rem Evangelisten diente dieser Zug, einen Klimax hervor- zubringen, und Jesum von dem Durchschauen eines unmit- telbar Gegenwärtigen (V. 43.) zum Durchblicken eines nur erst sich Nähernden (V. 48.), und nun vollends zum Wahr- nehmen eines Entfernten aufsteigen zu lassen. Dass Jesus hier noch einen Schritt weiter in der Steigerung geht, und sagt, diese Probe seiner messianischen Fernsicht sei noch eine Kleinigkeit gegen das, was Nathanael noch zu sehen bekommen werde, dass über ihm als dem Messias aus ge- öffnetem Himmel göttliche Kräfte gleichsam auf- und nie- dersteigen werden (V. 51 f.), beweist keineswegs, wie Pau- lus meint, dass in jener ersteren Probe nichts Wunderba- res gewesen, da es auch im Wunder eine Steigerung giebt.
Sind wir so in dieser johanneischen Erzählung bei jedem Schritte auf Schwierigkeiten, und zum Theil auf grössere als in der synoptischen, gestossen: so erfahren wir über die Art, wie die ersten Jünger zu Jesu kamen, durch die eine so wenig als durch die andere. Die Abweichung der johanneischen von der synoptischen möchte ich nicht mit dem Verfasser der Probabilien 13) daraus herleiten, dass der vierte Evangelist die Erwähnung des dem Spotte ausgesezten Fischerhandwerks der vornehmsten Apostel ha- be umgehen wollen, da er ja im 21. Kap., welches auch Bretschneider dem Verfasser des übrigen Evangeliums zu- schreibt, desselben unbedenklich Erwähnung thut; sondern, dass sie gerade vom Fischen weg berufen worden seien, scheint in der Region, wo das vierte Evangelium entstand, nicht verlautet, und so daselbst die Scene sich theils viel- leicht nach der nicht unwahrscheinlichen historischen Nach- richt, dass einige Jünger Jesu früher in der Schule des Täufers gewesen seien, theils aus dem Interesse für den Täufer und für das übernatürliche Wissen Jesu gebildet zu haben.
13) S. 141.
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Fünftes Kapitel. §. 66.
rem Evangelisten diente dieser Zug, einen Klimax hervor- zubringen, und Jesum von dem Durchschauen eines unmit- telbar Gegenwärtigen (V. 43.) zum Durchblicken eines nur erst sich Nähernden (V. 48.), und nun vollends zum Wahr- nehmen eines Entfernten aufsteigen zu lassen. Daſs Jesus hier noch einen Schritt weiter in der Steigerung geht, und sagt, diese Probe seiner messianischen Fernsicht sei noch eine Kleinigkeit gegen das, was Nathanaël noch zu sehen bekommen werde, daſs über ihm als dem Messias aus ge- öffnetem Himmel göttliche Kräfte gleichsam auf- und nie- dersteigen werden (V. 51 f.), beweist keineswegs, wie Pau- lus meint, daſs in jener ersteren Probe nichts Wunderba- res gewesen, da es auch im Wunder eine Steigerung giebt.
Sind wir so in dieser johanneischen Erzählung bei jedem Schritte auf Schwierigkeiten, und zum Theil auf gröſsere als in der synoptischen, gestoſsen: so erfahren wir über die Art, wie die ersten Jünger zu Jesu kamen, durch die eine so wenig als durch die andere. Die Abweichung der johanneischen von der synoptischen möchte ich nicht mit dem Verfasser der Probabilien 13) daraus herleiten, daſs der vierte Evangelist die Erwähnung des dem Spotte ausgesezten Fischerhandwerks der vornehmsten Apostel ha- be umgehen wollen, da er ja im 21. Kap., welches auch Bretschneider dem Verfasser des übrigen Evangeliums zu- schreibt, desselben unbedenklich Erwähnung thut; sondern, daſs sie gerade vom Fischen weg berufen worden seien, scheint in der Region, wo das vierte Evangelium entstand, nicht verlautet, und so daselbst die Scene sich theils viel- leicht nach der nicht unwahrscheinlichen historischen Nach- richt, daſs einige Jünger Jesu früher in der Schule des Täufers gewesen seien, theils aus dem Interesse für den Täufer und für das übernatürliche Wissen Jesu gebildet zu haben.
13) S. 141.
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Fünftes Kapitel. §. 66.
rem Evangelisten diente dieser Zug, einen Klimax hervor-
zubringen, und Jesum von dem Durchschauen eines unmit-
telbar Gegenwärtigen (V. 43.) zum Durchblicken eines nur
erst sich Nähernden (V. 48.), und nun vollends zum Wahr-
nehmen eines Entfernten aufsteigen zu lassen. Daſs Jesus
hier noch einen Schritt weiter in der Steigerung geht, und
sagt, diese Probe seiner messianischen Fernsicht sei noch
eine Kleinigkeit gegen das, was Nathanaël noch zu sehen
bekommen werde, daſs über ihm als dem Messias aus ge-
öffnetem Himmel göttliche Kräfte gleichsam auf- und nie-
dersteigen werden (V. 51 f.), beweist keineswegs, wie Pau-
lus meint, daſs in jener ersteren Probe nichts Wunderba-
res gewesen, da es auch im Wunder eine Steigerung giebt.
Sind wir so in dieser johanneischen Erzählung bei
jedem Schritte auf Schwierigkeiten, und zum Theil auf
gröſsere als in der synoptischen, gestoſsen: so erfahren wir
über die Art, wie die ersten Jünger zu Jesu kamen, durch
die eine so wenig als durch die andere. Die Abweichung
der johanneischen von der synoptischen möchte ich nicht
mit dem Verfasser der Probabilien 13) daraus herleiten,
daſs der vierte Evangelist die Erwähnung des dem Spotte
ausgesezten Fischerhandwerks der vornehmsten Apostel ha-
be umgehen wollen, da er ja im 21. Kap., welches auch
Bretschneider dem Verfasser des übrigen Evangeliums zu-
schreibt, desselben unbedenklich Erwähnung thut; sondern,
daſs sie gerade vom Fischen weg berufen worden seien,
scheint in der Region, wo das vierte Evangelium entstand,
nicht verlautet, und so daselbst die Scene sich theils viel-
leicht nach der nicht unwahrscheinlichen historischen Nach-
richt, daſs einige Jünger Jesu früher in der Schule des
Täufers gewesen seien, theils aus dem Interesse für den
Täufer und für das übernatürliche Wissen Jesu gebildet
zu haben.
13) S. 141.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 531. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/555>, abgerufen am 22.11.2024.
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