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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Zweiter Abschnitt.
unsern bisherigen Wahrnehmungen nicht mehr befremden,
und ebensowenig die Beschaffenheit der Gründe, aus wel-
chen es geschieht: nämlich vermöge des Cirkelschlusses,
dass die Erzählung des Augenzeugen Johannes ohne Wei-
teres als die richtige vorausgesetzt werden müsse 21),
welcher indess bisweilen noch durch den falschen Ober-
saz weiter begründet wird, dass, wer nur ausführlicher
und anschaulicher erzähle, der genauere Referent, der
Augenzeuge sei 22). Von solchen Anschaulichkeiten wird
man wohl leicht geneigt sein, dem Markus sein suntripsasa
als Ausmalung zurückzugeben: hat aber nicht auch Jo-
hannes in seiner Angabe von einem Pfunde Narden einen
an Übertreibung grenzenden Zug, so dass die Extravaganz,
welche Olshausen in Bezug auf einen so unverhältnissmäs-
sigen Verbrauch von Salbe der Liebe Maria's zuschreibt,
auf die Phantasie des Evangelisten zu übertragen wäre,
womit dann auch die Angabe: e de oikia eplerothe ek tes
osmes tou murou auf gleiche Rechnung käme? Bemerkens-
werth ist auch, dass die Zahlbestimmung des Werthes
der Salbe zu 300 Denaren nur Johannes und Markus
geben, wie auch bei der wunderbaren Speisung gleich-
falls diese beiden den Anschlag der nöthigen Lebensmittel
auf 200 Denare gemein haben. Hätte bloss Markus diese
näheren Bestimmungen, wie schnell wären sie, wenigstens
von Schleiermacher, für Zusätze aus den eigenen Mitteln
des Erzählers erklärt: was, wie nun die Sachen stehen,
dieses Urtheil selbst als Vermuthung nicht aufkommen
lässt, ist es etwas Anderes, als das Vorurtheil für das
vierte Evangelium? Hat man doch selbst die Hauptsalbung
der beiden Synoptiker, weil Johannes statt derselben eine
Fusssalbung hat, für ungewöhnlich und zum Mahle nicht
passend ausgegeben 23), während, wie auch der neueste

21) Sieffert, a. a. O. S. 123 f.
22) Schulz, a. a. O. S. 320 f.
23) Schneckenburger, a. a. O. S. 60.

Zweiter Abschnitt.
unsern bisherigen Wahrnehmungen nicht mehr befremden,
und ebensowenig die Beschaffenheit der Gründe, aus wel-
chen es geschieht: nämlich vermöge des Cirkelschlusses,
daſs die Erzählung des Augenzeugen Johannes ohne Wei-
teres als die richtige vorausgesetzt werden müsse 21),
welcher indeſs bisweilen noch durch den falschen Ober-
saz weiter begründet wird, daſs, wer nur ausführlicher
und anschaulicher erzähle, der genauere Referent, der
Augenzeuge sei 22). Von solchen Anschaulichkeiten wird
man wohl leicht geneigt sein, dem Markus sein συντρίψασα
als Ausmalung zurückzugeben: hat aber nicht auch Jo-
hannes in seiner Angabe von einem Pfunde Narden einen
an Übertreibung grenzenden Zug, so daſs die Extravaganz,
welche Olshausen in Bezug auf einen so unverhältniſsmäs-
sigen Verbrauch von Salbe der Liebe Maria's zuschreibt,
auf die Phantasie des Evangelisten zu übertragen wäre,
womit dann auch die Angabe: ἡ δὲ οἰκία ἐπληρώϑη ἐκ τῆς
ὀσμῆς τοῦ μύρου auf gleiche Rechnung käme? Bemerkens-
werth ist auch, daſs die Zahlbestimmung des Werthes
der Salbe zu 300 Denaren nur Johannes und Markus
geben, wie auch bei der wunderbaren Speisung gleich-
falls diese beiden den Anschlag der nöthigen Lebensmittel
auf 200 Denare gemein haben. Hätte bloſs Markus diese
näheren Bestimmungen, wie schnell wären sie, wenigstens
von Schleiermacher, für Zusätze aus den eigenen Mitteln
des Erzählers erklärt: was, wie nun die Sachen stehen,
dieses Urtheil selbst als Vermuthung nicht aufkommen
läſst, ist es etwas Anderes, als das Vorurtheil für das
vierte Evangelium? Hat man doch selbst die Hauptsalbung
der beiden Synoptiker, weil Johannes statt derselben eine
Fuſssalbung hat, für ungewöhnlich und zum Mahle nicht
passend ausgegeben 23), während, wie auch der neueste

21) Sieffert, a. a. O. S. 123 f.
22) Schulz, a. a. O. S. 320 f.
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[720/0744] Zweiter Abschnitt. unsern bisherigen Wahrnehmungen nicht mehr befremden, und ebensowenig die Beschaffenheit der Gründe, aus wel- chen es geschieht: nämlich vermöge des Cirkelschlusses, daſs die Erzählung des Augenzeugen Johannes ohne Wei- teres als die richtige vorausgesetzt werden müsse 21), welcher indeſs bisweilen noch durch den falschen Ober- saz weiter begründet wird, daſs, wer nur ausführlicher und anschaulicher erzähle, der genauere Referent, der Augenzeuge sei 22). Von solchen Anschaulichkeiten wird man wohl leicht geneigt sein, dem Markus sein συντρίψασα als Ausmalung zurückzugeben: hat aber nicht auch Jo- hannes in seiner Angabe von einem Pfunde Narden einen an Übertreibung grenzenden Zug, so daſs die Extravaganz, welche Olshausen in Bezug auf einen so unverhältniſsmäs- sigen Verbrauch von Salbe der Liebe Maria's zuschreibt, auf die Phantasie des Evangelisten zu übertragen wäre, womit dann auch die Angabe: ἡ δὲ οἰκία ἐπληρώϑη ἐκ τῆς ὀσμῆς τοῦ μύρου auf gleiche Rechnung käme? Bemerkens- werth ist auch, daſs die Zahlbestimmung des Werthes der Salbe zu 300 Denaren nur Johannes und Markus geben, wie auch bei der wunderbaren Speisung gleich- falls diese beiden den Anschlag der nöthigen Lebensmittel auf 200 Denare gemein haben. Hätte bloſs Markus diese näheren Bestimmungen, wie schnell wären sie, wenigstens von Schleiermacher, für Zusätze aus den eigenen Mitteln des Erzählers erklärt: was, wie nun die Sachen stehen, dieses Urtheil selbst als Vermuthung nicht aufkommen läſst, ist es etwas Anderes, als das Vorurtheil für das vierte Evangelium? Hat man doch selbst die Hauptsalbung der beiden Synoptiker, weil Johannes statt derselben eine Fuſssalbung hat, für ungewöhnlich und zum Mahle nicht passend ausgegeben 23), während, wie auch der neueste 21) Sieffert, a. a. O. S. 123 f. 22) Schulz, a. a. O. S. 320 f. 23) Schneckenburger, a. a. O. S. 60.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 720. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/744>, abgerufen am 25.11.2024.