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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Neuntes Kapitel. §. 96.

Doch auch abgesehen von der falschen Deutung der
Worte Jesu hat diese Erklärung noch manche andere
Schwierigkeiten. Zwar, dass sowohl an sich bei manchen
Krankheiten Zustände eintreten können, welche dem Tode
täuschend ähnlich sehen, als auch insbesondere bei dem
schlechten Zustand der Heilkunde unter den damaligen Ju-
den eine Ohnmacht leicht für wirklichen Tod genommen
werden konnte, ist nicht in Abrede zu stellen. Nun aber,
woher soll Jesus gewusst haben, dass gerade bei diesem
Mädchen ein blosser Scheintod stattfand? Erzählte ihm
auch der Vater den Gang der Krankheit noch so genau,
ja, war er mit den Umständen des Mädchens vielleicht
vorher schon bekannt, wie die natürliche Erklärung sup-
ponirt, immer fragt sich, wie er hierauf so viel bauen konn-
te, um, ohne das Kind noch gesehen zu haben, im Wi-
derspruch gegen die Versicherung der Augenzeugen, es,
nach der rationalistischen Deutung seiner Worte, bestimmt
für nicht gestorben zu erklären? Diess wäre Vermessenheit
gewesen und Unklugheit dazu, wenn nicht anders Jesus
auf übernatürlichem Wege von dem wahren Thatbestand
sichere Kenntniss hatte, womit aber der Standpunkt der
natürlichen Erklärung verlassen wäre. Nach Jesu Ankunft
bei der angeblich Scheintodten schiebt nun Paulus zwi-
schen das ekratese tes kheiros autes und das egerthe to
korasion, was, bei Matthäus schon enge genug verbunden,
die beiden andern Evangelisten durch eutheos und para-
khrema noch näher zusammenrücken, eine längere Zeit der
ärztlichen Behandlung ein, und Venturini weiss die ange-
wandten Mittel sogar im Einzelnen namhaft zu machen 11).
Mit Recht hält gegen solche Willkührlichkeiten Olshausen
daran fest, dass nach der Ansicht der Erzähler der bele-
bende Ruf Jesu, und wir können hinzusetzen, die Berüh-

11) Natürliche Geschichte, 2, S. 212.
Neuntes Kapitel. §. 96.

Doch auch abgesehen von der falschen Deutung der
Worte Jesu hat diese Erklärung noch manche andere
Schwierigkeiten. Zwar, daſs sowohl an sich bei manchen
Krankheiten Zustände eintreten können, welche dem Tode
täuschend ähnlich sehen, als auch insbesondere bei dem
schlechten Zustand der Heilkunde unter den damaligen Ju-
den eine Ohnmacht leicht für wirklichen Tod genommen
werden konnte, ist nicht in Abrede zu stellen. Nun aber,
woher soll Jesus gewuſst haben, daſs gerade bei diesem
Mädchen ein bloſser Scheintod stattfand? Erzählte ihm
auch der Vater den Gang der Krankheit noch so genau,
ja, war er mit den Umständen des Mädchens vielleicht
vorher schon bekannt, wie die natürliche Erklärung sup-
ponirt, immer fragt sich, wie er hierauf so viel bauen konn-
te, um, ohne das Kind noch gesehen zu haben, im Wi-
derspruch gegen die Versicherung der Augenzeugen, es,
nach der rationalistischen Deutung seiner Worte, bestimmt
für nicht gestorben zu erklären? Dieſs wäre Vermessenheit
gewesen und Unklugheit dazu, wenn nicht anders Jesus
auf übernatürlichem Wege von dem wahren Thatbestand
sichere Kenntniſs hatte, womit aber der Standpunkt der
natürlichen Erklärung verlassen wäre. Nach Jesu Ankunft
bei der angeblich Scheintodten schiebt nun Paulus zwi-
schen das ἐκράτησε τῆς χειρὸς αὐτῆς und das ἠγέρϑη τὸ
κοράσιον, was, bei Matthäus schon enge genug verbunden,
die beiden andern Evangelisten durch εὐϑέως und παρα-
χρῆμα noch näher zusammenrücken, eine längere Zeit der
ärztlichen Behandlung ein, und Venturini weiſs die ange-
wandten Mittel sogar im Einzelnen namhaft zu machen 11).
Mit Recht hält gegen solche Willkührlichkeiten Olshausen
daran fest, daſs nach der Ansicht der Erzähler der bele-
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11) Natürliche Geschichte, 2, S. 212.
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[139/0158] Neuntes Kapitel. §. 96. Doch auch abgesehen von der falschen Deutung der Worte Jesu hat diese Erklärung noch manche andere Schwierigkeiten. Zwar, daſs sowohl an sich bei manchen Krankheiten Zustände eintreten können, welche dem Tode täuschend ähnlich sehen, als auch insbesondere bei dem schlechten Zustand der Heilkunde unter den damaligen Ju- den eine Ohnmacht leicht für wirklichen Tod genommen werden konnte, ist nicht in Abrede zu stellen. Nun aber, woher soll Jesus gewuſst haben, daſs gerade bei diesem Mädchen ein bloſser Scheintod stattfand? Erzählte ihm auch der Vater den Gang der Krankheit noch so genau, ja, war er mit den Umständen des Mädchens vielleicht vorher schon bekannt, wie die natürliche Erklärung sup- ponirt, immer fragt sich, wie er hierauf so viel bauen konn- te, um, ohne das Kind noch gesehen zu haben, im Wi- derspruch gegen die Versicherung der Augenzeugen, es, nach der rationalistischen Deutung seiner Worte, bestimmt für nicht gestorben zu erklären? Dieſs wäre Vermessenheit gewesen und Unklugheit dazu, wenn nicht anders Jesus auf übernatürlichem Wege von dem wahren Thatbestand sichere Kenntniſs hatte, womit aber der Standpunkt der natürlichen Erklärung verlassen wäre. Nach Jesu Ankunft bei der angeblich Scheintodten schiebt nun Paulus zwi- schen das ἐκράτησε τῆς χειρὸς αὐτῆς und das ἠγέρϑη τὸ κοράσιον, was, bei Matthäus schon enge genug verbunden, die beiden andern Evangelisten durch εὐϑέως und παρα- χρῆμα noch näher zusammenrücken, eine längere Zeit der ärztlichen Behandlung ein, und Venturini weiſs die ange- wandten Mittel sogar im Einzelnen namhaft zu machen 11). Mit Recht hält gegen solche Willkührlichkeiten Olshausen daran fest, daſs nach der Ansicht der Erzähler der bele- bende Ruf Jesu, und wir können hinzusetzen, die Berüh- 11) Natürliche Geschichte, 2, S. 212.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/158>, abgerufen am 24.11.2024.