Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweiter Abschnitt.
rung seiner mit göttlicher Macht gerüsteten Hand, das Me-
dium der Erweckung des Mädchens gewesen sei.

Bei der dem Lukas eigenthümlichen Erweckungsge-
schichte (7, 11 ff.) fehlt der natürlichen Erklärung die
Handhabe, die in der zulezt betrachteten der Ausspruch
Jesu bot, in welchem er den wirklich erfolgten Tod des
Mädchens zu leugnen schien. Dennoch fassen die ratio-
nalistischen Ausleger Muth, und knüpfen ihre Hoffnungen
hauptsächlich daran, dass Jesus V. 14. den im Sarge lie-
genden Jüngling anredet: anreden aber, sagen sie, könne
man doch nicht einen Todten, sondern nur einen solchen,
den man des Hörens fähig erkannt habe oder vermuthe 12).
Allein dieser Kanon würde auch beweisen, dass die Tod
ten alle, welche am Ende der Tage Christus auferwecken
wird, nur Scheintodte seien, da sie sonst nicht, wie es
doch ausdrücklich heisst (Joh. 5, 28. vgl. 1. Thess. 4, 16.),
seine Stimme hören könnten, -- er würde also zu viel be-
weisen. Allerdings muss, wer angeredet wird, als hörend
und in gewissem Sinne lebend vorausgesezt werden, aber
hier nur insofern, als die Stimme des Todtenerweckers
auch in erstorbene Ohren dringen kann. Nächstdem wer-
den wir zwar die Möglichkeit, dass bei der jüdischen Un-
sitte, die Todten schon einige Stunden nach deren Ver-
scheiden zu begraben, leicht ein bloss Scheintodter zu
Grabe getragen werden konnte, zugeben müssen 13): alles
Weitere aber, wodurch gezeigt werden soll, dass diese
Möglichkeit hier Wirklichkeit gewesen, ist ein Gewebe
von Erdichtungen. Um zu erklären, wie Jesus, auch ohne
den Vorsaz, hier ein Wunder zu thun, sich mit dem Lei-
chenzuge einlassen, wie er auf die Vermuthung, der zu
Begrabende möchte vielleicht nicht wirklich todt sein, kom-
men konnte, wird zuerst fingirt, die beiden Züge, der

12) Paulus, ex. Handb. 1, b, S. 716. Anm. und 719 f.
13) Ders. a. a. O. S. 723.

Zweiter Abschnitt.
rung seiner mit göttlicher Macht gerüsteten Hand, das Me-
dium der Erweckung des Mädchens gewesen sei.

Bei der dem Lukas eigenthümlichen Erweckungsge-
schichte (7, 11 ff.) fehlt der natürlichen Erklärung die
Handhabe, die in der zulezt betrachteten der Ausspruch
Jesu bot, in welchem er den wirklich erfolgten Tod des
Mädchens zu leugnen schien. Dennoch fassen die ratio-
nalistischen Ausleger Muth, und knüpfen ihre Hoffnungen
hauptsächlich daran, daſs Jesus V. 14. den im Sarge lie-
genden Jüngling anredet: anreden aber, sagen sie, könne
man doch nicht einen Todten, sondern nur einen solchen,
den man des Hörens fähig erkannt habe oder vermuthe 12).
Allein dieser Kanon würde auch beweisen, daſs die Tod
ten alle, welche am Ende der Tage Christus auferwecken
wird, nur Scheintodte seien, da sie sonst nicht, wie es
doch ausdrücklich heiſst (Joh. 5, 28. vgl. 1. Thess. 4, 16.),
seine Stimme hören könnten, — er würde also zu viel be-
weisen. Allerdings muſs, wer angeredet wird, als hörend
und in gewissem Sinne lebend vorausgesezt werden, aber
hier nur insofern, als die Stimme des Todtenerweckers
auch in erstorbene Ohren dringen kann. Nächstdem wer-
den wir zwar die Möglichkeit, daſs bei der jüdischen Un-
sitte, die Todten schon einige Stunden nach deren Ver-
scheiden zu begraben, leicht ein bloſs Scheintodter zu
Grabe getragen werden konnte, zugeben müssen 13): alles
Weitere aber, wodurch gezeigt werden soll, daſs diese
Möglichkeit hier Wirklichkeit gewesen, ist ein Gewebe
von Erdichtungen. Um zu erklären, wie Jesus, auch ohne
den Vorsaz, hier ein Wunder zu thun, sich mit dem Lei-
chenzuge einlassen, wie er auf die Vermuthung, der zu
Begrabende möchte vielleicht nicht wirklich todt sein, kom-
men konnte, wird zuerst fingirt, die beiden Züge, der

