedener tritt es nun in der
Dämonologie hervor. Dämonische Persönlichkeiten sind
zu widrig, bei den angeblich Besessenen namentlich das,
wie es Olshausen selbst ausdrückt 28), Stecken zweier
Subjekte in Einem Individuum zu undenkbar, als daſs man
sich eine solche Vorstellung zumuthen könnte. Daher wird
überall nur in schwebender Allgemeinheit von einem Rei-
che des Bösen und der Finsterniſs geredet, und zwar ein
persönlicher Fürst desselben vorausgesezt, aber unter den
Dämonen nur die einzelnen Ausflüsse und Wirkungen ver-
standen, in welchen das böse Princip sich manifestirt. Da-
her, und hieran ist Olshausen's Ansicht von den Dämo-
nen am bestimmtesten zu ergreifen, ist es ihm zu viel, daſs
Jesus den Dämon im Gadarener um seinen Namen gefragt
haben soll: so bestimmt kann doch Christus die von dem
Ausleger bezweifelte Persönlichkeit jener Ausflüsse des
finstern Reiches nicht vorausgesezt haben; weſswegen
28) S. 295 f.
Das Leben Jesu II. Band. 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/36>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.