Doch nicht bloss, dass er überhaupt Wunder thun sollte, sondern auch die verschiedenen Arten von Wun- dern, welche der Messias verrichten würde, waren in der Volkserwartung vorherbestimmt. Auch diess durch alttestamentliche Vorbilder und Aussprüche. Durch Moses war dem Volke auf übernatürliche Art Speise und Trank gewährt worden (2 Mos. 16, 17): ein Gleiches erwartete man, wie die Rabbinen ausdrücklich sagen, vom Messias; auf Elisa's Bitten waren den Einen die Augen auf über- natürliche Weise verschlossen, den Andern ebenso geöff- net worden (2 Kön. 6.): auch der Messias sollte die Au- gen der Blinden aufthun; selbst Todte hatte der genannte Prophet und sein Lehrer wiederbelebt (1 Kön. 17. 2 Kön. 4): so konnte auch dem Messias die Macht über den Tod nicht fehlen 2). Unter den Weissagungen war besonders Jes. 35, 5 f. auf diese Seite der Messiasvorstellung von Ein- fluss. Hier war von der messianischen Zeit gesagt (LXX.): tote anoikhthesontai ophthalmoi tuphlon, kai ota kophon akou- sontai; tote aleitai os elaphos o kholos, trane de esai glos- sa mogilalon, was, bei Jesaias zwar in bildlichem Zusam- menhang, doch bald eigentlich verstanden wurde, wie daraus erhellt, dass Jesus den Boten des Johannes gegenüber (Matth. 11, 5.) mit offenbarer Beziehung auf diese Pro- phetenstelle seine Wunderthaten beschreibt.
Diese Erwartung trat auch Jesu, sofern er zunächst für einen Propheten, weiterhin für den Messias sich gab und gehalten wurde, als Forderung entgegen, wenn er nach mehreren bereits betrachteten Stellen (Matth. 12, 38. 16, 1. parall.) von seinen pharisäischen Gegnern um ein semeion angegangen wurde; wenn nach der gewaltsamen Vertreibung der Verkäufer und Wechsler aus dem Tempel
2) S. die a. a. O. des 1. Bds angeführten rabbinischen Stellen.
Doch nicht bloſs, daſs er überhaupt Wunder thun sollte, sondern auch die verschiedenen Arten von Wun- dern, welche der Messias verrichten würde, waren in der Volkserwartung vorherbestimmt. Auch dieſs durch alttestamentliche Vorbilder und Aussprüche. Durch Moses war dem Volke auf übernatürliche Art Speise und Trank gewährt worden (2 Mos. 16, 17): ein Gleiches erwartete man, wie die Rabbinen ausdrücklich sagen, vom Messias; auf Elisa's Bitten waren den Einen die Augen auf über- natürliche Weise verschlossen, den Andern ebenso geöff- net worden (2 Kön. 6.): auch der Messias sollte die Au- gen der Blinden aufthun; selbst Todte hatte der genannte Prophet und sein Lehrer wiederbelebt (1 Kön. 17. 2 Kön. 4): so konnte auch dem Messias die Macht über den Tod nicht fehlen 2). Unter den Weissagungen war besonders Jes. 35, 5 f. auf diese Seite der Messiasvorstellung von Ein- fluſs. Hier war von der messianischen Zeit gesagt (LXX.): τότε ἀνοιχϑήσονται ὀφϑαλμοὶ τυφλῶν, καὶ ὦτα κωφῶν ἀκού- σονται· τότε ἁλεῖται ὡς ἐλαφος ὁ χωλὸς, τρανὴ δὲ ἔςαι γλῶσ- σα μογιλάλων, was, bei Jesaias zwar in bildlichem Zusam- menhang, doch bald eigentlich verstanden wurde, wie daraus erhellt, daſs Jesus den Boten des Johannes gegenüber (Matth. 11, 5.) mit offenbarer Beziehung auf diese Pro- phetenstelle seine Wunderthaten beschreibt.
Diese Erwartung trat auch Jesu, sofern er zunächst für einen Propheten, weiterhin für den Messias sich gab und gehalten wurde, als Forderung entgegen, wenn er nach mehreren bereits betrachteten Stellen (Matth. 12, 38. 16, 1. parall.) von seinen pharisäischen Gegnern um ein σημεῖον angegangen wurde; wenn nach der gewaltsamen Vertreibung der Verkäufer und Wechsler aus dem Tempel
2) S. die a. a. O. des 1. Bds angeführten rabbinischen Stellen.
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[2/0021]
Zweiter Abschnitt.
μήτι πλείονα σημεῖα τούτων ποιήσει, ῶν οὖτος ἐποίησεν
(Joh. 7, 31);
Doch nicht bloſs, daſs er überhaupt Wunder thun
sollte, sondern auch die verschiedenen Arten von Wun-
dern, welche der Messias verrichten würde, waren in
der Volkserwartung vorherbestimmt. Auch dieſs durch
alttestamentliche Vorbilder und Aussprüche. Durch Moses
war dem Volke auf übernatürliche Art Speise und Trank
gewährt worden (2 Mos. 16, 17): ein Gleiches erwartete
man, wie die Rabbinen ausdrücklich sagen, vom Messias;
auf Elisa's Bitten waren den Einen die Augen auf über-
natürliche Weise verschlossen, den Andern ebenso geöff-
net worden (2 Kön. 6.): auch der Messias sollte die Au-
gen der Blinden aufthun; selbst Todte hatte der genannte
Prophet und sein Lehrer wiederbelebt (1 Kön. 17. 2 Kön. 4):
so konnte auch dem Messias die Macht über den Tod nicht
fehlen 2). Unter den Weissagungen war besonders Jes.
35, 5 f. auf diese Seite der Messiasvorstellung von Ein-
fluſs. Hier war von der messianischen Zeit gesagt (LXX.):
τότε ἀνοιχϑήσονται ὀφϑαλμοὶ τυφλῶν, καὶ ὦτα κωφῶν ἀκού-
σονται· τότε ἁλεῖται ὡς ἐλαφος ὁ χωλὸς, τρανὴ δὲ ἔςαι γλῶσ-
σα μογιλάλων, was, bei Jesaias zwar in bildlichem Zusam-
menhang, doch bald eigentlich verstanden wurde, wie daraus
erhellt, daſs Jesus den Boten des Johannes gegenüber
(Matth. 11, 5.) mit offenbarer Beziehung auf diese Pro-
phetenstelle seine Wunderthaten beschreibt.
Diese Erwartung trat auch Jesu, sofern er zunächst
für einen Propheten, weiterhin für den Messias sich gab
und gehalten wurde, als Forderung entgegen, wenn er
nach mehreren bereits betrachteten Stellen (Matth. 12, 38.
16, 1. parall.) von seinen pharisäischen Gegnern um ein
σημεῖον angegangen wurde; wenn nach der gewaltsamen
Vertreibung der Verkäufer und Wechsler aus dem Tempel
2) S. die a. a. O. des 1. Bds angeführten rabbinischen Stellen.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/21>, abgerufen am 24.11.2024.
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