Übel steht nun allerdings im Widerspruch mit jener esote- rischen, essenisch-ebionitischen, die wir im Eingang der Bergrede, im Gleichniss vom reichen Mann und sonst ge- funden haben, nach welcher vielmehr die Gerechten in die- sem Äon die Leidenden, Armen, Kranken sind: allein bei- de Ansichten liegen einmal in den Äusserungen Jesu für eine unbefangene Exegese zu Tage, und der Widerspruch, welchen wir zwischen beiden finden, berechtigt uns we- der, die eine Klasse von Aussprüchen gewaltsam zu deu- ten, noch auch, sie Jesu abzusprechen, da wir nicht be- rechnen können, wie er den Widerstreit zweier ihm von verschiedenen Seiten der damaligen jüdischen Bildung her gebotenen Weltanschauungen für sich gelöst haben mag.
Was nun die oben erwähnte Heilung betrifft, so las- sen die Synoptiker Jesum den Boten des Täufers gegen- über sich namentlich auch darauf berufen, dass durch sei- ne Wundermacht kholoi peripatousin (Matth. 11, 5.), und ein andermal wundert sich das Volk, wie es neben andern Geheilten auch kholous peripatountas und kullous ugieis er- blickt (Matth. 15, 31.). An der Stelle der kholoi werden anderwärts paralutikoi aufgeführt (Matth. 4, 24.), und namentlich sind in den detaillirten Heilungsgeschichten, welche wir über diese Art von Kranken haben, (wie Matth. 9, 1 ff. parall. 8, 5 ff. parall.) nicht kholoi, sondern para- lutikoi genannt. Der Kranke Joh. 5, 5. gehörte wohl zu den kholois, von welchen V. 3. die Rede gewesen war; ebendaselbst sind xeroi aufgeführt, und so finden wir Matth. 12, 9 ff. parall. die Heilung eines Menschen, der eine kheir xera hatte. Da jedoch die drei zulezt angeführten Hei- lungen von Gliederkranken unter andern Rubriken uns wiederkehren werden: so bleibt hier nur die Heilung des Paralytischen Matth. 9, 1 ff. parall. zu beleuchten übrig.
Da die Definitionen, welche die alten Ärzte von der paralusis geben, zwar alle auf Lähmung, aber unentschie-
Zweiter Abschnitt.
Übel steht nun allerdings im Widerspruch mit jener esote- rischen, essenisch-ebionitischen, die wir im Eingang der Bergrede, im Gleichniſs vom reichen Mann und sonst ge- funden haben, nach welcher vielmehr die Gerechten in die- sem Äon die Leidenden, Armen, Kranken sind: allein bei- de Ansichten liegen einmal in den Äusserungen Jesu für eine unbefangene Exegese zu Tage, und der Widerspruch, welchen wir zwischen beiden finden, berechtigt uns we- der, die eine Klasse von Aussprüchen gewaltsam zu deu- ten, noch auch, sie Jesu abzusprechen, da wir nicht be- rechnen können, wie er den Widerstreit zweier ihm von verschiedenen Seiten der damaligen jüdischen Bildung her gebotenen Weltanschauungen für sich gelöst haben mag.
Was nun die oben erwähnte Heilung betrifft, so las- sen die Synoptiker Jesum den Boten des Täufers gegen- über sich namentlich auch darauf berufen, daſs durch sei- ne Wundermacht χωλοὶ περιπατοῦσιν (Matth. 11, 5.), und ein andermal wundert sich das Volk, wie es neben andern Geheilten auch χωλοὺς περιπατοῦντας und κυλλοὺς ὑγιεῖς er- blickt (Matth. 15, 31.). An der Stelle der χωλοὶ werden anderwärts παραλυτικοὶ aufgeführt (Matth. 4, 24.), und namentlich sind in den detaillirten Heilungsgeschichten, welche wir über diese Art von Kranken haben, (wie Matth. 9, 1 ff. parall. 8, 5 ff. parall.) nicht χωλοὶ, sondern παρα- λυτικοὶ genannt. Der Kranke Joh. 5, 5. gehörte wohl zu den χωλοῖς, von welchen V. 3. die Rede gewesen war; ebendaselbst sind ξηροὶ aufgeführt, und so finden wir Matth. 12, 9 ff. parall. die Heilung eines Menschen, der eine χεὶρ ξηρὰ hatte. Da jedoch die drei zulezt angeführten Hei- lungen von Gliederkranken unter andern Rubriken uns wiederkehren werden: so bleibt hier nur die Heilung des Paralytischen Matth. 9, 1 ff. parall. zu beleuchten übrig.
Da die Definitionen, welche die alten Ärzte von der παράλυσις geben, zwar alle auf Lähmung, aber unentschie-
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Zweiter Abschnitt.
Übel steht nun allerdings im Widerspruch mit jener esote-
rischen, essenisch-ebionitischen, die wir im Eingang der
Bergrede, im Gleichniſs vom reichen Mann und sonst ge-
funden haben, nach welcher vielmehr die Gerechten in die-
sem Äon die Leidenden, Armen, Kranken sind: allein bei-
de Ansichten liegen einmal in den Äusserungen Jesu für
eine unbefangene Exegese zu Tage, und der Widerspruch,
welchen wir zwischen beiden finden, berechtigt uns we-
der, die eine Klasse von Aussprüchen gewaltsam zu deu-
ten, noch auch, sie Jesu abzusprechen, da wir nicht be-
rechnen können, wie er den Widerstreit zweier ihm von
verschiedenen Seiten der damaligen jüdischen Bildung her
gebotenen Weltanschauungen für sich gelöst haben mag.
Was nun die oben erwähnte Heilung betrifft, so las-
sen die Synoptiker Jesum den Boten des Täufers gegen-
über sich namentlich auch darauf berufen, daſs durch sei-
ne Wundermacht χωλοὶ περιπατοῦσιν (Matth. 11, 5.), und
ein andermal wundert sich das Volk, wie es neben andern
Geheilten auch χωλοὺς περιπατοῦντας und κυλλοὺς ὑγιεῖς er-
blickt (Matth. 15, 31.). An der Stelle der χωλοὶ werden
anderwärts παραλυτικοὶ aufgeführt (Matth. 4, 24.), und
namentlich sind in den detaillirten Heilungsgeschichten,
welche wir über diese Art von Kranken haben, (wie Matth.
9, 1 ff. parall. 8, 5 ff. parall.) nicht χωλοὶ, sondern παρα-
λυτικοὶ genannt. Der Kranke Joh. 5, 5. gehörte wohl zu
den χωλοῖς, von welchen V. 3. die Rede gewesen war;
ebendaselbst sind ξηροὶ aufgeführt, und so finden wir Matth.
12, 9 ff. parall. die Heilung eines Menschen, der eine χεὶρ
ξηρὰ hatte. Da jedoch die drei zulezt angeführten Hei-
lungen von Gliederkranken unter andern Rubriken uns
wiederkehren werden: so bleibt hier nur die Heilung des
Paralytischen Matth. 9, 1 ff. parall. zu beleuchten übrig.
Da die Definitionen, welche die alten Ärzte von der
παράλυσις geben, zwar alle auf Lähmung, aber unentschie-
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/107>, abgerufen am 23.11.2024.
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