bringen, indem, wenn in Jesu Gegenwart Scheintodte von selbst wieder zum Leben kamen, er als Ursache davon ange- sehen worden sei. Bei andern Wundergeschichten übrigens ist nach Kaiser die mythische Erklärung anzuwenden, nur dass er auch hier dem historischen Mythus viel mehr ein- räumt, als dem philosophischen. Die meisten Wunder des A. u. N. T.s sind nach Kaiser wirkliche Vorfälle, mythisch ausgeschmückt, wie der Stater im Fischmaul, die Verwand- lung des Wassers in Wein, welcher nach ihm ursprüng- lich wohl ein humaner Scherz Jesu zum Grunde lag; We- niges nur ist rein nach jüdischen Ideen erdichtet, wie Jesu wundervolle Geburt, der Bethlehemitische Kindermord u. dergl. 3)
Gabler besonders machte auf den Missgriff aufmerk- sam, dass man bisher manchen philosophischen Mythus als historischen behandelt, und so Thatsachen angenommen habe, welche niemals vorgefallen seien 4). Zwar will er ebensowenig lauter philosophische Mythen im N. T. anneh- men als lauter historische, sondern, einen Mittelweg ein- schlagend, je nach Beschaffenheit des Inhalts bald die eine bald die andre Art. Man müsse sich ebensosehr vor der Willkührlichkeit hüten, welche da bloss Philosopheme an- nehme, wo wirkliche Fakta durchschimmern, als vor der entgegengesetzten Neigung, Manches natürlich und ge- schichtlich zu erklären, was doch nur zur mythischen Ein- kleidung gehöre. Namentlich wenn die Ableitung eines Mythus aus einem Räsonnement sehr leicht und natürlich ist, hingegen jeder Versuch, das reine Faktum aus dem- selben hervorzusuchen und dadurch die wunderbare Ge- schichte natürlich zu erklären, entweder sehr gekünstelt ist, oder gar in's Lächerliche fällt, so ist diess, nach Gabler, ein sicherer Beweis, dass man hier einen philosophischen,
3)Kaiser's biblische Theologie, 1. Thl. S. 194 ff. (1813).
4)Gabler's Journal für auserlesene theol. Literatur. 2, 1. 46.
Einleitung. §. 10.
bringen, indem, wenn in Jesu Gegenwart Scheintodte von selbst wieder zum Leben kamen, er als Ursache davon ange- sehen worden sei. Bei andern Wundergeschichten übrigens ist nach Kaiser die mythische Erklärung anzuwenden, nur daſs er auch hier dem historischen Mythus viel mehr ein- räumt, als dem philosophischen. Die meisten Wunder des A. u. N. T.s sind nach Kaiser wirkliche Vorfälle, mythisch ausgeschmückt, wie der Stater im Fischmaul, die Verwand- lung des Wassers in Wein, welcher nach ihm ursprüng- lich wohl ein humaner Scherz Jesu zum Grunde lag; We- niges nur ist rein nach jüdischen Ideen erdichtet, wie Jesu wundervolle Geburt, der Bethlehemitische Kindermord u. dergl. 3)
Gabler besonders machte auf den Miſsgriff aufmerk- sam, daſs man bisher manchen philosophischen Mythus als historischen behandelt, und so Thatsachen angenommen habe, welche niemals vorgefallen seien 4). Zwar will er ebensowenig lauter philosophische Mythen im N. T. anneh- men als lauter historische, sondern, einen Mittelweg ein- schlagend, je nach Beschaffenheit des Inhalts bald die eine bald die andre Art. Man müsse sich ebensosehr vor der Willkührlichkeit hüten, welche da bloſs Philosopheme an- nehme, wo wirkliche Fakta durchschimmern, als vor der entgegengesetzten Neigung, Manches natürlich und ge- schichtlich zu erklären, was doch nur zur mythischen Ein- kleidung gehöre. Namentlich wenn die Ableitung eines Mythus aus einem Räsonnement sehr leicht und natürlich ist, hingegen jeder Versuch, das reine Faktum aus dem- selben hervorzusuchen und dadurch die wunderbare Ge- schichte natürlich zu erklären, entweder sehr gekünstelt ist, oder gar in's Lächerliche fällt, so ist dieſs, nach Gabler, ein sicherer Beweis, daſs man hier einen philosophischen,
3)Kaiser's biblische Theologie, 1. Thl. S. 194 ff. (1813).
