nes Abhangs zu dem Berge geschlagen 3); indess, da der eine Evangelist den Vortrag Jesu unmittelbar an ein Hin- aufsteigen, der andre an ein Herabsteigen knüpft: so wird man doch mit Olshausen sagen müssen, wenn Jesus nach Lukas auf der Ebene oder an einer niedrigeren Stelle des Berges gesprochen, so habe Matthäus das auf das Hinauf- steigen gefolgte Heruntersteigen übergangen; oder wenn nach Matthäus Jesus auf der Höhe des Berges geredet, so habe Lukas vergessen zu melden, dass er, nachdem er schon herabgestiegen war, sich doch des Gedränges we- gen vor der Rede wieder etwas in die Höhe gezogen ha- be 4). Und zwar hat jeder von beiden, was er nicht mel- det, davon ohne Zweifel auch nichts gewusst, und indem in der Überlieferung diese Rede mit einem Aufenthalt Jesu auf einem Berge in Verbindung stand, so dachte wohl Matthäus sich eben den Berg als eine bequeme Er- höhung für eine Volksrede, während Lukas ein Herabstei- gen zu der Menge für nöthig erachtete; womit auch die weitere Differenz zusammenhängt, dass der vom Berg aus Redende sitzen zu können schien, weil er durch den Berg schon genug über die am Abhang herunter aufge- stellten Zuhörer hervorragte: der auf der Ebene Spre- chende aber musste natürlich stehen. -- Ebenso wie diese das Lokal betreffende, wird man auch die chronologische Differenz einräumen und sich falscher Ausgleichungsver- suche enthalten müssen.
Die Abweichungen im Umfang und Inhalt der Rede lassen an sich die dreifache Erklärung offen, dass entwe- der der kürzere Bericht des Lukas nur ein Auszug aus der ganzen Rede, wie sie vollständig Matthäus wiedergebe, oder dass in der Aufzeichnung des Matthäus manches bei andern Gelegenheiten Gesprochene hinzugefügt, oder end-
3) a. a. O. S. 53.
4) Bibl. Comm. 1, S. 201.
Zweiter Abschnitt.
nes Abhangs zu dem Berge geschlagen 3); indeſs, da der eine Evangelist den Vortrag Jesu unmittelbar an ein Hin- aufsteigen, der andre an ein Herabsteigen knüpft: so wird man doch mit Olshausen sagen müssen, wenn Jesus nach Lukas auf der Ebene oder an einer niedrigeren Stelle des Berges gesprochen, so habe Matthäus das auf das Hinauf- steigen gefolgte Heruntersteigen übergangen; oder wenn nach Matthäus Jesus auf der Höhe des Berges geredet, so habe Lukas vergessen zu melden, daſs er, nachdem er schon herabgestiegen war, sich doch des Gedränges we- gen vor der Rede wieder etwas in die Höhe gezogen ha- be 4). Und zwar hat jeder von beiden, was er nicht mel- det, davon ohne Zweifel auch nichts gewuſst, und indem in der Überlieferung diese Rede mit einem Aufenthalt Jesu auf einem Berge in Verbindung stand, so dachte wohl Matthäus sich eben den Berg als eine bequeme Er- höhung für eine Volksrede, während Lukas ein Herabstei- gen zu der Menge für nöthig erachtete; womit auch die weitere Differenz zusammenhängt, daſs der vom Berg aus Redende sitzen zu können schien, weil er durch den Berg schon genug über die am Abhang herunter aufge- stellten Zuhörer hervorragte: der auf der Ebene Spre- chende aber musste natürlich stehen. — Ebenso wie diese das Lokal betreffende, wird man auch die chronologische Differenz einräumen und sich falscher Ausgleichungsver- suche enthalten müssen.
Die Abweichungen im Umfang und Inhalt der Rede lassen an sich die dreifache Erklärung offen, daſs entwe- der der kürzere Bericht des Lukas nur ein Auszug aus der ganzen Rede, wie sie vollständig Matthäus wiedergebe, oder daſs in der Aufzeichnung des Matthäus manches bei andern Gelegenheiten Gesprochene hinzugefügt, oder end-
3) a. a. O. S. 53.
4) Bibl. Comm. 1, S. 201.
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Zweiter Abschnitt.
nes Abhangs zu dem Berge geschlagen 3); indeſs, da der
eine Evangelist den Vortrag Jesu unmittelbar an ein Hin-
aufsteigen, der andre an ein Herabsteigen knüpft: so wird
man doch mit Olshausen sagen müssen, wenn Jesus nach
Lukas auf der Ebene oder an einer niedrigeren Stelle des
Berges gesprochen, so habe Matthäus das auf das Hinauf-
steigen gefolgte Heruntersteigen übergangen; oder wenn
nach Matthäus Jesus auf der Höhe des Berges geredet,
so habe Lukas vergessen zu melden, daſs er, nachdem er
schon herabgestiegen war, sich doch des Gedränges we-
gen vor der Rede wieder etwas in die Höhe gezogen ha-
be 4). Und zwar hat jeder von beiden, was er nicht mel-
det, davon ohne Zweifel auch nichts gewuſst, und indem
in der Überlieferung diese Rede mit einem Aufenthalt
Jesu auf einem Berge in Verbindung stand, so dachte
wohl Matthäus sich eben den Berg als eine bequeme Er-
höhung für eine Volksrede, während Lukas ein Herabstei-
gen zu der Menge für nöthig erachtete; womit auch die
weitere Differenz zusammenhängt, daſs der vom Berg aus
Redende sitzen zu können schien, weil er durch den
Berg schon genug über die am Abhang herunter aufge-
stellten Zuhörer hervorragte: der auf der Ebene Spre-
chende aber musste natürlich stehen. — Ebenso wie diese
das Lokal betreffende, wird man auch die chronologische
Differenz einräumen und sich falscher Ausgleichungsver-
suche enthalten müssen.
Die Abweichungen im Umfang und Inhalt der Rede
lassen an sich die dreifache Erklärung offen, daſs entwe-
der der kürzere Bericht des Lukas nur ein Auszug aus
der ganzen Rede, wie sie vollständig Matthäus wiedergebe,
oder daſs in der Aufzeichnung des Matthäus manches bei
andern Gelegenheiten Gesprochene hinzugefügt, oder end-
3) a. a. O. S. 53.
4) Bibl. Comm. 1, S. 201.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 572. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/596>, abgerufen am 16.02.2025.
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