gern mitgetheilt habe, welche dann um so weniger in die- sem Stücke so unbelehrt bleiben und vom wirklichen Er- folg so ganz darniedergeschlagen werden konnten; war dagegen jene Vorstellung vor Jesu Tode nicht unter seinen Landsleuten verbreitet, so bleibt es zwar immer noch mög- lich, dass Jesus durch eigenes Raisonnement auf dieselbe kommen konnte, aber eben so möglich ist dann, dass die Jünger erst nach dem Erfolg das Merkmal des Leidens und Todes in ihren Messiasbegriff aufgenommen haben.
Die Frage, ob die Vorstellung von einem leidenden und sterbenden Messias zu Jesu Zeit bereits unter den Ju- den verbreitet gewesen sei, gehört zu den schwierigsten, und über welche die Theologen noch am wenigsten zum Einverständniss gekommen sind. Und zwar liegt die Schwie- rigkeit der Frage nicht in theologischem Parteiinteresse, so dass man hoffen könnte, mit dem Aufkommen unparteii- scher Forschung werde sich die Verwicklung lösen, da vielmehr, wie Stäudlin treffend nachgewiesen hat 4), so- wohl das orthodoxe als das rationalistische Interesse jedes auf beide Seiten hintreiben kann, wesswegen wir denn auch auf beiden Seiten Theologen von beiden Parteien fin- den 5): sondern die Schwierigkeit der Sache liegt in dem Mangel an Nachrichten, und in der Unsicherheit derjeni- gen, welche vorhanden sind. Wenn das alte Testament die Lehre von einem leidenden und sterbenden Messias ent- hielte, so würde hieraus allerdings mit mehr als blosser
4) Über den Zweck und die Wirkungen des Todes Jesu, in der Göttingischen Bibliothek, 1, 4, S. 252 ff.
5) s. das Verzeichniss bei de Wette a. a. O. S. 6 ff. Die be- deutendsten Stimmen für das Vorhandensein der fraglichen Vorstellung schon zu Lebzeiten Jesu haben abgegeben Stäud- lin in der angef. Abh. in der Gött. Biblioth. 1, S. 233 ff. und Hengstenberg, Christologie des A. T., 1, a, S. 270 ff. b, S. 290 ff.; für die entgegengesezte Ansicht de Wette, in der angef. Abh., Opusc. S. 1 ff.
Erstes Kapitel. §. 108.
gern mitgetheilt habe, welche dann um so weniger in die- sem Stücke so unbelehrt bleiben und vom wirklichen Er- folg so ganz darniedergeschlagen werden konnten; war dagegen jene Vorstellung vor Jesu Tode nicht unter seinen Landsleuten verbreitet, so bleibt es zwar immer noch mög- lich, daſs Jesus durch eigenes Raisonnement auf dieselbe kommen konnte, aber eben so möglich ist dann, daſs die Jünger erst nach dem Erfolg das Merkmal des Leidens und Todes in ihren Messiasbegriff aufgenommen haben.
Die Frage, ob die Vorstellung von einem leidenden und sterbenden Messias zu Jesu Zeit bereits unter den Ju- den verbreitet gewesen sei, gehört zu den schwierigsten, und über welche die Theologen noch am wenigsten zum Einverständniſs gekommen sind. Und zwar liegt die Schwie- rigkeit der Frage nicht in theologischem Parteiinteresse, so daſs man hoffen könnte, mit dem Aufkommen unparteii- scher Forschung werde sich die Verwicklung lösen, da vielmehr, wie Stäudlin treffend nachgewiesen hat 4), so- wohl das orthodoxe als das rationalistische Interesse jedes auf beide Seiten hintreiben kann, weſswegen wir denn auch auf beiden Seiten Theologen von beiden Parteien fin- den 5): sondern die Schwierigkeit der Sache liegt in dem Mangel an Nachrichten, und in der Unsicherheit derjeni- gen, welche vorhanden sind. Wenn das alte Testament die Lehre von einem leidenden und sterbenden Messias ent- hielte, so würde hieraus allerdings mit mehr als bloſser
4) Über den Zweck und die Wirkungen des Todes Jesu, in der Göttingischen Bibliothek, 1, 4, S. 252 ff.
5) s. das Verzeichniss bei de Wette a. a. O. S. 6 ff. Die be- deutendsten Stimmen für das Vorhandensein der fraglichen Vorstellung schon zu Lebzeiten Jesu haben abgegeben Stäud- lin in der angef. Abh. in der Gött. Biblioth. 1, S. 233 ff. und Hengstenberg, Christologie des A. T., 1, a, S. 270 ff. b, S. 290 ff.; für die entgegengesezte Ansicht de Wette, in der angef. Abh., Opusc. S. 1 ff.
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Erstes Kapitel. §. 108.
gern mitgetheilt habe, welche dann um so weniger in die-
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folg so ganz darniedergeschlagen werden konnten; war
dagegen jene Vorstellung vor Jesu Tode nicht unter seinen
Landsleuten verbreitet, so bleibt es zwar immer noch mög-
lich, daſs Jesus durch eigenes Raisonnement auf dieselbe
kommen konnte, aber eben so möglich ist dann, daſs die
Jünger erst nach dem Erfolg das Merkmal des Leidens und
Todes in ihren Messiasbegriff aufgenommen haben.
Die Frage, ob die Vorstellung von einem leidenden
und sterbenden Messias zu Jesu Zeit bereits unter den Ju-
den verbreitet gewesen sei, gehört zu den schwierigsten,
und über welche die Theologen noch am wenigsten zum
Einverständniſs gekommen sind. Und zwar liegt die Schwie-
rigkeit der Frage nicht in theologischem Parteiinteresse, so
daſs man hoffen könnte, mit dem Aufkommen unparteii-
scher Forschung werde sich die Verwicklung lösen, da
vielmehr, wie Stäudlin treffend nachgewiesen hat 4), so-
wohl das orthodoxe als das rationalistische Interesse jedes
auf beide Seiten hintreiben kann, weſswegen wir denn
auch auf beiden Seiten Theologen von beiden Parteien fin-
den 5): sondern die Schwierigkeit der Sache liegt in dem
Mangel an Nachrichten, und in der Unsicherheit derjeni-
gen, welche vorhanden sind. Wenn das alte Testament die
Lehre von einem leidenden und sterbenden Messias ent-
hielte, so würde hieraus allerdings mit mehr als bloſser
4) Über den Zweck und die Wirkungen des Todes Jesu, in der
Göttingischen Bibliothek, 1, 4, S. 252 ff.
5) s. das Verzeichniss bei de Wette a. a. O. S. 6 ff. Die be-
deutendsten Stimmen für das Vorhandensein der fraglichen
Vorstellung schon zu Lebzeiten Jesu haben abgegeben Stäud-
lin in der angef. Abh. in der Gött. Biblioth. 1, S. 233 ff. und
Hengstenberg, Christologie des A. T., 1, a, S. 270 ff. b,
S. 290 ff.; für die entgegengesezte Ansicht de Wette, in der
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. [315]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/334>, abgerufen am 24.11.2024.
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