Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.Erstes Kapitel. §. 108. sie haben aus dem nomos gelernt, oti o khrisos menei eis tonaiona 10). Doch eine allgemeine Geltung der Idee des lei- denden Messias unter den damaligen Juden behaupten auch jene Theologen nicht, sondern die Hoffnung auf einen welt- lichen, endlos regierenden Messias als die herrschende einräumend, halten sie nur daran fest, worin selbst der Wolfenbüttler Fragmentist mit ihnen übereinstimmt 11), dass eine minder zahlreiche Partei, nach Stäudlin namentlich die Essener, nach Hengstenberg der bessere, erleuchtetere Theil des Volks überhaupt, einen solchen Messias angenommen habe, welcher zunächst in Niedrigkeit erscheinen, und erst durch Leiden und Tod zur Herrlichkeit eingehen würde. Hiefür beruft man sich besonders auf zwei Stellen, eine aus dem dritten, und eine aus dem vierten Evangelium. Wie Jesus als unmündiges Kind im Tempel zu Jerusalem dargestellt wird, spricht der greise Simeon unter andern Weissagungen, namentlich über den Widerspruch, welchen ihr Sohn einst finden werde, zu Maria auch die Worte: kai sou de autes ten psukhen dieleusetai Romphaia(Luc. 2, 35.), wodurch ihr mütterlicher Schmerz über den Tod ihres Soh- nes bezeichnet, also die Ansicht, dass dem Messias ein ge- waltsamer Tod bevorstehe, als eine schon vor Christo vor- handene dargestellt zu werden scheint. Noch deutlicher liegt die Idee von einem leidenden Messias in den Worten, welche das vierte Evangelium (1, 29.) den Täufer bei'm Anblick Jesu sprechen lässt, er sei o amnos tou theou o ai- ron ten amartian tou kosmou, ein Ausspruch, welcher, in seiner Beziehung auf Jes. 53., im Munde des Täufers gleich- falls dafür sprechen würde, dass die Vorstellung eines süh- nenden Leidens des Messias schon vor Jesu vorhanden ge- 10) Eine Stelle aus dem eigentlichen nomos möchte hier schwer zu finden sein; de Wette, de morte, S. 72. denkt an Jes. 9, 5, Lücke, z. d. St. an Ps. 110, 4. Dan. 7, 14. 2, 44. 11) Vom Zweck Jesu und seiner Jünger, S. 179 f.
Erstes Kapitel. §. 108. sie haben aus dem νόμος gelernt, ὅτι ὁ χριςὸς μένει εἰς τὸναἰῶνα 10). Doch eine allgemeine Geltung der Idee des lei- denden Messias unter den damaligen Juden behaupten auch jene Theologen nicht, sondern die Hoffnung auf einen welt- lichen, endlos regierenden Messias als die herrschende einräumend, halten sie nur daran fest, worin selbst der Wolfenbüttler Fragmentist mit ihnen übereinstimmt 11), daſs eine minder zahlreiche Partei, nach Stäudlin namentlich die Essener, nach Hengstenberg der bessere, erleuchtetere Theil des Volks überhaupt, einen solchen Messias angenommen habe, welcher zunächst in Niedrigkeit erscheinen, und erst durch Leiden und Tod zur Herrlichkeit eingehen würde. Hiefür beruft man sich besonders auf zwei Stellen, eine aus dem dritten, und eine aus dem vierten Evangelium. Wie Jesus als unmündiges Kind im Tempel zu Jerusalem dargestellt wird, spricht der greise Simeon unter andern Weissagungen, namentlich über den Widerspruch, welchen ihr Sohn einst finden werde, zu Maria auch die Worte: καὶ σοῦ δὲ αὐτῆς τὴν ψυχὴν διελεύσεται ῥομφαία(Luc. 2, 35.), wodurch ihr mütterlicher Schmerz über den Tod ihres Soh- nes bezeichnet, also die Ansicht, daſs dem Messias ein ge- waltsamer Tod bevorstehe, als eine schon vor Christo vor- handene dargestellt zu werden scheint. Noch deutlicher liegt die Idee von einem leidenden Messias in den Worten, welche das vierte Evangelium (1, 29.) den Täufer bei'm Anblick Jesu sprechen läſst, er sei ὁ ἀμνὸς τοῦ ϑεοῦ ὁ αἴ- ρων τὴν ἁμαρτίαν τοῦ κόσμου, ein Ausspruch, welcher, in seiner Beziehung auf Jes. 53., im Munde des Täufers gleich- falls dafür sprechen würde, daſs die Vorstellung eines süh- nenden Leidens des Messias schon vor Jesu vorhanden ge- 10) Eine Stelle aus dem eigentlichen νόμος möchte hier schwer zu finden sein; de Wette, de morte, S. 72. denkt an Jes. 9, 5, Lücke, z. d. St. an Ps. 110, 4. Dan. 7, 14. 2, 44. 11) Vom Zweck Jesu und seiner Jünger, S. 179 f.
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Erstes Kapitel. §. 108.
sie haben aus dem νόμος gelernt, ὅτι ὁ χριςὸς μένει εἰς τὸν
αἰῶνα 10). Doch eine allgemeine Geltung der Idee des lei-
denden Messias unter den damaligen Juden behaupten auch
jene Theologen nicht, sondern die Hoffnung auf einen welt-
lichen, endlos regierenden Messias als die herrschende
einräumend, halten sie nur daran fest, worin selbst der
Wolfenbüttler Fragmentist mit ihnen übereinstimmt 11), daſs
eine minder zahlreiche Partei, nach Stäudlin namentlich die
Essener, nach Hengstenberg der bessere, erleuchtetere Theil
des Volks überhaupt, einen solchen Messias angenommen
habe, welcher zunächst in Niedrigkeit erscheinen, und erst
durch Leiden und Tod zur Herrlichkeit eingehen würde.
Hiefür beruft man sich besonders auf zwei Stellen, eine
aus dem dritten, und eine aus dem vierten Evangelium.
Wie Jesus als unmündiges Kind im Tempel zu Jerusalem
dargestellt wird, spricht der greise Simeon unter andern
Weissagungen, namentlich über den Widerspruch, welchen
ihr Sohn einst finden werde, zu Maria auch die Worte:
καὶ σοῦ δὲ αὐτῆς τὴν ψυχὴν διελεύσεται ῥομφαία (Luc. 2, 35.),
wodurch ihr mütterlicher Schmerz über den Tod ihres Soh-
nes bezeichnet, also die Ansicht, daſs dem Messias ein ge-
waltsamer Tod bevorstehe, als eine schon vor Christo vor-
handene dargestellt zu werden scheint. Noch deutlicher
liegt die Idee von einem leidenden Messias in den Worten,
welche das vierte Evangelium (1, 29.) den Täufer bei'm
Anblick Jesu sprechen läſst, er sei ὁ ἀμνὸς τοῦ ϑεοῦ ὁ αἴ-
ρων τὴν ἁμαρτίαν τοῦ κόσμου, ein Ausspruch, welcher, in
seiner Beziehung auf Jes. 53., im Munde des Täufers gleich-
falls dafür sprechen würde, daſs die Vorstellung eines süh-
nenden Leidens des Messias schon vor Jesu vorhanden ge-
10) Eine Stelle aus dem eigentlichen νόμος möchte hier schwer
zu finden sein; de Wette, de morte, S. 72. denkt an Jes.
9, 5, Lücke, z. d. St. an Ps. 110, 4. Dan. 7, 14. 2, 44.
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