Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.Neuntes Kapitel. §. 100. hier, wie sonst, annehmen, Jesus habe wohl zur Verstän-digung seiner Jünger über das von ihm Vollzogene noch etwas gesprochen, was jedoch die Referenten, mit dem Wunderfaktum zufrieden, weggelassen haben. Allein sollte Jesus eine Deutung seiner Handlung im angegebenen sym- bolischen Sinne gegeben haben, so hätten die Evangelisten diese Rede nicht bloss verschwiegen, sondern eine falsche an deren Stelle gesezt; denn sie lassen Jesum nach seinem Vornehmen mit dem Baume nicht schweigen, sondern aus Anlass einer verwundrungsvollen Frage seiner Jünger, wie es mit dem Baume zugegangen, eine Erläuterung geben, welche aber nicht jene symbolische, sondern von ihr ver- schieden, ja ihr entgegengesezt ist. Denn wenn Jesus ih- nen sagt, sie sollen sich über das Verdorren des Feigen- baums auf sein Wort hin nicht wundern, mit nur weni- gem Glauben werden sie noch Grösseres zu thun im Stande sein: so legt er das Hauptgewicht auf sein Thun in der Sache, nicht auf den Zustand und das Leiden des Baums als Symbole; er hätte also, wenn doch auf das Leztere sein Absehen gieng, zweckwidrig zu seinen Jüngern ge- sprochen, oder vielmehr, wenn er so sprach, kann jenes seine Absicht nicht gewesen sein. Ebendamit fällt auch Sieffert's, ohnehin aus der Luft gegriffene Hypothese, dass Jesus zwar nicht nach, wohl aber vor jenem Akte, auf dem Weg zum Feigenbaum hin, über den Zustand und die Zukunft des israelitischen Volks mit seinen Jüngern Gespräche geführt habe, zu welchen die symbolische Ver- wünschung des Baums nur als von selbst verständlicher Schlussstein gefügt worden sei; denn alles durch jene Ein- leitung etwa angebahnte Verständniss des fraglichen Aktes hätte, zumal bei der Neigung der Zeit zum Mirakulösen, durch jenes Nachwort, welches nur die wunderbare Seite des Faktums berücksichtigte, wieder zu Nichte gemacht werden müssen. Mit Recht hat daher Ullmann den hin- zugefügten Worten Jesu so weit nachgegeben, dass er der Neuntes Kapitel. §. 100. hier, wie sonst, annehmen, Jesus habe wohl zur Verstän-digung seiner Jünger über das von ihm Vollzogene noch etwas gesprochen, was jedoch die Referenten, mit dem Wunderfaktum zufrieden, weggelassen haben. Allein sollte Jesus eine Deutung seiner Handlung im angegebenen sym- bolischen Sinne gegeben haben, so hätten die Evangelisten diese Rede nicht bloſs verschwiegen, sondern eine falsche an deren Stelle gesezt; denn sie lassen Jesum nach seinem Vornehmen mit dem Baume nicht schweigen, sondern aus Anlaſs einer verwundrungsvollen Frage seiner Jünger, wie es mit dem Baume zugegangen, eine Erläuterung geben, welche aber nicht jene symbolische, sondern von ihr ver- schieden, ja ihr entgegengesezt ist. Denn wenn Jesus ih- nen sagt, sie sollen sich über das Verdorren des Feigen- baums auf sein Wort hin nicht wundern, mit nur weni- gem Glauben werden sie noch Gröſseres zu thun im Stande sein: so legt er das Hauptgewicht auf sein Thun in der Sache, nicht auf den Zustand und das Leiden des Baums als Symbole; er hätte also, wenn doch auf das Leztere sein Absehen gieng, zweckwidrig zu seinen Jüngern ge- sprochen, oder vielmehr, wenn er so sprach, kann jenes seine Absicht nicht gewesen sein. Ebendamit fällt auch Sieffert's, ohnehin aus der Luft gegriffene Hypothese, daſs Jesus zwar nicht nach, wohl aber vor jenem Akte, auf dem Weg zum Feigenbaum hin, über den Zustand und die Zukunft des israëlitischen Volks mit seinen Jüngern Gespräche geführt habe, zu welchen die symbolische Ver- wünschung des Baums nur als von selbst verständlicher Schluſsstein gefügt worden sei; denn alles durch jene Ein- leitung etwa angebahnte Verständniſs des fraglichen Aktes hätte, zumal bei der Neigung der Zeit zum Mirakulösen, durch jenes Nachwort, welches nur die wunderbare Seite des Faktums berücksichtigte, wieder zu Nichte gemacht werden müssen. Mit Recht hat daher Ullmann den hin- zugefügten Worten Jesu so weit nachgegeben, daſs er der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0266" n="247"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Neuntes Kapitel</hi>. §. 100.