den gewesen, welche durch natürliche Erklärung zurecht zu stellen sei; wogegen die im N. T. angenommenen My- then die auf vergangne Fakta zurückgetragne Meinung der später Lebenden enthalten, und dadurch der natürlichen Erklärung entzogen werden sollen. Allein, was Paulus als Beleg dieser Ansicht von der heidnischen Mythologie an- führt, das sind doch nur solche Punkte, wie Begeisterung des Dichters durch die Musen, Einsprache der Götter im Traum u. dgl., was nur mythische Vorstellungen, nicht aber eigentliche Mythen sind; diese selber, die mythischen Erzählungen, z. B. vom Argonautenzug, vom trojischen Krieg u. s. f., würde ihm doch schwer fallen, aus psy- chologischer Täuschung der Mitlebenden zu erklären, und es würde ihm kaum etwas Andres übrig bleiben, als sie für zurückgetragene Vorstellungen der Nachgeborenen zu halten, also sie ebenso zu behandeln, wie, wer im N. T. Mythen anerkennt, mit diesen verfährt.
Kaum einer Erwähnung werth sind solche Einwände, wie man sie dessen ungeachtet nicht selten noch zu lesen und zu hören bekommt: da das Christenthum eine histo- rische Religion sei, so können in seinen Urkunden keine Mythen sich finden (als ob nicht nach der vorgefundenen Beschaffenheit der Urkunden unsre Vorstellung von dem historischen Charakter des Christenthums sich zu richten hätte); mythologisch sei nur der Polytheismus, der Mono- theismus sei antimythologisch; bei den Völkern, welche Mythen haben, laufe Alles auf das Suchen eines Höheren, einer Gottheit hinaus, und so lasse sich der Mythenbegriff auf das A. und N. T. schon desshalb nicht anwenden, weil in ihnen die Lehre von dem wahren Gott schon ge- funden sei 10) (allerdings drückt die mythische Darstellung ein Suchen und Ringen, das noch nicht gefunden hat,
10)Werner, geschichtliche Auffassung der 3 ersten Kapitel des ersten Buchs Mosis, S. 49.
Einleitung. §. 12.
den gewesen, welche durch natürliche Erklärung zurecht zu stellen sei; wogegen die im N. T. angenommenen My- then die auf vergangne Fakta zurückgetragne Meinung der später Lebenden enthalten, und dadurch der natürlichen Erklärung entzogen werden sollen. Allein, was Paulus als Beleg dieser Ansicht von der heidnischen Mythologie an- führt, das sind doch nur solche Punkte, wie Begeisterung des Dichters durch die Musen, Einsprache der Götter im Traum u. dgl., was nur mythische Vorstellungen, nicht aber eigentliche Mythen sind; diese selber, die mythischen Erzählungen, z. B. vom Argonautenzug, vom trojischen Krieg u. s. f., würde ihm doch schwer fallen, aus psy- chologischer Täuschung der Mitlebenden zu erklären, und es würde ihm kaum etwas Andres übrig bleiben, als sie für zurückgetragene Vorstellungen der Nachgeborenen zu halten, also sie ebenso zu behandeln, wie, wer im N. T. Mythen anerkennt, mit diesen verfährt.
Kaum einer Erwähnung werth sind solche Einwände, wie man sie dessen ungeachtet nicht selten noch zu lesen und zu hören bekommt: da das Christenthum eine histo- rische Religion sei, so können in seinen Urkunden keine Mythen sich finden (als ob nicht nach der vorgefundenen Beschaffenheit der Urkunden unsre Vorstellung von dem historischen Charakter des Christenthums sich zu richten hätte); mythologisch sei nur der Polytheismus, der Mono- theismus sei antimythologisch; bei den Völkern, welche Mythen haben, laufe Alles auf das Suchen eines Höheren, einer Gottheit hinaus, und so lasse sich der Mythenbegriff auf das A. und N. T. schon deſshalb nicht anwenden, weil in ihnen die Lehre von dem wahren Gott schon ge- funden sei 10) (allerdings drückt die mythische Darstellung ein Suchen und Ringen, das noch nicht gefunden hat,
10)Werner, geschichtliche Auffassung der 3 ersten Kapitel des ersten Buchs Mosis, S. 49.
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Einleitung. §. 12.
den gewesen, welche durch natürliche Erklärung zurecht
zu stellen sei; wogegen die im N. T. angenommenen My-
then die auf vergangne Fakta zurückgetragne Meinung der
später Lebenden enthalten, und dadurch der natürlichen
Erklärung entzogen werden sollen. Allein, was Paulus als
Beleg dieser Ansicht von der heidnischen Mythologie an-
führt, das sind doch nur solche Punkte, wie Begeisterung
des Dichters durch die Musen, Einsprache der Götter im
Traum u. dgl., was nur mythische Vorstellungen, nicht
aber eigentliche Mythen sind; diese selber, die mythischen
Erzählungen, z. B. vom Argonautenzug, vom trojischen
Krieg u. s. f., würde ihm doch schwer fallen, aus psy-
chologischer Täuschung der Mitlebenden zu erklären, und
es würde ihm kaum etwas Andres übrig bleiben, als sie
für zurückgetragene Vorstellungen der Nachgeborenen zu
halten, also sie ebenso zu behandeln, wie, wer im N. T.
Mythen anerkennt, mit diesen verfährt.
Kaum einer Erwähnung werth sind solche Einwände,
wie man sie dessen ungeachtet nicht selten noch zu lesen
und zu hören bekommt: da das Christenthum eine histo-
rische Religion sei, so können in seinen Urkunden keine
Mythen sich finden (als ob nicht nach der vorgefundenen
Beschaffenheit der Urkunden unsre Vorstellung von dem
historischen Charakter des Christenthums sich zu richten
hätte); mythologisch sei nur der Polytheismus, der Mono-
theismus sei antimythologisch; bei den Völkern, welche
Mythen haben, laufe Alles auf das Suchen eines Höheren,
einer Gottheit hinaus, und so lasse sich der Mythenbegriff
auf das A. und N. T. schon deſshalb nicht anwenden,
weil in ihnen die Lehre von dem wahren Gott schon ge-
funden sei 10) (allerdings drückt die mythische Darstellung
ein Suchen und Ringen, das noch nicht gefunden hat,
10) Werner, geschichtliche Auffassung der 3 ersten Kapitel des
ersten Buchs Mosis, S. 49.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/83>, abgerufen am 24.11.2024.
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