schränkung der jüdischen Gerichtsbarkeit; dass gerade der Kreuzestod über ihn verhängt werden würde, konnte ver- muthet werden, da diese Todesart bei den Römern na- mentlich gegen Aufrührer verfügt zu werden pflegte; dass endlich Geisselung und Verspottung nicht fehlen würde, liess sich gleichfalls aus römischer Sitte und der Roheit damaligen Gerichtsverfahrens zum Voraus berechnen. -- Doch, genauer die Sache erwogen, wie konnte denn Je- sus so gewiss wissen, ob nicht Herodes, der eine gefährli- che Aufmerksamkeit auf ihn gerichtet hatte (Luc. 13, 31.), der Priesterpartei zuvorkommen, und zu dem Morde des Täufers auch den seines Nachfolgers fügen würde? Und wenn er auch gewiss sein zu dürfen glaubte, dass ihm nur von Seiten der Hierarchie her wirkliche Gefahr drohe, wer versicherte ihn denn, dass nicht einer ihrer tumultua- rischen Mordversuche (vgl. Joh. 8, 59. 10, 31.) doch end- lich gelingen, und er also, wie später Stephanus, ohne weitere Förmlichkeit, und ohne vorgängige Ablieferung an die Römer, seinen Tod auf ganz andre Weise, als durch die römische Strafe der Kreuzigung, finden könne? End- lich, wie konnte er so zuversichtlich behaupten, dass ge- rade der nächste Anschlag, nach so vielen misslungenen, sei- nen Feinden glücken, und eben die jezt bevorstehende Festreise seine lezte sein würde? -- Indessen kann auch die natürliche Erklärung hier die A. T.lichen Stellen zu Hülfe nehmen und sagen, Jesus habe, sei es durch An- wendung einer unter seinen Volksgenossen damals übli- chen Auslegungsweise, oder von eigenthümlichen Ansichten geleitet, in den schon angeführten Schriftstellen näheren Aufschluss über den Hergang bei dem ihm als Messias be- vorstehenden gewaltsamen Ende gefunden 9). Allein wenn schon diess schwer zu beweisen sein möchte, dass bereits zu Lebzeiten Jesu alle diese verschiedenen Stellen auf den
9) s. Fritzsche, a. a. O.
Dritter Abschnitt.
schränkung der jüdischen Gerichtsbarkeit; daſs gerade der Kreuzestod über ihn verhängt werden würde, konnte ver- muthet werden, da diese Todesart bei den Römern na- mentlich gegen Aufrührer verfügt zu werden pflegte; daſs endlich Geiſselung und Verspottung nicht fehlen würde, lieſs sich gleichfalls aus römischer Sitte und der Roheit damaligen Gerichtsverfahrens zum Voraus berechnen. — Doch, genauer die Sache erwogen, wie konnte denn Je- sus so gewiſs wissen, ob nicht Herodes, der eine gefährli- che Aufmerksamkeit auf ihn gerichtet hatte (Luc. 13, 31.), der Priesterpartei zuvorkommen, und zu dem Morde des Täufers auch den seines Nachfolgers fügen würde? Und wenn er auch gewiſs sein zu dürfen glaubte, daſs ihm nur von Seiten der Hierarchie her wirkliche Gefahr drohe, wer versicherte ihn denn, daſs nicht einer ihrer tumultua- rischen Mordversuche (vgl. Joh. 8, 59. 10, 31.) doch end- lich gelingen, und er also, wie später Stephanus, ohne weitere Förmlichkeit, und ohne vorgängige Ablieferung an die Römer, seinen Tod auf ganz andre Weise, als durch die römische Strafe der Kreuzigung, finden könne? End- lich, wie konnte er so zuversichtlich behaupten, daſs ge- rade der nächste Anschlag, nach so vielen miſslungenen, sei- nen Feinden glücken, und eben die jezt bevorstehende Festreise seine lezte sein würde? — Indessen kann auch die natürliche Erklärung hier die A. T.lichen Stellen zu Hülfe nehmen und sagen, Jesus habe, sei es durch An- wendung einer unter seinen Volksgenossen damals übli- chen Auslegungsweise, oder von eigenthümlichen Ansichten geleitet, in den schon angeführten Schriftstellen näheren Aufschluſs über den Hergang bei dem ihm als Messias be- vorstehenden gewaltsamen Ende gefunden 9). Allein wenn schon dieſs schwer zu beweisen sein möchte, daſs bereits zu Lebzeiten Jesu alle diese verschiedenen Stellen auf den
9) s. Fritzsche, a. a. O.
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Dritter Abschnitt.
schränkung der jüdischen Gerichtsbarkeit; daſs gerade der
Kreuzestod über ihn verhängt werden würde, konnte ver-
muthet werden, da diese Todesart bei den Römern na-
mentlich gegen Aufrührer verfügt zu werden pflegte; daſs
endlich Geiſselung und Verspottung nicht fehlen würde,
lieſs sich gleichfalls aus römischer Sitte und der Roheit
damaligen Gerichtsverfahrens zum Voraus berechnen. —
Doch, genauer die Sache erwogen, wie konnte denn Je-
sus so gewiſs wissen, ob nicht Herodes, der eine gefährli-
che Aufmerksamkeit auf ihn gerichtet hatte (Luc. 13, 31.),
der Priesterpartei zuvorkommen, und zu dem Morde des
Täufers auch den seines Nachfolgers fügen würde? Und
wenn er auch gewiſs sein zu dürfen glaubte, daſs ihm nur
von Seiten der Hierarchie her wirkliche Gefahr drohe,
wer versicherte ihn denn, daſs nicht einer ihrer tumultua-
rischen Mordversuche (vgl. Joh. 8, 59. 10, 31.) doch end-
lich gelingen, und er also, wie später Stephanus, ohne
weitere Förmlichkeit, und ohne vorgängige Ablieferung an
die Römer, seinen Tod auf ganz andre Weise, als durch
die römische Strafe der Kreuzigung, finden könne? End-
lich, wie konnte er so zuversichtlich behaupten, daſs ge-
rade der nächste Anschlag, nach so vielen miſslungenen, sei-
nen Feinden glücken, und eben die jezt bevorstehende
Festreise seine lezte sein würde? — Indessen kann auch
die natürliche Erklärung hier die A. T.lichen Stellen zu
Hülfe nehmen und sagen, Jesus habe, sei es durch An-
wendung einer unter seinen Volksgenossen damals übli-
chen Auslegungsweise, oder von eigenthümlichen Ansichten
geleitet, in den schon angeführten Schriftstellen näheren
Aufschluſs über den Hergang bei dem ihm als Messias be-
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/327>, abgerufen am 22.07.2024.
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