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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Achtes Kapitel. §. 85.

Doch um gegen die Übereinstimmung aller vier Evange-
listen die Realität dieser Geschichte mit Entschiedenheit an-
fechten zu können, müssten zu den bisher aufgeführten ne-
gativen Gründen noch genügende positive kommen, aus
welchen ersichtlich wäre, wie die urchristliche Sage auch
ohne geschichtlichen Grund zur Erdichtung einer solchen
Scene kommen konnte. An solchen aber scheint es denn
doch zu gebrechen. Denn was wir in dieser Beziehung
allein besitzen, ist theils die von den Synoptikern citirte
Doppelstelle aus Jesaias und Jeremias, den Tempel nicht
zur Mördergrube zu machen, theils die Stelle Malach. 3,
1--3., nach welcher man erwartete, dass Jehova in der
messianischen Zeit plötzlich in den Tempel kommen, dass
Niemand vor seinem Anblick bestehen, und dass er eine
Reinigung mit dem Volk und dem Cultus vornehmen wer-
de. Allerdings ist hier Einiges von der unwiderstehlichen
reformatorischen Thätigkeit Jesu im Tempel, wie sie unsere
Evangelien darstellen; aber dass sich diese gerade auf den
Markt im Tempelhof beziehen solle, ist in allen diesen
Stellen so wenig angedeutet, dass doch wohl eine wirkliche
Opposition Jesu gegen diesen Missbrauch der Anlass scheint
gewesen sein zu müssen, warum die Erfüllung jener Weis-
sagungen durch Jesum gerade als Austreibung der Käufer
und Verkäufer dargestellt wurde.

§. 85.
Die Erzählungen von der Salbung Jesu durch ein Weib.

Von einer Salbung Jesu durch ein Weib während
eines Gastmahls erzählen uns sämmtliche Evangelisten
(Matth. 26, 6 ff. Marc. 14, 3 ff. Luc. 7, 36 ff. Joh. 12, 1 ff.),
mit Abweichungen freilich, welche besonders zwischen
Lukas und den übrigen bedeutend sind. Erstens nämlich,
die Chronologie betreffend, sezt Lukas den Vorgang in
die frühere Zeit des Lebens Jesu, vor seine Abreise aus

Achtes Kapitel. §. 85.

Doch um gegen die Übereinstimmung aller vier Evange-
listen die Realität dieser Geschichte mit Entschiedenheit an-
fechten zu können, müſsten zu den bisher aufgeführten ne-
gativen Gründen noch genügende positive kommen, aus
welchen ersichtlich wäre, wie die urchristliche Sage auch
ohne geschichtlichen Grund zur Erdichtung einer solchen
Scene kommen konnte. An solchen aber scheint es denn
doch zu gebrechen. Denn was wir in dieser Beziehung
allein besitzen, ist theils die von den Synoptikern citirte
Doppelstelle aus Jesaias und Jeremias, den Tempel nicht
zur Mördergrube zu machen, theils die Stelle Malach. 3,
1—3., nach welcher man erwartete, daſs Jehova in der
messianischen Zeit plötzlich in den Tempel kommen, daſs
Niemand vor seinem Anblick bestehen, und daſs er eine
Reinigung mit dem Volk und dem Cultus vornehmen wer-
de. Allerdings ist hier Einiges von der unwiderstehlichen
reformatorischen Thätigkeit Jesu im Tempel, wie sie unsere
Evangelien darstellen; aber daſs sich diese gerade auf den
Markt im Tempelhof beziehen solle, ist in allen diesen
Stellen so wenig angedeutet, daſs doch wohl eine wirkliche
Opposition Jesu gegen diesen Miſsbrauch der Anlaſs scheint
gewesen sein zu müssen, warum die Erfüllung jener Weis-
sagungen durch Jesum gerade als Austreibung der Käufer
und Verkäufer dargestellt wurde.

§. 85.
Die Erzählungen von der Salbung Jesu durch ein Weib.

Von einer Salbung Jesu durch ein Weib während
eines Gastmahls erzählen uns sämmtliche Evangelisten
(Matth. 26, 6 ff. Marc. 14, 3 ff. Luc. 7, 36 ff. Joh. 12, 1 ff.),
mit Abweichungen freilich, welche besonders zwischen
Lukas und den übrigen bedeutend sind. Erstens nämlich,
die Chronologie betreffend, sezt Lukas den Vorgang in
die frühere Zeit des Lebens Jesu, vor seine Abreise aus

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[709/0733] Achtes Kapitel. §. 85. Doch um gegen die Übereinstimmung aller vier Evange- listen die Realität dieser Geschichte mit Entschiedenheit an- fechten zu können, müſsten zu den bisher aufgeführten ne- gativen Gründen noch genügende positive kommen, aus welchen ersichtlich wäre, wie die urchristliche Sage auch ohne geschichtlichen Grund zur Erdichtung einer solchen Scene kommen konnte. An solchen aber scheint es denn doch zu gebrechen. Denn was wir in dieser Beziehung allein besitzen, ist theils die von den Synoptikern citirte Doppelstelle aus Jesaias und Jeremias, den Tempel nicht zur Mördergrube zu machen, theils die Stelle Malach. 3, 1—3., nach welcher man erwartete, daſs Jehova in der messianischen Zeit plötzlich in den Tempel kommen, daſs Niemand vor seinem Anblick bestehen, und daſs er eine Reinigung mit dem Volk und dem Cultus vornehmen wer- de. Allerdings ist hier Einiges von der unwiderstehlichen reformatorischen Thätigkeit Jesu im Tempel, wie sie unsere Evangelien darstellen; aber daſs sich diese gerade auf den Markt im Tempelhof beziehen solle, ist in allen diesen Stellen so wenig angedeutet, daſs doch wohl eine wirkliche Opposition Jesu gegen diesen Miſsbrauch der Anlaſs scheint gewesen sein zu müssen, warum die Erfüllung jener Weis- sagungen durch Jesum gerade als Austreibung der Käufer und Verkäufer dargestellt wurde. §. 85. Die Erzählungen von der Salbung Jesu durch ein Weib. Von einer Salbung Jesu durch ein Weib während eines Gastmahls erzählen uns sämmtliche Evangelisten (Matth. 26, 6 ff. Marc. 14, 3 ff. Luc. 7, 36 ff. Joh. 12, 1 ff.), mit Abweichungen freilich, welche besonders zwischen Lukas und den übrigen bedeutend sind. Erstens nämlich, die Chronologie betreffend, sezt Lukas den Vorgang in die frühere Zeit des Lebens Jesu, vor seine Abreise aus

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 709. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/733>, abgerufen am 26.11.2024.