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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Viertes Kapitel. §. 65.
Bewusstsein, das wir in Jesu zu setzen haben 13). So
wenig aber dem wahren, so genau entspricht ein solches
Wissen den jüdischen Begriffen von einem Propheten und
insbesondere vom Messias: im A. T. weiss Daniel um einen
Traum Nebukadnezars, der diesem selbst entfallen ist
(Dan. 2.); in den klementinischen Homilien ist der wahre
Prophet o pantote panta eidos; ta men geg[o]nota os egeneto,
ta de ginomena os ginetai, ta de esomeia os esai 14); die
Rabbinen zählen eine solche Allwissenheit unter den Kenn-
zeichen des Messias auf, schreiben sie auch dem Moses und
Salomo zu, und bemerken, dass Bar Cochba an dem Man-
gel derselben als Pseudomessias erkannt worden sei 15).

Weiter spricht nun Jesus (V. 23 ff.) gegen das Weib,
um mit Hase zu reden, den höchsten Grundsatz seiner
Religion aus, geistige Verehrung Gottes durch ein frommes
Leben, mit Aufhebung jedes Ceremonialdienstes, und be-
kennt sich offen als den Gründer einer solchen Gottesver-
ehrung, als den Messias. Schon an einem andern Orte
hat es sich als unwahrscheinlich gezeigt, dass Jesus, der
seinen eigenen Jüngern erst verhältnissn ässig spät sich als
den Messias zu erkennen gab, schon früher einem samari-
schen Weibe eine bestimmte Eröffnung hierüber sollte ge[-]
macht haben. Hier aber muss man noch insbesondere fra[-]
gen: in welcher Hinsicht war denn dieses Weib einer s[o]
hohen Mittheilung würdig, wie sie nicht einmal den Jün-
gern mit so klaren Worten zu Theil geworden ist? was
konnte Jesum bewegen, den Blick einer Person in die weite
Ferne der Religionsgeschichte ausschweifen zu machen, der
es am besten gethan hätte, in ihr eigenes Innere geführt,
bei der Verdorbenheit ihres Herzens festgehalten zu wer-
den? Nur das, wenn er um jeden Preis von der Frau,
ohne Rücksicht auf ihre Besserung, ausser dem Anerkennt-

13) Vgl. Bretschneider, a. a. O. S. 49 f.
14) Homil. 2, 6. vgl. 3, 12.
15) Schöttgen, horae 2, S. 371 f.
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Viertes Kapitel. §. 65.
Bewuſstsein, das wir in Jesu zu setzen haben 13). So
wenig aber dem wahren, so genau entspricht ein solches
Wissen den jüdischen Begriffen von einem Propheten und
insbesondere vom Messias: im A. T. weiſs Daniel um einen
Traum Nebukadnezars, der diesem selbst entfallen ist
(Dan. 2.); in den klementinischen Homilien ist der wahre
Prophet ὁ πάντοτε πάντα εἰδώς· τὰ μεν γεγ[ο]νότα ὡς ἐγένετο,
τὰ δὲ γινόμενα ὡς γίνεται, τὰ δὲ ἐσόμεια ὡς ἔςαι 14); die
Rabbinen zählen eine solche Allwissenheit unter den Kenn-
zeichen des Messias auf, schreiben sie auch dem Moses und
Salomo zu, und bemerken, daſs Bar Cochba an dem Man-
gel derselben als Pseudomessias erkannt worden sei 15).

Weiter spricht nun Jesus (V. 23 ff.) gegen das Weib,
um mit Hase zu reden, den höchsten Grundsatz seiner
Religion aus, geistige Verehrung Gottes durch ein frommes
Leben, mit Aufhebung jedes Ceremonialdienstes, und be-
kennt sich offen als den Gründer einer solchen Gottesver-
ehrung, als den Messias. Schon an einem andern Orte
hat es sich als unwahrscheinlich gezeigt, daſs Jesus, der
seinen eigenen Jüngern erst verhältniſsn äſsig spät sich als
den Messias zu erkennen gab, schon früher einem samari-
schen Weibe eine bestimmte Eröffnung hierüber sollte ge[-]
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gen: in welcher Hinsicht war denn dieses Weib einer s[o]
hohen Mittheilung würdig, wie sie nicht einmal den Jün-
gern mit so klaren Worten zu Theil geworden ist? was
konnte Jesum bewegen, den Blick einer Person in die weite
Ferne der Religionsgeschichte ausschweifen zu machen, der
es am besten gethan hätte, in ihr eigenes Innere geführt,
bei der Verdorbenheit ihres Herzens festgehalten zu wer-
den? Nur das, wenn er um jeden Preis von der Frau,
ohne Rücksicht auf ihre Besserung, ausser dem Anerkennt-

13) Vgl. Bretschneider, a. a. O. S. 49 f.
14) Homil. 2, 6. vgl. 3, 12.
15) Schöttgen, horae 2, S. 371 f.
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[515/0539] Viertes Kapitel. §. 65. Bewuſstsein, das wir in Jesu zu setzen haben 13). So wenig aber dem wahren, so genau entspricht ein solches Wissen den jüdischen Begriffen von einem Propheten und insbesondere vom Messias: im A. T. weiſs Daniel um einen Traum Nebukadnezars, der diesem selbst entfallen ist (Dan. 2.); in den klementinischen Homilien ist der wahre Prophet ὁ πάντοτε πάντα εἰδώς· τὰ μεν γεγονότα ὡς ἐγένετο, τὰ δὲ γινόμενα ὡς γίνεται, τὰ δὲ ἐσόμεια ὡς ἔςαι 14); die Rabbinen zählen eine solche Allwissenheit unter den Kenn- zeichen des Messias auf, schreiben sie auch dem Moses und Salomo zu, und bemerken, daſs Bar Cochba an dem Man- gel derselben als Pseudomessias erkannt worden sei 15). Weiter spricht nun Jesus (V. 23 ff.) gegen das Weib, um mit Hase zu reden, den höchsten Grundsatz seiner Religion aus, geistige Verehrung Gottes durch ein frommes Leben, mit Aufhebung jedes Ceremonialdienstes, und be- kennt sich offen als den Gründer einer solchen Gottesver- ehrung, als den Messias. Schon an einem andern Orte hat es sich als unwahrscheinlich gezeigt, daſs Jesus, der seinen eigenen Jüngern erst verhältniſsn äſsig spät sich als den Messias zu erkennen gab, schon früher einem samari- schen Weibe eine bestimmte Eröffnung hierüber sollte ge- macht haben. Hier aber muſs man noch insbesondere fra- gen: in welcher Hinsicht war denn dieses Weib einer so hohen Mittheilung würdig, wie sie nicht einmal den Jün- gern mit so klaren Worten zu Theil geworden ist? was konnte Jesum bewegen, den Blick einer Person in die weite Ferne der Religionsgeschichte ausschweifen zu machen, der es am besten gethan hätte, in ihr eigenes Innere geführt, bei der Verdorbenheit ihres Herzens festgehalten zu wer- den? Nur das, wenn er um jeden Preis von der Frau, ohne Rücksicht auf ihre Besserung, ausser dem Anerkennt- 13) Vgl. Bretschneider, a. a. O. S. 49 f. 14) Homil. 2, 6. vgl. 3, 12. 15) Schöttgen, horae 2, S. 371 f. 33*

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 515. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/539>, abgerufen am 22.11.2024.