Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.Zweiter Abschnitt. von der unwürdigen Art, wie er diesen Irrthum des Evan-gelisten erklärt 24), wäre es von Jesu nicht wohl denkbar, dass er auch seine Schüler in der Täuschung der übrigen Gäste erhalten, und nicht wenigstens ihnen eine Aufklä- rung über den wirklichen Hergang der Sache gegeben ha- ben sollte. Man müsste daher annehmen, der Referent die- ses Vorfalls im vierten Evangelium sei keiner von Jesu Schülern gewesen, was jedoch über die Sphäre dieser Er- klärungsweise hinausgeht. Doch auch zugegeben, dass der Referent selbst, wer er immer sein möge, in der Täuschung derer, welche in dem Vorgang ein Wunder sahen, befan- gen gewesen sei, wobei also seine Darstellungsweise und die von ihm gebrauchten Ausdrücke begreiflich würden: so ist Jesu Verfahren und Handlungsweise desto unbegreif- licher, wenn kein wirkliches Wunder im Spiel war. Warum richtete er die Darbringung des Geschenks mit raffinirtem Fleisse so ein, dass es als wunderbare Bescheerung er- scheinen musste? warum liess er namentlich die Gefässe, in welche er sofort den Wein zu bringen im Sinne hatte, vorher mit Wasser voll machen, dessen nothwendige Wie- derentfernung am unbemerkten Vornehmen der Sache nur hinderlich sein konnte? wenn man nicht mit Woolston an- nehmen will, er habe dem Wasser nur durch zugegossene Liqueure einen Weingeschmack ertheilt. Das Gefühl die- ser doppelten Schwierigkeit, theils das Hineinbringen des Weins in die bereits mit Wasser gefüllten Krüge denkbar zu machen, theils Jesum von dem Verdacht freizusprechen, als hätte er den Schein einer wunderbaren Verwandlung des Wassers erregen wollen, mag es gewesen sein, was den Verfasser der natürlichen Geschichte bewog, den Zusam- menhang zwischen dem eingefüllten Wasser und dem spä- ter zum Vorschein gekommenen Wein ganz zu zerreissen 24) Er giebt dem methuskesthai V. 10. eine Beziehung auch auf
den Johannes. Zweiter Abschnitt. von der unwürdigen Art, wie er diesen Irrthum des Evan-gelisten erklärt 24), wäre es von Jesu nicht wohl denkbar, daſs er auch seine Schüler in der Täuschung der übrigen Gäste erhalten, und nicht wenigstens ihnen eine Aufklä- rung über den wirklichen Hergang der Sache gegeben ha- ben sollte. Man müſste daher annehmen, der Referent die- ses Vorfalls im vierten Evangelium sei keiner von Jesu Schülern gewesen, was jedoch über die Sphäre dieser Er- klärungsweise hinausgeht. Doch auch zugegeben, daſs der Referent selbst, wer er immer sein möge, in der Täuschung derer, welche in dem Vorgang ein Wunder sahen, befan- gen gewesen sei, wobei also seine Darstellungsweise und die von ihm gebrauchten Ausdrücke begreiflich würden: so ist Jesu Verfahren und Handlungsweise desto unbegreif- licher, wenn kein wirkliches Wunder im Spiel war. Warum richtete er die Darbringung des Geschenks mit raffinirtem Fleiſse so ein, daſs es als wunderbare Bescheerung er- scheinen muſste? warum lieſs er namentlich die Gefäſse, in welche er sofort den Wein zu bringen im Sinne hatte, vorher mit Wasser voll machen, dessen nothwendige Wie- derentfernung am unbemerkten Vornehmen der Sache nur hinderlich sein konnte? wenn man nicht mit Woolston an- nehmen will, er habe dem Wasser nur durch zugegossene Liqueure einen Weingeschmack ertheilt. Das Gefühl die- ser doppelten Schwierigkeit, theils das Hineinbringen des Weins in die bereits mit Wasser gefüllten Krüge denkbar zu machen, theils Jesum von dem Verdacht freizusprechen, als hätte er den Schein einer wunderbaren Verwandlung des Wassers erregen wollen, mag es gewesen sein, was den Verfasser der natürlichen Geschichte bewog, den Zusam- menhang zwischen dem eingefüllten Wasser und dem spä- ter zum Vorschein gekommenen Wein ganz zu zerreissen 24) Er giebt dem μεϑύσκεσϑαι V. 10. eine Beziehung auch auf
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Zweiter Abschnitt.
von der unwürdigen Art, wie er diesen Irrthum des Evan-
gelisten erklärt 24), wäre es von Jesu nicht wohl denkbar,
daſs er auch seine Schüler in der Täuschung der übrigen
Gäste erhalten, und nicht wenigstens ihnen eine Aufklä-
rung über den wirklichen Hergang der Sache gegeben ha-
ben sollte. Man müſste daher annehmen, der Referent die-
ses Vorfalls im vierten Evangelium sei keiner von Jesu
Schülern gewesen, was jedoch über die Sphäre dieser Er-
klärungsweise hinausgeht. Doch auch zugegeben, daſs der
Referent selbst, wer er immer sein möge, in der Täuschung
derer, welche in dem Vorgang ein Wunder sahen, befan-
gen gewesen sei, wobei also seine Darstellungsweise und
die von ihm gebrauchten Ausdrücke begreiflich würden:
so ist Jesu Verfahren und Handlungsweise desto unbegreif-
licher, wenn kein wirkliches Wunder im Spiel war. Warum
richtete er die Darbringung des Geschenks mit raffinirtem
Fleiſse so ein, daſs es als wunderbare Bescheerung er-
scheinen muſste? warum lieſs er namentlich die Gefäſse,
in welche er sofort den Wein zu bringen im Sinne hatte,
vorher mit Wasser voll machen, dessen nothwendige Wie-
derentfernung am unbemerkten Vornehmen der Sache nur
hinderlich sein konnte? wenn man nicht mit Woolston an-
nehmen will, er habe dem Wasser nur durch zugegossene
Liqueure einen Weingeschmack ertheilt. Das Gefühl die-
ser doppelten Schwierigkeit, theils das Hineinbringen des
Weins in die bereits mit Wasser gefüllten Krüge denkbar
zu machen, theils Jesum von dem Verdacht freizusprechen,
als hätte er den Schein einer wunderbaren Verwandlung
des Wassers erregen wollen, mag es gewesen sein, was den
Verfasser der natürlichen Geschichte bewog, den Zusam-
menhang zwischen dem eingefüllten Wasser und dem spä-
ter zum Vorschein gekommenen Wein ganz zu zerreissen
24) Er giebt dem μεϑύσκεσϑαι V. 10. eine Beziehung auch auf
den Johannes.
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