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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Zweiter Abschnitt.
ist so durch und durch nur von Reminiscenzen aus den
bisherigen Reden Jesu zusammengesezt 13), so ganz nur,
wie Dr. Paulus sich ausdrückt 14), ein Widerschall man-
cher sonst ausgesprochenen Hauptworte Jesu, dass man
sich schwer entschliessen kann, mit einer so wenig origi-
nellen Rede das öffentliche Wirken Jesu endigen zu las-
sen, und daher die neueren Ausleger grösstentheils der
Meinung sind, nur der Evangelist sei es, der hier die
Summe von Jesu Lehre noch einmal zusammenfassen wol-
le 15). Auch nach unserer Ansicht redet hier wieder der
Evangelist, aber sein Vorgeben ist, einen Vortrag Jesu zu
geben, wenn er doch die Rede durch ein Iesous de ekraxe
kai eipen einleitet. Diess freilich wollen die Ausleger nicht
zugeben, und sie können sich nicht ohne Schein darauf
berufen, dass ja der Evangelist schon V. 36. gesagt hatte,
Jesus habe sich nunmehr zurückgezogen (ekrube), und dass
er durch die folgende Betrachtung über den durch so viele
von Jesu verrichtete semeia nicht gebrochenen Unglauben
der Juden nicht undeutlich Jesu öffentliches Wirken für
geschlossen erklärt hatte, wesswegen es also gegen seinen
eigenen Plan wäre, Jesum hier noch einmal mit einer
öffentlichen Rede auftreten zu lassen. Und hiegegen mag
ich mich zwar nicht mit älteren Exegeten darauf berufen,
dass Jesus, nachdem er schon den Rückzug angetreten,
sich noch einmal umgewendet und den Juden jene Worte
zugerufen habe; aber daran halte ich fest, dass der Evan-
gelist durch den bezeichneten Eingang V. 44. nur einen
bestimmten Redeakt kann anzeignen wollen. Zwar soll
der Aorist in ekraxe und eipe die Bedeutung des Plusquam-
perfektums haben, und hier die früheren Reden Jesu re-

13) Vgl. V. 44 mit 7, 17; V. 46 mit 8, 12; V. 47 mit 3, 17;
V. 48 mit 3, 18. 5, 45; V. 49 mit 8, 28; V. 50 mit 6, 40.
7, 17. 8, 28.
14) L. J. 1, b. S. 142.
15) Lücke 2, S. 462.; Tholuck S. 236; Paulus a. a. O.

Zweiter Abschnitt.
ist so durch und durch nur von Reminiscenzen aus den
bisherigen Reden Jesu zusammengesezt 13), so ganz nur,
wie Dr. Paulus sich ausdrückt 14), ein Widerschall man-
cher sonst ausgesprochenen Hauptworte Jesu, daſs man
sich schwer entschlieſsen kann, mit einer so wenig origi-
nellen Rede das öffentliche Wirken Jesu endigen zu las-
sen, und daher die neueren Ausleger gröſstentheils der
Meinung sind, nur der Evangelist sei es, der hier die
Summe von Jesu Lehre noch einmal zusammenfassen wol-
le 15). Auch nach unserer Ansicht redet hier wieder der
Evangelist, aber sein Vorgeben ist, einen Vortrag Jesu zu
geben, wenn er doch die Rede durch ein Ἰησοῦς δὲ ἔκραξε
καὶ εἶπεν einleitet. Dieſs freilich wollen die Ausleger nicht
zugeben, und sie können sich nicht ohne Schein darauf
berufen, daſs ja der Evangelist schon V. 36. gesagt hatte,
Jesus habe sich nunmehr zurückgezogen (ἐκρύβη), und daſs
er durch die folgende Betrachtung über den durch so viele
von Jesu verrichtete σημεῖα nicht gebrochenen Unglauben
der Juden nicht undeutlich Jesu öffentliches Wirken für
geschlossen erklärt hatte, weſswegen es also gegen seinen
eigenen Plan wäre, Jesum hier noch einmal mit einer
öffentlichen Rede auftreten zu lassen. Und hiegegen mag
ich mich zwar nicht mit älteren Exegeten darauf berufen,
daſs Jesus, nachdem er schon den Rückzug angetreten,
sich noch einmal umgewendet und den Juden jene Worte
zugerufen habe; aber daran halte ich fest, daſs der Evan-
gelist durch den bezeichneten Eingang V. 44. nur einen
bestimmten Redeakt kann anzeignen wollen. Zwar soll
der Aorist in ἔκραξε und εἶπε die Bedeutung des Plusquam-
perfektums haben, und hier die früheren Reden Jesu re-

13) Vgl. V. 44 mit 7, 17; V. 46 mit 8, 12; V. 47 mit 3, 17;
V. 48 mit 3, 18. 5, 45; V. 49 mit 8, 28; V. 50 mit 6, 40.
7, 17. 8, 28.
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[656/0680] Zweiter Abschnitt. ist so durch und durch nur von Reminiscenzen aus den bisherigen Reden Jesu zusammengesezt 13), so ganz nur, wie Dr. Paulus sich ausdrückt 14), ein Widerschall man- cher sonst ausgesprochenen Hauptworte Jesu, daſs man sich schwer entschlieſsen kann, mit einer so wenig origi- nellen Rede das öffentliche Wirken Jesu endigen zu las- sen, und daher die neueren Ausleger gröſstentheils der Meinung sind, nur der Evangelist sei es, der hier die Summe von Jesu Lehre noch einmal zusammenfassen wol- le 15). Auch nach unserer Ansicht redet hier wieder der Evangelist, aber sein Vorgeben ist, einen Vortrag Jesu zu geben, wenn er doch die Rede durch ein Ἰησοῦς δὲ ἔκραξε καὶ εἶπεν einleitet. Dieſs freilich wollen die Ausleger nicht zugeben, und sie können sich nicht ohne Schein darauf berufen, daſs ja der Evangelist schon V. 36. gesagt hatte, Jesus habe sich nunmehr zurückgezogen (ἐκρύβη), und daſs er durch die folgende Betrachtung über den durch so viele von Jesu verrichtete σημεῖα nicht gebrochenen Unglauben der Juden nicht undeutlich Jesu öffentliches Wirken für geschlossen erklärt hatte, weſswegen es also gegen seinen eigenen Plan wäre, Jesum hier noch einmal mit einer öffentlichen Rede auftreten zu lassen. Und hiegegen mag ich mich zwar nicht mit älteren Exegeten darauf berufen, daſs Jesus, nachdem er schon den Rückzug angetreten, sich noch einmal umgewendet und den Juden jene Worte zugerufen habe; aber daran halte ich fest, daſs der Evan- gelist durch den bezeichneten Eingang V. 44. nur einen bestimmten Redeakt kann anzeignen wollen. Zwar soll der Aorist in ἔκραξε und εἶπε die Bedeutung des Plusquam- perfektums haben, und hier die früheren Reden Jesu re- 13) Vgl. V. 44 mit 7, 17; V. 46 mit 8, 12; V. 47 mit 3, 17; V. 48 mit 3, 18. 5, 45; V. 49 mit 8, 28; V. 50 mit 6, 40. 7, 17. 8, 28. 14) L. J. 1, b. S. 142. 15) Lücke 2, S. 462.; Tholuck S. 236; Paulus a. a. O.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 656. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/680>, abgerufen am 18.05.2024.