12) Paulus, ex. Handb. 1, b, S. 716. Anm. und 719 f.
13) Ders. a. a. O. S. 723.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0159" n="140"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweiter Abschnitt</hi>.</fw><lb/>
rung seiner mit göttlicher Macht gerüsteten Hand, das Me-<lb/>
dium der Erweckung des Mädchens gewesen sei.</p><lb/>
          <p>Bei der dem Lukas eigenthümlichen Erweckungsge-<lb/>
schichte (7, 11 ff.) fehlt der natürlichen Erklärung die<lb/>
Handhabe, die in der zulezt betrachteten der Ausspruch<lb/>
Jesu bot, in welchem er den wirklich erfolgten Tod des<lb/>
Mädchens zu leugnen schien. Dennoch fassen die ratio-<lb/>
nalistischen Ausleger Muth, und knüpfen ihre Hoffnungen<lb/>
hauptsächlich daran, da&#x017F;s Jesus V. 14. den im Sarge lie-<lb/>
genden Jüngling anredet: anreden aber, sagen sie, könne<lb/>
man doch nicht einen Todten, sondern nur einen solchen,<lb/>
den man des Hörens fähig erkannt habe oder vermuthe <note place="foot" n="12)"><hi rendition="#k">Paulus</hi>, ex. Handb. 1, b, S. 716. Anm. und 719 f.</note>.<lb/>
Allein dieser Kanon würde auch beweisen, da&#x017F;s die Tod<lb/>
ten alle, welche am Ende der Tage Christus auferwecken<lb/>
wird, nur Scheintodte seien, da sie sonst nicht, wie es<lb/>
doch ausdrücklich hei&#x017F;st (Joh. 5, 28. vgl. 1. Thess. 4, 16.),<lb/>
seine Stimme hören könnten, &#x2014; er würde also zu viel be-<lb/>
weisen. Allerdings mu&#x017F;s, wer angeredet wird, als hörend<lb/>
und in gewissem Sinne lebend vorausgesezt werden, aber<lb/>
hier nur insofern, als die Stimme des Todtenerweckers<lb/>
auch in erstorbene Ohren dringen kann. Nächstdem wer-<lb/>
den wir zwar die Möglichkeit, da&#x017F;s bei der jüdischen Un-<lb/>
sitte, die Todten schon einige Stunden nach deren Ver-<lb/>
scheiden zu begraben, leicht ein blo&#x017F;s Scheintodter zu<lb/>
Grabe getragen werden konnte, zugeben müssen <note place="foot" n="13)">Ders. a. a. O. S. 723.</note>: alles<lb/>
Weitere aber, wodurch gezeigt werden soll, da&#x017F;s diese<lb/>
Möglichkeit hier Wirklichkeit gewesen, ist ein Gewebe<lb/>
von Erdichtungen. Um zu erklären, wie Jesus, auch ohne<lb/>
den Vorsaz, hier ein Wunder zu thun, sich mit dem Lei-<lb/>
chenzuge einlassen, wie er auf die Vermuthung, der zu<lb/>
Begrabende möchte vielleicht nicht wirklich todt sein, kom-<lb/>
men konnte, wird zuerst fingirt, die beiden Züge, der<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[140/0159] Zweiter Abschnitt. rung seiner mit göttlicher Macht gerüsteten Hand, das Me- dium der Erweckung des Mädchens gewesen sei. Bei der dem Lukas eigenthümlichen Erweckungsge- schichte (7, 11 ff.) fehlt der natürlichen Erklärung die Handhabe, die in der zulezt betrachteten der Ausspruch Jesu bot, in welchem er den wirklich erfolgten Tod des Mädchens zu leugnen schien. Dennoch fassen die ratio- nalistischen Ausleger Muth, und knüpfen ihre Hoffnungen hauptsächlich daran, daſs Jesus V. 14. den im Sarge lie- genden Jüngling anredet: anreden aber, sagen sie, könne man doch nicht einen Todten, sondern nur einen solchen, den man des Hörens fähig erkannt habe oder vermuthe 12). Allein dieser Kanon würde auch beweisen, daſs die Tod ten alle, welche am Ende der Tage Christus auferwecken wird, nur Scheintodte seien, da sie sonst nicht, wie es doch ausdrücklich heiſst (Joh. 5, 28. vgl. 1. Thess. 4, 16.), seine Stimme hören könnten, — er würde also zu viel be- weisen. Allerdings muſs, wer angeredet wird, als hörend und in gewissem Sinne lebend vorausgesezt werden, aber hier nur insofern, als die Stimme des Todtenerweckers auch in erstorbene Ohren dringen kann. Nächstdem wer- den wir zwar die Möglichkeit, daſs bei der jüdischen Un- sitte, die Todten schon einige Stunden nach deren Ver- scheiden zu begraben, leicht ein bloſs Scheintodter zu Grabe getragen werden konnte, zugeben müssen 13): alles Weitere aber, wodurch gezeigt werden soll, daſs diese Möglichkeit hier Wirklichkeit gewesen, ist ein Gewebe von Erdichtungen. Um zu erklären, wie Jesus, auch ohne den Vorsaz, hier ein Wunder zu thun, sich mit dem Lei- chenzuge einlassen, wie er auf die Vermuthung, der zu Begrabende möchte vielleicht nicht wirklich todt sein, kom- men konnte, wird zuerst fingirt, die beiden Züge, der 12) Paulus, ex. Handb. 1, b, S. 716. Anm. und 719 f. 13) Ders. a. a. O. S. 723.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/159
Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/159>, abgerufen am 27.04.2024.