4)Gabler's Journal für auserlesene theol. Literatur. 2, 1. 46.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0068"n="44"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Einleitung</hi>. §. 10.</fw><lb/>
bringen, indem, wenn in Jesu Gegenwart Scheintodte von<lb/>
selbst wieder zum Leben kamen, er als Ursache davon ange-<lb/>
sehen worden sei. Bei andern Wundergeschichten übrigens<lb/>
ist nach <hirendition="#k">Kaiser</hi> die mythische Erklärung anzuwenden, nur<lb/>
daſs er auch hier dem historischen Mythus viel mehr ein-<lb/>
räumt, als dem philosophischen. Die meisten Wunder des<lb/>
A. u. N. T.s sind nach <hirendition="#k">Kaiser</hi> wirkliche Vorfälle, mythisch<lb/>
ausgeschmückt, wie der Stater im Fischmaul, die Verwand-<lb/>
lung des Wassers in Wein, welcher nach ihm ursprüng-<lb/>
lich wohl ein humaner Scherz Jesu zum Grunde lag; We-<lb/>
niges nur ist rein nach jüdischen Ideen erdichtet, wie Jesu<lb/>
wundervolle Geburt, der Bethlehemitische Kindermord u.<lb/>
dergl. <noteplace="foot"n="3)"><hirendition="#k">Kaiser</hi>'s biblische Theologie, 1. Thl. S. 194 ff. (1813).</note></p><lb/><p><hirendition="#k">Gabler</hi> besonders machte auf den Miſsgriff aufmerk-<lb/>
sam, daſs man bisher manchen philosophischen Mythus als<lb/>
historischen behandelt, und so Thatsachen angenommen<lb/>
habe, welche niemals vorgefallen seien <noteplace="foot"n="4)"><hirendition="#k">Gabler</hi>'s Journal für auserlesene theol. Literatur. 2, 1. 46.</note>. Zwar will er<lb/>
ebensowenig lauter philosophische Mythen im N. T. anneh-<lb/>
men als lauter historische, sondern, einen Mittelweg ein-<lb/>
schlagend, je nach Beschaffenheit des Inhalts bald die eine<lb/>
bald die andre Art. Man müsse sich ebensosehr vor der<lb/>
Willkührlichkeit hüten, welche da bloſs Philosopheme an-<lb/>
nehme, wo wirkliche Fakta durchschimmern, als vor der<lb/>
entgegengesetzten Neigung, Manches natürlich und ge-<lb/>
schichtlich zu erklären, was doch nur zur mythischen Ein-<lb/>
kleidung gehöre. Namentlich wenn die Ableitung eines<lb/>
Mythus aus einem Räsonnement sehr leicht und natürlich<lb/>
ist, hingegen jeder Versuch, das reine Faktum aus dem-<lb/>
selben hervorzusuchen und dadurch die wunderbare Ge-<lb/>
schichte natürlich zu erklären, entweder sehr gekünstelt ist,<lb/>
oder gar in's Lächerliche fällt, so ist dieſs, nach <hirendition="#k">Gabler</hi>,<lb/>
ein sicherer Beweis, daſs man hier einen philosophischen,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[44/0068]
Einleitung. §. 10.
bringen, indem, wenn in Jesu Gegenwart Scheintodte von
selbst wieder zum Leben kamen, er als Ursache davon ange-
sehen worden sei. Bei andern Wundergeschichten übrigens
ist nach Kaiser die mythische Erklärung anzuwenden, nur
daſs er auch hier dem historischen Mythus viel mehr ein-
räumt, als dem philosophischen. Die meisten Wunder des
A. u. N. T.s sind nach Kaiser wirkliche Vorfälle, mythisch
ausgeschmückt, wie der Stater im Fischmaul, die Verwand-
lung des Wassers in Wein, welcher nach ihm ursprüng-
lich wohl ein humaner Scherz Jesu zum Grunde lag; We-
niges nur ist rein nach jüdischen Ideen erdichtet, wie Jesu
wundervolle Geburt, der Bethlehemitische Kindermord u.
dergl. 3)
Gabler besonders machte auf den Miſsgriff aufmerk-
sam, daſs man bisher manchen philosophischen Mythus als
historischen behandelt, und so Thatsachen angenommen
habe, welche niemals vorgefallen seien 4). Zwar will er
ebensowenig lauter philosophische Mythen im N. T. anneh-
men als lauter historische, sondern, einen Mittelweg ein-
schlagend, je nach Beschaffenheit des Inhalts bald die eine
bald die andre Art. Man müsse sich ebensosehr vor der
Willkührlichkeit hüten, welche da bloſs Philosopheme an-
nehme, wo wirkliche Fakta durchschimmern, als vor der
entgegengesetzten Neigung, Manches natürlich und ge-
schichtlich zu erklären, was doch nur zur mythischen Ein-
kleidung gehöre. Namentlich wenn die Ableitung eines
Mythus aus einem Räsonnement sehr leicht und natürlich
ist, hingegen jeder Versuch, das reine Faktum aus dem-
selben hervorzusuchen und dadurch die wunderbare Ge-
schichte natürlich zu erklären, entweder sehr gekünstelt ist,
oder gar in's Lächerliche fällt, so ist dieſs, nach Gabler,
ein sicherer Beweis, daſs man hier einen philosophischen,
3) Kaiser's biblische Theologie, 1. Thl. S. 194 ff. (1813).
4) Gabler's Journal für auserlesene theol. Literatur. 2, 1. 46.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/68>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.