Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.Viertes Kapitel. §. 59. Synoptikern zufolge der jüdische Hohepriester den Begriff:Sohn Gottes, so sehr als zum Messiasbegriff mitgehörig be- trachtet, dass er in seiner an Jesum gerichteten Frage bei- de Ausdrücke zusammenstellt: so fassen die Juden bei Jo- hannes den erstern Begriff als soweit über den leztern hin- ausgehend auf, dass sie zwar die Aussage Jesu, er sei der Messias (10, 25.), geduldig anhören, sobald er sich aber als Sohn Gottes darzustellen anfängt, Steine aufheben. Was in den synoptischen Evangelien als der Vorwurf erscheint, dass Jesus, ein gemeiner Mensch, sich für den Messias ausgebe, das lautet bei Johannes so, dass er als ein blosser Mensch sich nicht für ein göttliches Wesen ausgeben sollte. Mit Recht wird daher von Olshausen u. A. darauf gedrungen, dass in jenen Stellen des vierten Evangeliums das u[i]os tou theou kein mit Messias gleichbedeutender, son- dern ein über den gewöhnlichen Messiasbegriff weit hinaus- gehender Name sei 2); daraus aber zu schliessen, dass auch in den drei ersten Evangelien der in Redestehende Ausdruck mehr als nur den Messias bezeichne 3), dazu haben jene Ausleger kein Recht. Denn der Frage des Hohenpriesters Matth. 26, 63. ist jede Erklärung nur aufgedrungen, wel- che das o uios t[ou] theou nicht als Epexegese des o Khrinos fasst, und wenn in der Parallelstelle bei Lukas die Richter Jesum zuerst fragen, ob er der Khrisos sei (22, 67.)? und als er eine direkte Antwort abgelehnt, doch auf das Sitzen des Menschensohns zur Rechten Gottes hingewiesen hatte, hastig einfallen: ou oun ei o uios tou theou (V. 70.), hierauf aber, nachdem sie eine bejahende Antwort zu vernehmen geglaubt, ihn bei Pilatus als einen, der sich für Khrison basilea ausgebe, anklagen (23, 2.): so ist wohl nichts deut- licher, als dass sie Menschensohn, Gottessohn und Messias als Wechselbegriffe angesehen haben müssen. Es ist also 2) Bibl. Comm. 2, S. 130. 253. 3) Olshausen, a. a. O, 1, S. 108 ff. Das Leben Jesu I. Band. 31
Viertes Kapitel. §. 59. Synoptikern zufolge der jüdische Hohepriester den Begriff:Sohn Gottes, so sehr als zum Messiasbegriff mitgehörig be- trachtet, daſs er in seiner an Jesum gerichteten Frage bei- de Ausdrücke zusammenstellt: so fassen die Juden bei Jo- hannes den erstern Begriff als soweit über den leztern hin- ausgehend auf, daſs sie zwar die Aussage Jesu, er sei der Messias (10, 25.), geduldig anhören, sobald er sich aber als Sohn Gottes darzustellen anfängt, Steine aufheben. Was in den synoptischen Evangelien als der Vorwurf erscheint, daſs Jesus, ein gemeiner Mensch, sich für den Messias ausgebe, das lautet bei Johannes so, daſs er als ein bloſser Mensch sich nicht für ein göttliches Wesen ausgeben sollte. Mit Recht wird daher von Olshausen u. A. darauf gedrungen, daſs in jenen Stellen des vierten Evangeliums das υ[ἱ]ὸς τοῦ ϑεοῦ kein mit Messias gleichbedeutender, son- dern ein über den gewöhnlichen Messiasbegriff weit hinaus- gehender Name sei 2); daraus aber zu schlieſsen, daſs auch in den drei ersten Evangelien der in Redestehende Ausdruck mehr als nur den Messias bezeichne 3), dazu haben jene Ausleger kein Recht. Denn der Frage des Hohenpriesters Matth. 26, 63. ist jede Erklärung nur aufgedrungen, wel- che das ό υἱὸς τ[οῦ] ϑεοῦ nicht als Epexegese des ὁ Χρινος fasst, und wenn in der Parallelstelle bei Lukas die Richter Jesum zuerst fragen, ob er der Χριςος sei (22, 67.)? und als er eine direkte Antwort abgelehnt, doch auf das Sitzen des Menschensohns zur Rechten Gottes hingewiesen hatte, hastig einfallen: ου οὖν εἶ ὁ υἱὸς τοῦ ϑεοῦ (V. 70.), hierauf aber, nachdem sie eine bejahende Antwort zu vernehmen geglaubt, ihn bei Pilatus als einen, der sich für Χριςόν βασιλέα ausgebe, anklagen (23, 2.): so ist wohl nichts deut- licher, als daſs sie Menschensohn, Gottessohn und Messias als Wechselbegriffe angesehen haben müssen. Es ist also 2) Bibl. Comm. 2, S. 130. 253. 3) Olshausen, a. a. O, 1, S. 108 ff. Das Leben Jesu I. Band. 31
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Viertes Kapitel. §. 59.
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Sohn Gottes, so sehr als zum Messiasbegriff mitgehörig be-
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de Ausdrücke zusammenstellt: so fassen die Juden bei Jo-
hannes den erstern Begriff als soweit über den leztern hin-
ausgehend auf, daſs sie zwar die Aussage Jesu, er sei der
Messias (10, 25.), geduldig anhören, sobald er sich aber als
Sohn Gottes darzustellen anfängt, Steine aufheben. Was
in den synoptischen Evangelien als der Vorwurf erscheint,
daſs Jesus, ein gemeiner Mensch, sich für den Messias
ausgebe, das lautet bei Johannes so, daſs er als ein bloſser
Mensch sich nicht für ein göttliches Wesen ausgeben
sollte. Mit Recht wird daher von Olshausen u. A. darauf
gedrungen, daſs in jenen Stellen des vierten Evangeliums
das υἱὸς τοῦ ϑεοῦ kein mit Messias gleichbedeutender, son-
dern ein über den gewöhnlichen Messiasbegriff weit hinaus-
gehender Name sei 2); daraus aber zu schlieſsen, daſs auch
in den drei ersten Evangelien der in Redestehende Ausdruck
mehr als nur den Messias bezeichne 3), dazu haben jene
Ausleger kein Recht. Denn der Frage des Hohenpriesters
Matth. 26, 63. ist jede Erklärung nur aufgedrungen, wel-
che das ό υἱὸς τοῦ ϑεοῦ nicht als Epexegese des ὁ Χρινος
fasst, und wenn in der Parallelstelle bei Lukas die Richter
Jesum zuerst fragen, ob er der Χριςος sei (22, 67.)? und
als er eine direkte Antwort abgelehnt, doch auf das Sitzen
des Menschensohns zur Rechten Gottes hingewiesen hatte,
hastig einfallen: ου οὖν εἶ ὁ υἱὸς τοῦ ϑεοῦ (V. 70.), hierauf
aber, nachdem sie eine bejahende Antwort zu vernehmen
geglaubt, ihn bei Pilatus als einen, der sich für Χριςόν
βασιλέα ausgebe, anklagen (23, 2.): so ist wohl nichts deut-
licher, als daſs sie Menschensohn, Gottessohn und Messias
als Wechselbegriffe angesehen haben müssen. Es ist also
2) Bibl. Comm. 2, S. 130. 253.
3) Olshausen, a. a. O, 1, S. 108 ff.
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