hinzugedachter Bitte um Abhülfe zu seiner Kenntniss brach- te. Ein Anderes wäre es gewesen, wenn Jesus den Fall nicht geeignet, oder gar unwürdig gefunden hätte, ein Wun- der an denselben zu knüpfen: dann hätte er die auffor- dernde Anzeige als Reizung zu falscher Wunderthätigkeit (wie in der Versuchungsgeschichte) hart abweisen mögen; so hingegen, da er bald darauf durch die That zeigte, dass er den Anlass allerdings eines Wunders werth finde, ist schlechterdings nicht einzusehen, wie er der Mutter ihre Anzeige, die ihm nur vielleicht einige Augenblicke zu frü- he kam, verdenken konnte 21).
Den zahlreichen Schwierigkeiten der supranaturalisti- schen Auffassung hat man auch hier durch natürliche Deu- tung der Geschichte zu entfliehen versucht. Von der Sitte ausgehend, dass bei jüdischen Hochzeiten Geschenke an Wein oder Öl gewöhnlich waren, und davon, dass Jesus, der 5 neugeworbene Schüler als ungeladene Gäste mitbrach- te, einen Mangel an Wein voraussehen konnte, nimmt man an, des Scherzes wegen habe Jesus sein Geschenk auf un- erwartete und geheimnissvolle Weise anbringen wollen. Die doxa, welche er durch diese Handlung offenbarte, ist hie- nach nur seine Humanität, welche gehörigen Ortes auch einen Spass zu machen nicht verschmähte; die pisis, die er sich dadurch bei seinen Jüngern zuwege brachte, ist das freudige Anschliessen an einen Mann, welcher nichts von dem drückenden Ernste zeigte, den man sich vom Messias prognosticirte. Die Mutter wusste um den Vor- saz des Sohnes und mahnt ihn, wie es ihr Zeit schien, denselben zur Ausführung zu bringen; er aber erinnert sie scherzend, ihm nicht durch Vorschnelligkeit den Spass zu verderben. Dass er Wasser einschöpfen liess, scheint zu der scherzhaften Täuschung gehört zu haben, welche er beabsichtigte; dass, als auf Einmal Wein statt Was-
21) Vgl. auch die Probabilien, p. 41 f.
Zweiter Abschnitt.
hinzugedachter Bitte um Abhülfe zu seiner Kenntniſs brach- te. Ein Anderes wäre es gewesen, wenn Jesus den Fall nicht geeignet, oder gar unwürdig gefunden hätte, ein Wun- der an denselben zu knüpfen: dann hätte er die auffor- dernde Anzeige als Reizung zu falscher Wunderthätigkeit (wie in der Versuchungsgeschichte) hart abweisen mögen; so hingegen, da er bald darauf durch die That zeigte, daſs er den Anlaſs allerdings eines Wunders werth finde, ist schlechterdings nicht einzusehen, wie er der Mutter ihre Anzeige, die ihm nur vielleicht einige Augenblicke zu frü- he kam, verdenken konnte 21).
Den zahlreichen Schwierigkeiten der supranaturalisti- schen Auffassung hat man auch hier durch natürliche Deu- tung der Geschichte zu entfliehen versucht. Von der Sitte ausgehend, daſs bei jüdischen Hochzeiten Geschenke an Wein oder Öl gewöhnlich waren, und davon, daſs Jesus, der 5 neugeworbene Schüler als ungeladene Gäste mitbrach- te, einen Mangel an Wein voraussehen konnte, nimmt man an, des Scherzes wegen habe Jesus sein Geschenk auf un- erwartete und geheimniſsvolle Weise anbringen wollen. Die δόξα, welche er durch diese Handlung offenbarte, ist hie- nach nur seine Humanität, welche gehörigen Ortes auch einen Spaſs zu machen nicht verschmähte; die πίςις, die er sich dadurch bei seinen Jüngern zuwege brachte, ist das freudige Anschlieſsen an einen Mann, welcher nichts von dem drückenden Ernste zeigte, den man sich vom Messias prognosticirte. Die Mutter wuſste um den Vor- saz des Sohnes und mahnt ihn, wie es ihr Zeit schien, denselben zur Ausführung zu bringen; er aber erinnert sie scherzend, ihm nicht durch Vorschnelligkeit den Spaſs zu verderben. Daſs er Wasser einschöpfen lieſs, scheint zu der scherzhaften Täuschung gehört zu haben, welche er beabsichtigte; daſs, als auf Einmal Wein statt Was-
21) Vgl. auch die Probabilien, p. 41 f.
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Zweiter Abschnitt.
hinzugedachter Bitte um Abhülfe zu seiner Kenntniſs brach-
te. Ein Anderes wäre es gewesen, wenn Jesus den Fall
nicht geeignet, oder gar unwürdig gefunden hätte, ein Wun-
der an denselben zu knüpfen: dann hätte er die auffor-
dernde Anzeige als Reizung zu falscher Wunderthätigkeit
(wie in der Versuchungsgeschichte) hart abweisen mögen;
so hingegen, da er bald darauf durch die That zeigte, daſs
er den Anlaſs allerdings eines Wunders werth finde, ist
schlechterdings nicht einzusehen, wie er der Mutter ihre
Anzeige, die ihm nur vielleicht einige Augenblicke zu frü-
he kam, verdenken konnte 21).
Den zahlreichen Schwierigkeiten der supranaturalisti-
schen Auffassung hat man auch hier durch natürliche Deu-
tung der Geschichte zu entfliehen versucht. Von der Sitte
ausgehend, daſs bei jüdischen Hochzeiten Geschenke an
Wein oder Öl gewöhnlich waren, und davon, daſs Jesus,
der 5 neugeworbene Schüler als ungeladene Gäste mitbrach-
te, einen Mangel an Wein voraussehen konnte, nimmt man
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erwartete und geheimniſsvolle Weise anbringen wollen. Die
δόξα, welche er durch diese Handlung offenbarte, ist hie-
nach nur seine Humanität, welche gehörigen Ortes auch
einen Spaſs zu machen nicht verschmähte; die πίςις, die
er sich dadurch bei seinen Jüngern zuwege brachte, ist
das freudige Anschlieſsen an einen Mann, welcher nichts
von dem drückenden Ernste zeigte, den man sich vom
Messias prognosticirte. Die Mutter wuſste um den Vor-
saz des Sohnes und mahnt ihn, wie es ihr Zeit schien,
denselben zur Ausführung zu bringen; er aber erinnert
sie scherzend, ihm nicht durch Vorschnelligkeit den Spaſs
zu verderben. Daſs er Wasser einschöpfen lieſs, scheint
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21) Vgl. auch die Probabilien, p. 41 f.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/249>, abgerufen am 22.11.2024.
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