Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.Viertes Kapitel. §. 58. [D]ess er diess, weil er auch für sich selbst erst später zuder Überzeugung von seiner Messianität gelangte, oder hatte er diese für sich zwar schon von seinem öffentlichen Auftritt an, verbarg sie aber aus gewissen Rücksichten? Auf die leztere Vermuthung kann man geführt werden, wenn man in den ersten Evangelien bei den Wunderhei- lungen Jesu es fast als stehende Formel findet, dass er durch ein ora medeni eipes oder etwas Ähnliches dem Ge- retteten die Ausbreitung der Sache untersagt, wie dem Aussätzigen Matth. 8, 4. parall.; den Blinden Matth. 9, 30; einer Anzahl von Geheilten Matth. 12, 16; den Eltern des wiederbelebten Mädchens Marc. 5, 43; namentlich aber legte er den Dämonischen Schweigen auf, Marc. 1, 34. 3, 12. Ebenso verbot er den Dreien, welche mit ihm auf dem Verklärungsberge gewesen waren, die Bekanntmachung dieser Scene (Matth. 17, 9.), nach dem Bekenntniss Pe- tri den Jüngern die Verbreitung der in demselben enthal- tenen Ansicht von ihm (Luc. 9, 21.) und Joh. 5, 13. heisst es nach der Heilung des Kranken am Teiche: o Iesous exeneusen, okhlou ontos en to topo. Was Jesus mit jenem Verbot beabsichtigte, war schwerlich, wie die Erklärer meistens annehmen 6) ein nach Umständen Verschiedenes, so dass es bald auf den Gemüthszustand des Geheilten, bald auf die Stimmung des Volks, bald auf die Lage Jesu sich bezogen hätte, sondern bei der wesentlichen Gleich- heit der Umstände, unter welchen er es den Leuten auf- legt, wird wohl, wenn irgend einmal ein glaubhafter Grund davon in den Evangelien angedeutet ist, dieser auch auf die übrigen Fälle, in welchen jenes Verbot gegeben ist, anzuwenden sein. Dieser Grund ist zunächst kein ande- rer. als der Wunsch, die Ansicht, dass er der Messias sei, sich nicht zu sehr verbreiten zu lassen. Wenn es nämlich Marc. 1, 34. heisst, Jesus habe die Dämonen, 6) Fritzsche, in Matth. p. 309. vrgl. 352. Olshausen, S. 265.
Viertes Kapitel. §. 58. [D]eſs er dieſs, weil er auch für sich selbst erst später zuder Überzeugung von seiner Messianität gelangte, oder hatte er diese für sich zwar schon von seinem öffentlichen Auftritt an, verbarg sie aber aus gewissen Rücksichten? Auf die leztere Vermuthung kann man geführt werden, wenn man in den ersten Evangelien bei den Wunderhei- lungen Jesu es fast als stehende Formel findet, daſs er durch ein ὄρα μηδενὶ εἴπῃς oder etwas Ähnliches dem Ge- retteten die Ausbreitung der Sache untersagt, wie dem Aussätzigen Matth. 8, 4. parall.; den Blinden Matth. 9, 30; einer Anzahl von Geheilten Matth. 12, 16; den Eltern des wiederbelebten Mädchens Marc. 5, 43; namentlich aber legte er den Dämonischen Schweigen auf, Marc. 1, 34. 3, 12. Ebenso verbot er den Dreien, welche mit ihm auf dem Verklärungsberge gewesen waren, die Bekanntmachung dieser Scene (Matth. 17, 9.), nach dem Bekenntniſs Pe- tri den Jüngern die Verbreitung der in demselben enthal- tenen Ansicht von ihm (Luc. 9, 21.) und Joh. 5, 13. heiſst es nach der Heilung des Kranken am Teiche: ὁ Ἰησοῦς ἐξένευσεν, ὅχλου ὅντος ἐν τῷ τόπῳ. Was Jesus mit jenem Verbot beabsichtigte, war schwerlich, wie die Erklärer meistens annehmen 6) ein nach Umständen Verschiedenes, so daſs es bald auf den Gemüthszustand des Geheilten, bald auf die Stimmung des Volks, bald auf die Lage Jesu sich bezogen hätte, sondern bei der wesentlichen Gleich- heit der Umstände, unter welchen er es den Leuten auf- legt, wird wohl, wenn irgend einmal ein glaubhafter Grund davon in den Evangelien angedeutet ist, dieser auch auf die übrigen Fälle, in welchen jenes Verbot gegeben ist, anzuwenden sein. Dieser Grund ist zunächst kein ande- rer. als der Wunsch, die Ansicht, daſs er der Messias sei, sich nicht zu sehr verbreiten zu lassen. Wenn es nämlich Marc. 1, 34. heiſst, Jesus habe die Dämonen, 6) Fritzsche, in Matth. p. 309. vrgl. 352. Olshausen, S. 265.
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Viertes Kapitel. §. 58.
Deſs er dieſs, weil er auch für sich selbst erst später zu
der Überzeugung von seiner Messianität gelangte, oder
hatte er diese für sich zwar schon von seinem öffentlichen
Auftritt an, verbarg sie aber aus gewissen Rücksichten?
Auf die leztere Vermuthung kann man geführt werden,
wenn man in den ersten Evangelien bei den Wunderhei-
lungen Jesu es fast als stehende Formel findet, daſs er
durch ein ὄρα μηδενὶ εἴπῃς oder etwas Ähnliches dem Ge-
retteten die Ausbreitung der Sache untersagt, wie dem
Aussätzigen Matth. 8, 4. parall.; den Blinden Matth. 9, 30;
einer Anzahl von Geheilten Matth. 12, 16; den Eltern des
wiederbelebten Mädchens Marc. 5, 43; namentlich aber
legte er den Dämonischen Schweigen auf, Marc. 1, 34. 3, 12.
Ebenso verbot er den Dreien, welche mit ihm auf dem
Verklärungsberge gewesen waren, die Bekanntmachung
dieser Scene (Matth. 17, 9.), nach dem Bekenntniſs Pe-
tri den Jüngern die Verbreitung der in demselben enthal-
tenen Ansicht von ihm (Luc. 9, 21.) und Joh. 5, 13. heiſst
es nach der Heilung des Kranken am Teiche: ὁ Ἰησοῦς
ἐξένευσεν, ὅχλου ὅντος ἐν τῷ τόπῳ. Was Jesus mit jenem
Verbot beabsichtigte, war schwerlich, wie die Erklärer
meistens annehmen 6) ein nach Umständen Verschiedenes,
so daſs es bald auf den Gemüthszustand des Geheilten,
bald auf die Stimmung des Volks, bald auf die Lage Jesu
sich bezogen hätte, sondern bei der wesentlichen Gleich-
heit der Umstände, unter welchen er es den Leuten auf-
legt, wird wohl, wenn irgend einmal ein glaubhafter Grund
davon in den Evangelien angedeutet ist, dieser auch auf
die übrigen Fälle, in welchen jenes Verbot gegeben ist,
anzuwenden sein. Dieser Grund ist zunächst kein ande-
rer. als der Wunsch, die Ansicht, daſs er der Messias
sei, sich nicht zu sehr verbreiten zu lassen. Wenn es
nämlich Marc. 1, 34. heiſst, Jesus habe die Dämonen,
6) Fritzsche, in Matth. p. 309. vrgl. 352. Olshausen, S. 265.
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