annehmlich klingenden Ausdruck: beschleunigter Naturpro- cess, täuschen, wenn doch dieser die Sache, von der die Rede ist, nur zum dritten Theil bezeichnet?
Wie sollen wir uns nun ein solches Wunder zur An- schauung bringen, und in welchen Moment des Hergangs es versetzen? In Betreff des Lezteren sind nach der An- zahl der in unsrer Erzählung handelnden Gruppen drei Ansichten möglich, indem entweder in den Händen Jesu, oder in denen der austheilenden Jünger, oder endlich erst in denen des empfangenden Volks die Vermehrung vor sich gegangen sein kann. Die leztere Vorstellung ist theils bis zum Abenteuerlichen minutiös, wenn man sich Jesum und die Apostel denken will, mit Behutsamkeit, dass es doch ja ausreichen möge, Krümchen vertheilend, die in den Hän- den der Empfänger zu Stücken anschwellen, theils wäre es nicht wohl möglich gewesen, für eine Masse von 5000 Mann aus 5 Broten, welche nach hebräischer Sitte, und da sie ja ein Knabe trug, nicht sehr gross können gewesen sein, und vollends aus 2 Fischen für jeden ein, wenn auch noch so kleines, Stückchen herauszubringen. Unter den zwei übrigen Vorstellungsweisen finde ich es mit Olshau- sen am angemessensten, dass unter den schöpferischen Hän- den Jesu sich die Nahrungsmittel vermehrt, und er neue und immer neue Stücke den vertheilenden Jüngern gebo- ten habe. Zur Anschauung kann man sich dann den Vor- gang auf die doppelte Art zu bringen sucher, dass man entweder sich vorstellt, so oft ein Brotkuchen und ein Fisch zu Ende war, sei aus den Händen Jesu ein neuer gekommen, oder man denkt sich, die einzelnen Brotku- chen und Fische seien gewachsen, so dass, wie ein Stück abgebrochen wurde, es sich so lange wieder ergänzte, bis berechnetermassen die Reihe an den folgenden kommen konnte. Die erstere Vorstellung scheint dem Texte fremd zu sein, welcher, wenn er von Brocken ek ton pente arton spricht (Joh. 6, 13.), schwerlich eine Vermehrung dieser
Neuntes Kapitel. §. 98.
annehmlich klingenden Ausdruck: beschleunigter Naturpro- ceſs, täuschen, wenn doch dieser die Sache, von der die Rede ist, nur zum dritten Theil bezeichnet?
Wie sollen wir uns nun ein solches Wunder zur An- schauung bringen, und in welchen Moment des Hergangs es versetzen? In Betreff des Lezteren sind nach der An- zahl der in unsrer Erzählung handelnden Gruppen drei Ansichten möglich, indem entweder in den Händen Jesu, oder in denen der austheilenden Jünger, oder endlich erst in denen des empfangenden Volks die Vermehrung vor sich gegangen sein kann. Die leztere Vorstellung ist theils bis zum Abenteuerlichen minutiös, wenn man sich Jesum und die Apostel denken will, mit Behutsamkeit, daſs es doch ja ausreichen möge, Krümchen vertheilend, die in den Hän- den der Empfänger zu Stücken anschwellen, theils wäre es nicht wohl möglich gewesen, für eine Masse von 5000 Mann aus 5 Broten, welche nach hebräischer Sitte, und da sie ja ein Knabe trug, nicht sehr groſs können gewesen sein, und vollends aus 2 Fischen für jeden ein, wenn auch noch so kleines, Stückchen herauszubringen. Unter den zwei übrigen Vorstellungsweisen finde ich es mit Olshau- sen am angemessensten, daſs unter den schöpferischen Hän- den Jesu sich die Nahrungsmittel vermehrt, und er neue und immer neue Stücke den vertheilenden Jüngern gebo- ten habe. Zur Anschauung kann man sich dann den Vor- gang auf die doppelte Art zu bringen sucher, daſs man entweder sich vorstellt, so oft ein Brotkuchen und ein Fisch zu Ende war, sei aus den Händen Jesu ein neuer gekommen, oder man denkt sich, die einzelnen Brotku- chen und Fische seien gewachsen, so daſs, wie ein Stück abgebrochen wurde, es sich so lange wieder ergänzte, bis berechnetermaſsen die Reihe an den folgenden kommen konnte. Die erstere Vorstellung scheint dem Texte fremd zu sein, welcher, wenn er von Brocken ἐκ τῶν πέντε ἄρτων spricht (Joh. 6, 13.), schwerlich eine Vermehrung dieser
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Neuntes Kapitel. §. 98.
annehmlich klingenden Ausdruck: beschleunigter Naturpro-
ceſs, täuschen, wenn doch dieser die Sache, von der die
Rede ist, nur zum dritten Theil bezeichnet?
Wie sollen wir uns nun ein solches Wunder zur An-
schauung bringen, und in welchen Moment des Hergangs
es versetzen? In Betreff des Lezteren sind nach der An-
zahl der in unsrer Erzählung handelnden Gruppen drei
Ansichten möglich, indem entweder in den Händen Jesu,
oder in denen der austheilenden Jünger, oder endlich erst
in denen des empfangenden Volks die Vermehrung vor sich
gegangen sein kann. Die leztere Vorstellung ist theils bis
zum Abenteuerlichen minutiös, wenn man sich Jesum und
die Apostel denken will, mit Behutsamkeit, daſs es doch
ja ausreichen möge, Krümchen vertheilend, die in den Hän-
den der Empfänger zu Stücken anschwellen, theils wäre
es nicht wohl möglich gewesen, für eine Masse von 5000
Mann aus 5 Broten, welche nach hebräischer Sitte, und
da sie ja ein Knabe trug, nicht sehr groſs können gewesen
sein, und vollends aus 2 Fischen für jeden ein, wenn auch
noch so kleines, Stückchen herauszubringen. Unter den
zwei übrigen Vorstellungsweisen finde ich es mit Olshau-
sen am angemessensten, daſs unter den schöpferischen Hän-
den Jesu sich die Nahrungsmittel vermehrt, und er neue
und immer neue Stücke den vertheilenden Jüngern gebo-
ten habe. Zur Anschauung kann man sich dann den Vor-
gang auf die doppelte Art zu bringen sucher, daſs man
entweder sich vorstellt, so oft ein Brotkuchen und ein
Fisch zu Ende war, sei aus den Händen Jesu ein neuer
gekommen, oder man denkt sich, die einzelnen Brotku-
chen und Fische seien gewachsen, so daſs, wie ein Stück
abgebrochen wurde, es sich so lange wieder ergänzte, bis
berechnetermaſsen die Reihe an den folgenden kommen
konnte. Die erstere Vorstellung scheint dem Texte fremd
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/226>, abgerufen am 24.11.2024.
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