Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.Zweiter Abschnitt. einandergebracht, in deren zweitem er erst mit der Erklä-rung, der Messias zu sein, hervorgetreten sei. Wirklich finden wir ja die Losung, mit welcher Jesus zuerst öffent- lich auftrat, von der des Johannes, der doch nur Vorläu- fer sein wollte, in keinem Worte verschieden: es ist das- selbe metanoeite; eggike gar e basileia ton ouranon (Matth. 4, 17), wie es zuvor der Täufer ausgesprochen hatte (3, 2), ein Ruf, mit welchem Einer wie der Andere noch nicht die Rolle des Messias, der das Himmelreich als gegenwär- tiges eröffnet, sondern nur die eines Lehrers, der auf das- selbe als künftiges hinweist, übernahm 4). Mit Recht hat daher die neueste Kritik des ersten Evangeliums alle die- jenigen von demselben berichteten Reden und Thaten, durch welche sich Jesus unumwunden für den Messias gab, oder in deren Folge er die laute Anerkennung, dass er der Messias sei, frei gewähren liess, wenn sie vor der eigenen Erklärung Jesu (Joh. 5.) oder vor dem apostolischen Be- kenntniss (Matth. 16.) erzählt werden, für eine Sünde des Verfassers entweder gegen die Chronologie, oder gegen die buchstäbliche Treue erklärt 5). Das aber begreift man hiebei nicht, wie dieser Vorwurf nur das erste, oder über- haupt blos die synoptischen, und nicht in noch weit stär- kerem Grade das vierte Evangelium treffen soll. Denn ver- zeihlicher ist es doch immer, wenn uns die ersten Evan- gelisten die Denkmale aus dem vormessianischen Abschnitt des öffentlichen Lebens Jesu in unrichtiger Stellung geben, als wenn das vierte sie gar nicht giebt; erträglicher, wenn jene die beiden Abschnitte vermischen, als wenn dieses den früheren ganz verwischt. Hat aber auf diese Weise Jesus sich nicht gleich von 4) Jene Unterscheidung zweier Abschnitte im öffentlichen Leben Jesu machen auch Fritzsche, Comm. in Matth. S. 213. 536. und Schneckenburger a. a. O. 5) Schneckenburger, a. a. O. S. 29.
Zweiter Abschnitt. einandergebracht, in deren zweitem er erst mit der Erklä-rung, der Messias zu sein, hervorgetreten sei. Wirklich finden wir ja die Losung, mit welcher Jesus zuerst öffent- lich auftrat, von der des Johannes, der doch nur Vorläu- fer sein wollte, in keinem Worte verschieden: es ist das- selbe μετανοεῖτε· ἤγγικε γὰρ ἡ βασιλεία τῶν οὐρανῶν (Matth. 4, 17), wie es zuvor der Täufer ausgesprochen hatte (3, 2), ein Ruf, mit welchem Einer wie der Andere noch nicht die Rolle des Messias, der das Himmelreich als gegenwär- tiges eröffnet, sondern nur die eines Lehrers, der auf das- selbe als künftiges hinweist, übernahm 4). Mit Recht hat daher die neueste Kritik des ersten Evangeliums alle die- jenigen von demselben berichteten Reden und Thaten, durch welche sich Jesus unumwunden für den Messias gab, oder in deren Folge er die laute Anerkennung, daſs er der Messias sei, frei gewähren lieſs, wenn sie vor der eigenen Erklärung Jesu (Joh. 5.) oder vor dem apostolischen Be- kenntniſs (Matth. 16.) erzählt werden, für eine Sünde des Verfassers entweder gegen die Chronologie, oder gegen die buchstäbliche Treue erklärt 5). Das aber begreift man hiebei nicht, wie dieser Vorwurf nur das erste, oder über- haupt blos die synoptischen, und nicht in noch weit stär- kerem Grade das vierte Evangelium treffen soll. Denn ver- zeihlicher ist es doch immer, wenn uns die ersten Evan- gelisten die Denkmale aus dem vormessianischen Abschnitt des öffentlichen Lebens Jesu in unrichtiger Stellung geben, als wenn das vierte sie gar nicht giebt; erträglicher, wenn jene die beiden Abschnitte vermischen, als wenn dieses den früheren ganz verwischt. Hat aber auf diese Weise Jesus sich nicht gleich von 4) Jene Unterscheidung zweier Abschnitte im öffentlichen Leben Jesu machen auch Fritzsche, Comm. in Matth. S. 213. 536. und Schneckenburger a. a. O. 5) Schneckenburger, a. a. O. S. 29.
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Zweiter Abschnitt.
einandergebracht, in deren zweitem er erst mit der Erklä-
rung, der Messias zu sein, hervorgetreten sei. Wirklich
finden wir ja die Losung, mit welcher Jesus zuerst öffent-
lich auftrat, von der des Johannes, der doch nur Vorläu-
fer sein wollte, in keinem Worte verschieden: es ist das-
selbe μετανοεῖτε· ἤγγικε γὰρ ἡ βασιλεία τῶν οὐρανῶν (Matth.
4, 17), wie es zuvor der Täufer ausgesprochen hatte (3, 2),
ein Ruf, mit welchem Einer wie der Andere noch nicht
die Rolle des Messias, der das Himmelreich als gegenwär-
tiges eröffnet, sondern nur die eines Lehrers, der auf das-
selbe als künftiges hinweist, übernahm 4). Mit Recht hat
daher die neueste Kritik des ersten Evangeliums alle die-
jenigen von demselben berichteten Reden und Thaten, durch
welche sich Jesus unumwunden für den Messias gab, oder
in deren Folge er die laute Anerkennung, daſs er der
Messias sei, frei gewähren lieſs, wenn sie vor der eigenen
Erklärung Jesu (Joh. 5.) oder vor dem apostolischen Be-
kenntniſs (Matth. 16.) erzählt werden, für eine Sünde des
Verfassers entweder gegen die Chronologie, oder gegen die
buchstäbliche Treue erklärt 5). Das aber begreift man
hiebei nicht, wie dieser Vorwurf nur das erste, oder über-
haupt blos die synoptischen, und nicht in noch weit stär-
kerem Grade das vierte Evangelium treffen soll. Denn ver-
zeihlicher ist es doch immer, wenn uns die ersten Evan-
gelisten die Denkmale aus dem vormessianischen Abschnitt des
öffentlichen Lebens Jesu in unrichtiger Stellung geben, als
wenn das vierte sie gar nicht giebt; erträglicher, wenn
jene die beiden Abschnitte vermischen, als wenn dieses
den früheren ganz verwischt.
Hat aber auf diese Weise Jesus sich nicht gleich von
Anfang für den Messias ausgegeben, so fragt sich: unter-
4) Jene Unterscheidung zweier Abschnitte im öffentlichen Leben
Jesu machen auch Fritzsche, Comm. in Matth. S. 213. 536.
und Schneckenburger a. a. O.
5) Schneckenburger, a. a. O. S. 29.
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