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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Fünftes Kapitel. §. 66.
vom harmonistischen Bestreben aufgedrungen. Indess, auch
diess vorausgesezt, konnten sie ihm doch in der kurzen Zeit,
welche jene Entfernung immer nur gedauert haben kann,
unmöglich so entfremdet werden, dass er so, wie in der
synoptischen Berufungsgeschichte der Fall ist, die Bekannt-
schaft mit ihnen ganz wieder wie von vorne anzufangen
sich veranlasst finden konnte. Namentlich wenn er den
Simon schon bei jener angeblich ersten Zusammenkunft
durch den Beinamen Kephas auf das individuellste ausge-
zeichnet hatte, konnte er nicht wohl den Antiklimax ma-
chen, ihm bei einer späteren Gelegenheit mit der Berufung
zum alieus anthropon entgegenzukommen, was eine ihm
mit allen übrigen Jüngern gemeinsame Bestimmung aus-
drückte.

Als einen besondern Vortheil dieser Stellung der bei-
den Erzählungen heben die rationalistischen Erklärer diess
hervor, dass so allein begreiflich werde, worüber man
sonst im höchsten Grade staunen müsste, wie sowohl Je-
sus nur so im Vorbeigehen auf den ersten Blick vier Fi-
scher zu Jüngern habe wählen und darunter gleich die
zwei ausgezeichnetsten Apostel treffen können, als auch
wie die vier geschäftigen Männer auf den räthselhaften
Ruf eines ihnen nicht näher bekannten Mannes hin so-
gleich ihr Gewerbe verlassen und sich zu seiner Beglei-
tung haben hergeben mögen; bei Vergleichung des vierten
Evangeliums sehe man nämlich, dass Jesus diese Männer
längst vorher kennen gelernt und sich gleicherweise ihnen
in seiner Vortrefflichkeit gezeigt hatte, woraus sich nun
sowohl das Glückliche seiner Wahl, als auch ihre Bereit-
willigkeit ihm zu folgen, erkläre. Allein gerade dieser
scheinbare Vortheil ist es, der über die bezeichnete Stel-
lung der beiden Erzählungen vollends den Stab bricht.
Denn entschiedener kann nichts gegen die Absicht der
beiden ersten Evangelisten sein, als die Voraussetzung ei-
nes schon vorher zwischen Jesu und den berufenen Brü-

Fünftes Kapitel. §. 66.
vom harmonistischen Bestreben aufgedrungen. Indeſs, auch
dieſs vorausgesezt, konnten sie ihm doch in der kurzen Zeit,
welche jene Entfernung immer nur gedauert haben kann,
unmöglich so entfremdet werden, daſs er so, wie in der
synoptischen Berufungsgeschichte der Fall ist, die Bekannt-
schaft mit ihnen ganz wieder wie von vorne anzufangen
sich veranlaſst finden konnte. Namentlich wenn er den
Simon schon bei jener angeblich ersten Zusammenkunft
durch den Beinamen Κηφᾶς auf das individuellste ausge-
zeichnet hatte, konnte er nicht wohl den Antiklimax ma-
chen, ihm bei einer späteren Gelegenheit mit der Berufung
zum ἁλιεὺς ἀνϑρώπων entgegenzukommen, was eine ihm
mit allen übrigen Jüngern gemeinsame Bestimmung aus-
drückte.

Als einen besondern Vortheil dieser Stellung der bei-
den Erzählungen heben die rationalistischen Erklärer dieſs
hervor, daſs so allein begreiflich werde, worüber man
sonst im höchsten Grade staunen müſste, wie sowohl Je-
sus nur so im Vorbeigehen auf den ersten Blick vier Fi-
scher zu Jüngern habe wählen und darunter gleich die
zwei ausgezeichnetsten Apostel treffen können, als auch
wie die vier geschäftigen Männer auf den räthselhaften
Ruf eines ihnen nicht näher bekannten Mannes hin so-
gleich ihr Gewerbe verlassen und sich zu seiner Beglei-
tung haben hergeben mögen; bei Vergleichung des vierten
Evangeliums sehe man nämlich, daſs Jesus diese Männer
längst vorher kennen gelernt und sich gleicherweise ihnen
in seiner Vortrefflichkeit gezeigt hatte, woraus sich nun
sowohl das Glückliche seiner Wahl, als auch ihre Bereit-
willigkeit ihm zu folgen, erkläre. Allein gerade dieser
scheinbare Vortheil ist es, der über die bezeichnete Stel-
lung der beiden Erzählungen vollends den Stab bricht.
Denn entschiedener kann nichts gegen die Absicht der
beiden ersten Evangelisten sein, als die Voraussetzung ei-
nes schon vorher zwischen Jesu und den berufenen Brü-

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[523/0547] Fünftes Kapitel. §. 66. vom harmonistischen Bestreben aufgedrungen. Indeſs, auch dieſs vorausgesezt, konnten sie ihm doch in der kurzen Zeit, welche jene Entfernung immer nur gedauert haben kann, unmöglich so entfremdet werden, daſs er so, wie in der synoptischen Berufungsgeschichte der Fall ist, die Bekannt- schaft mit ihnen ganz wieder wie von vorne anzufangen sich veranlaſst finden konnte. Namentlich wenn er den Simon schon bei jener angeblich ersten Zusammenkunft durch den Beinamen Κηφᾶς auf das individuellste ausge- zeichnet hatte, konnte er nicht wohl den Antiklimax ma- chen, ihm bei einer späteren Gelegenheit mit der Berufung zum ἁλιεὺς ἀνϑρώπων entgegenzukommen, was eine ihm mit allen übrigen Jüngern gemeinsame Bestimmung aus- drückte. Als einen besondern Vortheil dieser Stellung der bei- den Erzählungen heben die rationalistischen Erklärer dieſs hervor, daſs so allein begreiflich werde, worüber man sonst im höchsten Grade staunen müſste, wie sowohl Je- sus nur so im Vorbeigehen auf den ersten Blick vier Fi- scher zu Jüngern habe wählen und darunter gleich die zwei ausgezeichnetsten Apostel treffen können, als auch wie die vier geschäftigen Männer auf den räthselhaften Ruf eines ihnen nicht näher bekannten Mannes hin so- gleich ihr Gewerbe verlassen und sich zu seiner Beglei- tung haben hergeben mögen; bei Vergleichung des vierten Evangeliums sehe man nämlich, daſs Jesus diese Männer längst vorher kennen gelernt und sich gleicherweise ihnen in seiner Vortrefflichkeit gezeigt hatte, woraus sich nun sowohl das Glückliche seiner Wahl, als auch ihre Bereit- willigkeit ihm zu folgen, erkläre. Allein gerade dieser scheinbare Vortheil ist es, der über die bezeichnete Stel- lung der beiden Erzählungen vollends den Stab bricht. Denn entschiedener kann nichts gegen die Absicht der beiden ersten Evangelisten sein, als die Voraussetzung ei- nes schon vorher zwischen Jesu und den berufenen Brü-

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 523. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/547>, abgerufen am 22.11.2024.