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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Fünftes Kapitel. §. 70.
Petrus weiss er zu erzählen (21, 15 ff). Doch auf eigen-
thümliche Weise werden im vierten Evangelium diese Vor-
züge des Petrus verkümmert und zu Gunsten des Johan-
nes in Schatten gestellt. Lassen die Synoptiker den Petrus
und Johannes auf gleiche Weise und jenen noch etwas
früher als diesen von Jesus berufen werden: so gesellt
der vierte Evangelist zu dem Ungenannten, welcher den
Johannes vorstellen soll, lieber den Andreas, und lässt den
Petrus nur durch Vermittlung dieses Bruders zu Jesu
kommen 9); zwar, dass von dem Beinamen: Petrus die eh-
rende Auslegung und bei dem Bekenntniss Petri die Belo-
bung weggelassen ist, hat das vierte Evangelium mit den
beiden mittlern gemein; dagegen gehört, was nach dem
johanneischen Evangelium Petrus bei'm lezten Mahle und
im Garten Besonderes thut, nur unter die Kategorie der
Missgriffe. Je näher man der Katastrophe rückt, desto
mehr findet man jenes eigenthümliche Subordinationsver-
hältniss des Petrus zu Johannes hervorgehoben. Schon
bei'm lezten Mahle zeigt sich zwar Petrus um Entdeckung
des Verräthers besonders bemüht: aber er kann sich nicht
unmittelbar an Jesum wenden, sondern muss die Vermitt-
lung des Johannes, der en to kolpo tou Iesou liegt, anru-
fen (13, 23 ff.); gieng den ersten Evangelien zufolge der
einzige Petrus Jesu in den hohenpriesterlichen Palast nach:
so geht nach dem vierten auch Johannes mit, und zwar
so, dass ohne ihn auch Petrus nicht hineingekonnt hätte,
indem Johannes als gnosos to arkhierei ihn einführen muss
(18, 15 f.); unter das Kreuz, wohin die Synoptiker keinen
Jünger sich wagen lassen, stellt das vierte Evangelium
den Johannes, und lässt ihn daselbst in ein Verhältniss zu
der Mutter Jesu treten, von welchem jene nichts wissen
(19, 26 f.); bei der Erscheinung des Auferstandenen am

9) Auch Paulus, L. J. 1, a, S. 167 f. bemerkt, wie der vierte
Evangelist diess absichtlich hervorzuheben scheine.

Fünftes Kapitel. §. 70.
Petrus weiſs er zu erzählen (21, 15 ff). Doch auf eigen-
thümliche Weise werden im vierten Evangelium diese Vor-
züge des Petrus verkümmert und zu Gunsten des Johan-
nes in Schatten gestellt. Lassen die Synoptiker den Petrus
und Johannes auf gleiche Weise und jenen noch etwas
früher als diesen von Jesus berufen werden: so gesellt
der vierte Evangelist zu dem Ungenannten, welcher den
Johannes vorstellen soll, lieber den Andreas, und läſst den
Petrus nur durch Vermittlung dieses Bruders zu Jesu
kommen 9); zwar, daſs von dem Beinamen: Petrus die eh-
rende Auslegung und bei dem Bekenntniſs Petri die Belo-
bung weggelassen ist, hat das vierte Evangelium mit den
beiden mittlern gemein; dagegen gehört, was nach dem
johanneischen Evangelium Petrus bei'm lezten Mahle und
im Garten Besonderes thut, nur unter die Kategorie der
Miſsgriffe. Je näher man der Katastrophe rückt, desto
mehr findet man jenes eigenthümliche Subordinationsver-
hältniſs des Petrus zu Johannes hervorgehoben. Schon
bei'm lezten Mahle zeigt sich zwar Petrus um Entdeckung
des Verräthers besonders bemüht: aber er kann sich nicht
unmittelbar an Jesum wenden, sondern muſs die Vermitt-
lung des Johannes, der έν τῷ κόλπῳ τοῦ Ἰησοῦ liegt, anru-
fen (13, 23 ff.); gieng den ersten Evangelien zufolge der
einzige Petrus Jesu in den hohenpriesterlichen Palast nach:
so geht nach dem vierten auch Johannes mit, und zwar
so, daſs ohne ihn auch Petrus nicht hineingekonnt hätte,
indem Johannes als γνωςὸς τῷ ἀρχιερεῖ ihn einführen muſs
(18, 15 f.); unter das Kreuz, wohin die Synoptiker keinen
Jünger sich wagen lassen, stellt das vierte Evangelium
den Johannes, und läſst ihn daselbst in ein Verhältniſs zu
der Mutter Jesu treten, von welchem jene nichts wissen
(19, 26 f.); bei der Erscheinung des Auferstandenen am

9) Auch Paulus, L. J. 1, a, S. 167 f. bemerkt, wie der vierte
Evangelist diess absichtlich hervorzuheben scheine.
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[559/0583] Fünftes Kapitel. §. 70. Petrus weiſs er zu erzählen (21, 15 ff). Doch auf eigen- thümliche Weise werden im vierten Evangelium diese Vor- züge des Petrus verkümmert und zu Gunsten des Johan- nes in Schatten gestellt. Lassen die Synoptiker den Petrus und Johannes auf gleiche Weise und jenen noch etwas früher als diesen von Jesus berufen werden: so gesellt der vierte Evangelist zu dem Ungenannten, welcher den Johannes vorstellen soll, lieber den Andreas, und läſst den Petrus nur durch Vermittlung dieses Bruders zu Jesu kommen 9); zwar, daſs von dem Beinamen: Petrus die eh- rende Auslegung und bei dem Bekenntniſs Petri die Belo- bung weggelassen ist, hat das vierte Evangelium mit den beiden mittlern gemein; dagegen gehört, was nach dem johanneischen Evangelium Petrus bei'm lezten Mahle und im Garten Besonderes thut, nur unter die Kategorie der Miſsgriffe. Je näher man der Katastrophe rückt, desto mehr findet man jenes eigenthümliche Subordinationsver- hältniſs des Petrus zu Johannes hervorgehoben. Schon bei'm lezten Mahle zeigt sich zwar Petrus um Entdeckung des Verräthers besonders bemüht: aber er kann sich nicht unmittelbar an Jesum wenden, sondern muſs die Vermitt- lung des Johannes, der έν τῷ κόλπῳ τοῦ Ἰησοῦ liegt, anru- fen (13, 23 ff.); gieng den ersten Evangelien zufolge der einzige Petrus Jesu in den hohenpriesterlichen Palast nach: so geht nach dem vierten auch Johannes mit, und zwar so, daſs ohne ihn auch Petrus nicht hineingekonnt hätte, indem Johannes als γνωςὸς τῷ ἀρχιερεῖ ihn einführen muſs (18, 15 f.); unter das Kreuz, wohin die Synoptiker keinen Jünger sich wagen lassen, stellt das vierte Evangelium den Johannes, und läſst ihn daselbst in ein Verhältniſs zu der Mutter Jesu treten, von welchem jene nichts wissen (19, 26 f.); bei der Erscheinung des Auferstandenen am 9) Auch Paulus, L. J. 1, a, S. 167 f. bemerkt, wie der vierte Evangelist diess absichtlich hervorzuheben scheine.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 559. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/583>, abgerufen am 22.11.2024.