</fw><lb/> hier, wie sonst, annehmen, Jesus habe wohl zur Verstän-<lb/> digung seiner Jünger über das von ihm Vollzogene noch<lb/> etwas gesprochen, was jedoch die Referenten, mit dem<lb/> Wunderfaktum zufrieden, weggelassen haben. Allein sollte<lb/> Jesus eine Deutung seiner Handlung im angegebenen sym-<lb/> bolischen Sinne gegeben haben, so hätten die Evangelisten<lb/> diese Rede nicht bloſs verschwiegen, sondern eine falsche<lb/> an deren Stelle gesezt; denn sie lassen Jesum nach seinem<lb/> Vornehmen mit dem Baume nicht schweigen, sondern aus<lb/> Anlaſs einer verwundrungsvollen Frage seiner Jünger, wie<lb/> es mit dem Baume zugegangen, eine Erläuterung geben,<lb/> welche aber nicht jene symbolische, sondern von ihr ver-<lb/> schieden, ja ihr entgegengesezt ist. Denn wenn Jesus ih-<lb/> nen sagt, sie sollen sich über das Verdorren des Feigen-<lb/> baums auf sein Wort hin nicht wundern, mit nur weni-<lb/> gem Glauben werden sie noch Gröſseres zu thun im Stande<lb/> sein: so legt er das Hauptgewicht auf sein Thun in der<lb/> Sache, nicht auf den Zustand und das Leiden des Baums<lb/> als Symbole; er hätte also, wenn doch auf das Leztere<lb/> sein Absehen gieng, zweckwidrig zu seinen Jüngern ge-<lb/> sprochen, oder vielmehr, wenn er so sprach, kann jenes<lb/> seine Absicht nicht gewesen sein. Ebendamit fällt auch<lb/><hi rendition="#k">Sieffert</hi>'s, ohnehin aus der Luft gegriffene Hypothese,<lb/> daſs Jesus zwar nicht nach, wohl aber vor jenem Akte,<lb/> auf dem Weg zum Feigenbaum hin, über den Zustand und<lb/> die Zukunft des israëlitischen Volks mit seinen Jüngern<lb/> Gespräche geführt habe, zu welchen die symbolische Ver-<lb/> wünschung des Baums nur als von selbst verständlicher<lb/> Schluſsstein gefügt worden sei; denn alles durch jene Ein-<lb/> leitung etwa angebahnte Verständniſs des fraglichen Aktes<lb/> hätte, zumal bei der Neigung der Zeit zum Mirakulösen,<lb/> durch jenes Nachwort, welches nur die wunderbare Seite<lb/> des Faktums berücksichtigte, wieder zu Nichte gemacht<lb/> werden müssen. Mit Recht hat daher <hi rendition="#k">Ullmann</hi> den hin-<lb/> zugefügten Worten Jesu so weit nachgegeben, daſs er der<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [247/0266]
Neuntes Kapitel. §. 100.
hier, wie sonst, annehmen, Jesus habe wohl zur Verstän-
digung seiner Jünger über das von ihm Vollzogene noch
etwas gesprochen, was jedoch die Referenten, mit dem
Wunderfaktum zufrieden, weggelassen haben. Allein sollte
Jesus eine Deutung seiner Handlung im angegebenen sym-
bolischen Sinne gegeben haben, so hätten die Evangelisten
diese Rede nicht bloſs verschwiegen, sondern eine falsche
an deren Stelle gesezt; denn sie lassen Jesum nach seinem
Vornehmen mit dem Baume nicht schweigen, sondern aus
Anlaſs einer verwundrungsvollen Frage seiner Jünger, wie
es mit dem Baume zugegangen, eine Erläuterung geben,
welche aber nicht jene symbolische, sondern von ihr ver-
schieden, ja ihr entgegengesezt ist. Denn wenn Jesus ih-
nen sagt, sie sollen sich über das Verdorren des Feigen-
baums auf sein Wort hin nicht wundern, mit nur weni-
gem Glauben werden sie noch Gröſseres zu thun im Stande
sein: so legt er das Hauptgewicht auf sein Thun in der
Sache, nicht auf den Zustand und das Leiden des Baums
als Symbole; er hätte also, wenn doch auf das Leztere
sein Absehen gieng, zweckwidrig zu seinen Jüngern ge-
sprochen, oder vielmehr, wenn er so sprach, kann jenes
seine Absicht nicht gewesen sein. Ebendamit fällt auch
Sieffert's, ohnehin aus der Luft gegriffene Hypothese,
daſs Jesus zwar nicht nach, wohl aber vor jenem Akte,
auf dem Weg zum Feigenbaum hin, über den Zustand und
die Zukunft des israëlitischen Volks mit seinen Jüngern
Gespräche geführt habe, zu welchen die symbolische Ver-
wünschung des Baums nur als von selbst verständlicher
Schluſsstein gefügt worden sei; denn alles durch jene Ein-
leitung etwa angebahnte Verständniſs des fraglichen Aktes
hätte, zumal bei der Neigung der Zeit zum Mirakulösen,
durch jenes Nachwort, welches nur die wunderbare Seite
des Faktums berücksichtigte, wieder zu Nichte gemacht
werden müssen. Mit Recht hat daher Ullmann den hin-
zugefügten Worten Jesu so weit nachgegeben, daſs er der
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |