Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.Zweiter Abschnitt. Priester im Tempel schliesst (Matth. 12, 3 ff. parall.); fer-ner das vom Ochsen und Esel, der in den Brunnen fällt, (Matth. 12, 11. parall.), oder zur Tränke geführt wird (Luc. 13, 15,): ganz in dem praktischen Geiste der popu- lären Lehrweise Jesu. Das vierte Evangelium hingegen lässt ihn hier aus der nie unterbrochenen Thätigkeit Got- tes argumentiren, und erinnert durch sein: o pater eos arti ergazetai an das alexandrinische poion o theos oudepote pauetai 1), ein metaphysischer Saz, welcher dem Verfasser des vierten Evangeliums, wie wir ihn bis hieher kennen gelernt haben, wenigstens näher liegen mochte, als Jesu selbst. Und statt dass bei den Synoptikern an solche Sab- batheilungen weitere Aussprüche über Wesen und Bestim- mung des Sabbats, als höchstnöthige Belehrung des Volks, sich anzuknüpfen pflegen, wendet sich hier die Rede als- bald auf das Grundthema des Evangeliums, auf die Person Christi und sein Verhältniss zum Vater, eine Wendung, auf deren öfteres Vorkommen die Gegner des vierten Evan- geliums nicht ohne Schein den Vorwurf einer einseitig theo- retischen und auf die Verherrlichung Jesu gerichteten Ten- denz gegründet haben. In dem Inhalt der folgenden Rede findet sich sofort nichts Anstössiges, und was nicht Jesus selber so könnte gesprochen haben, da im besten Zusam- menhang Dinge vorgetragen werden, welche, wie nament- lich die Todtenerweckung und das Gericht, theils die Ju- den vom Messias erwarteten, theils Jesus auch nach den Synoptikern sich zugeschrieben hat. Desto bedenklicher dagegen ist die Form und Ausdrucksweise, in welcher Je- sus das Alles ausgesprochen haben soll. Ganz voll näm- lich ist diese Rede, besonders in ihrer zweiten Hälfte (von V. 31. an), der genauesten Analogieen theils mit dem er- sten johanneischen Briefe, theils mit solchen Stellen des Evangeliums, in welchen entweder der Verfasser, oder der 1) Philo, Opp. ed. Mang. 1, 44, bei Gfrörer, 1, S. 122.
Zweiter Abschnitt. Priester im Tempel schlieſst (Matth. 12, 3 ff. parall.); fer-ner das vom Ochsen und Esel, der in den Brunnen fällt, (Matth. 12, 11. parall.), oder zur Tränke geführt wird (Luc. 13, 15,): ganz in dem praktischen Geiste der popu- lären Lehrweise Jesu. Das vierte Evangelium hingegen läſst ihn hier aus der nie unterbrochenen Thätigkeit Got- tes argumentiren, und erinnert durch sein: ὁ πατὴρ ἕως ἄρτι ἐργάζεται an das alexandrinische ποιῶν ὁ ϑεὸς οὐδέποτε παύεται 1), ein metaphysischer Saz, welcher dem Verfasser des vierten Evangeliums, wie wir ihn bis hieher kennen gelernt haben, wenigstens näher liegen mochte, als Jesu selbst. Und statt daſs bei den Synoptikern an solche Sab- batheilungen weitere Aussprüche über Wesen und Bestim- mung des Sabbats, als höchstnöthige Belehrung des Volks, sich anzuknüpfen pflegen, wendet sich hier die Rede als- bald auf das Grundthema des Evangeliums, auf die Person Christi und sein Verhältniſs zum Vater, eine Wendung, auf deren öfteres Vorkommen die Gegner des vierten Evan- geliums nicht ohne Schein den Vorwurf einer einseitig theo- retischen und auf die Verherrlichung Jesu gerichteten Ten- denz gegründet haben. In dem Inhalt der folgenden Rede findet sich sofort nichts Anstössiges, und was nicht Jesus selber so könnte gesprochen haben, da im besten Zusam- menhang Dinge vorgetragen werden, welche, wie nament- lich die Todtenerweckung und das Gericht, theils die Ju- den vom Messias erwarteten, theils Jesus auch nach den Synoptikern sich zugeschrieben hat. Desto bedenklicher dagegen ist die Form und Ausdrucksweise, in welcher Je- sus das Alles ausgesprochen haben soll. Ganz voll näm- lich ist diese Rede, besonders in ihrer zweiten Hälfte (von V. 31. an), der genauesten Analogieen theils mit dem er- sten johanneischen Briefe, theils mit solchen Stellen des Evangeliums, in welchen entweder der Verfasser, oder der 1) Philo, Opp. ed. Mang. 1, 44, bei Gfrörer, 1, S. 122.
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Zweiter Abschnitt.
Priester im Tempel schlieſst (Matth. 12, 3 ff. parall.); fer-
ner das vom Ochsen und Esel, der in den Brunnen fällt,
(Matth. 12, 11. parall.), oder zur Tränke geführt wird
(Luc. 13, 15,): ganz in dem praktischen Geiste der popu-
lären Lehrweise Jesu. Das vierte Evangelium hingegen
läſst ihn hier aus der nie unterbrochenen Thätigkeit Got-
tes argumentiren, und erinnert durch sein: ὁ πατὴρ ἕως
ἄρτι ἐργάζεται an das alexandrinische ποιῶν ὁ ϑεὸς οὐδέποτε
παύεται 1), ein metaphysischer Saz, welcher dem Verfasser
des vierten Evangeliums, wie wir ihn bis hieher kennen
gelernt haben, wenigstens näher liegen mochte, als Jesu
selbst. Und statt daſs bei den Synoptikern an solche Sab-
batheilungen weitere Aussprüche über Wesen und Bestim-
mung des Sabbats, als höchstnöthige Belehrung des Volks,
sich anzuknüpfen pflegen, wendet sich hier die Rede als-
bald auf das Grundthema des Evangeliums, auf die Person
Christi und sein Verhältniſs zum Vater, eine Wendung, auf
deren öfteres Vorkommen die Gegner des vierten Evan-
geliums nicht ohne Schein den Vorwurf einer einseitig theo-
retischen und auf die Verherrlichung Jesu gerichteten Ten-
denz gegründet haben. In dem Inhalt der folgenden Rede
findet sich sofort nichts Anstössiges, und was nicht Jesus
selber so könnte gesprochen haben, da im besten Zusam-
menhang Dinge vorgetragen werden, welche, wie nament-
lich die Todtenerweckung und das Gericht, theils die Ju-
den vom Messias erwarteten, theils Jesus auch nach den
Synoptikern sich zugeschrieben hat. Desto bedenklicher
dagegen ist die Form und Ausdrucksweise, in welcher Je-
sus das Alles ausgesprochen haben soll. Ganz voll näm-
lich ist diese Rede, besonders in ihrer zweiten Hälfte (von
V. 31. an), der genauesten Analogieen theils mit dem er-
sten johanneischen Briefe, theils mit solchen Stellen des
Evangeliums, in welchen entweder der Verfasser, oder der
1) Philo, Opp. ed. Mang. 1, 44, bei Gfrörer, 1, S. 122.
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