Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.Einleitung. §. 6. über diese zu einer höhern hinausgeschritten, nämlich beider Geschichte der Schöpfung und des Sündenfalls. Hat- te er in seiner so einflussreich gewordenen Urgeschich- te 11) die erstere Erzählung gleich Anfangs für Poesie er- klärt: so hatte er von der lezteren damals noch behauptet, wir haben an ihr keine Mythologie, keine Allegorie, son- dern wahre Geschichte, und diese geschichtliche Grundla- ge bestimmte er nach Abzug alles Übernatürlichen dahin, dass die menschliche Natur in ihren ersten Anfängen durch den Genuss einer giftigen Frucht zerrüttet worden sei 12). Er fand es zwar an sich wohl möglich, und durch zahl- reiche Beispiele aus der Profangeschichte bestätigt, dass an der Spitze rein historischer Erzählungen eine mythische stehen könnte: aber durch eine supranaturalistische Vorstel- lung schlug er in Bezug auf die Bibel diese Möglichkeit wieder nieder, indem er es der Gottheit unwürdig fand, in ein Buch, das so unleugbare Spuren des Ursprungs von ihr enthalte, ein mythologisches Fragment einrücken zu las- sen. Später indessen 13) erklärte Eichhorn selbst, dass er nun über Genes. 2 und 3. in vielen Stücken anders den- ke, indem er jezt in jenem Abschnitte statt historischer Nachrichten von einer Vergiftung vielmehr das mythisch eingekleidete Philosophem finde, wie die Sehnsucht nach einem besseren Zustande, als der in welchem man sich be- finde, die Quelle alles Übels in der Welt sei. So zog Eichhorn wenigstens an diesem Punkte vor, lieber die Ge- schichte aufzugeben, um die Idee festzuhalten, als mit Aufopferung jedes höheren Gedankeninhalts an der Ge- 11) Zuerst erschienen im vierten Theil des Repertoriums für bi- blische und morgenländische Literatur, später mit Anmer- kungen herausgegeben von Gabler, von 1790 an. 12) Eichhorns Urgeschichte, herausgegeben von Gabler, 3. Thl. S. 98 ff. 13) Allgem. Biblioth. 1. Bd. S. 989, und Einleitung in das A. T.
3. Thl. S. 82. Einleitung. §. 6. über diese zu einer höhern hinausgeschritten, nämlich beider Geschichte der Schöpfung und des Sündenfalls. Hat- te er in seiner so einfluſsreich gewordenen Urgeschich- te 11) die erstere Erzählung gleich Anfangs für Poësie er- klärt: so hatte er von der lezteren damals noch behauptet, wir haben an ihr keine Mythologie, keine Allegorie, son- dern wahre Geschichte, und diese geschichtliche Grundla- ge bestimmte er nach Abzug alles Übernatürlichen dahin, daſs die menschliche Natur in ihren ersten Anfängen durch den Genuſs einer giftigen Frucht zerrüttet worden sei 12). Er fand es zwar an sich wohl möglich, und durch zahl- reiche Beispiele aus der Profangeschichte bestätigt, daſs an der Spitze rein historischer Erzählungen eine mythische stehen könnte: aber durch eine supranaturalistische Vorstel- lung schlug er in Bezug auf die Bibel diese Möglichkeit wieder nieder, indem er es der Gottheit unwürdig fand, in ein Buch, das so unleugbare Spuren des Ursprungs von ihr enthalte, ein mythologisches Fragment einrücken zu las- sen. Später indessen 13) erklärte Eichhorn selbst, daſs er nun über Genes. 2 und 3. in vielen Stücken anders den- ke, indem er jezt in jenem Abschnitte statt historischer Nachrichten von einer Vergiftung vielmehr das mythisch eingekleidete Philosophem finde, wie die Sehnsucht nach einem besseren Zustande, als der in welchem man sich be- finde, die Quelle alles Übels in der Welt sei. So zog Eichhorn wenigstens an diesem Punkte vor, lieber die Ge- schichte aufzugeben, um die Idee festzuhalten, als mit Aufopferung jedes höheren Gedankeninhalts an der Ge- 11) Zuerst erschienen im vierten Theil des Repertoriums für bi- blische und morgenländische Literatur, später mit Anmer- kungen herausgegeben von Gabler, von 1790 an. 12) Eichhorns Urgeschichte, herausgegeben von Gabler, 3. Thl. S. 98 ff. 13) Allgem. Biblioth. 1. Bd. S. 989, und Einleitung in das A. T.
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Einleitung. §. 6.
über diese zu einer höhern hinausgeschritten, nämlich bei
der Geschichte der Schöpfung und des Sündenfalls. Hat-
te er in seiner so einfluſsreich gewordenen Urgeschich-
te 11) die erstere Erzählung gleich Anfangs für Poësie er-
klärt: so hatte er von der lezteren damals noch behauptet,
wir haben an ihr keine Mythologie, keine Allegorie, son-
dern wahre Geschichte, und diese geschichtliche Grundla-
ge bestimmte er nach Abzug alles Übernatürlichen dahin,
daſs die menschliche Natur in ihren ersten Anfängen durch
den Genuſs einer giftigen Frucht zerrüttet worden sei 12).
Er fand es zwar an sich wohl möglich, und durch zahl-
reiche Beispiele aus der Profangeschichte bestätigt, daſs
an der Spitze rein historischer Erzählungen eine mythische
stehen könnte: aber durch eine supranaturalistische Vorstel-
lung schlug er in Bezug auf die Bibel diese Möglichkeit
wieder nieder, indem er es der Gottheit unwürdig fand,
in ein Buch, das so unleugbare Spuren des Ursprungs von
ihr enthalte, ein mythologisches Fragment einrücken zu las-
sen. Später indessen 13) erklärte Eichhorn selbst, daſs
er nun über Genes. 2 und 3. in vielen Stücken anders den-
ke, indem er jezt in jenem Abschnitte statt historischer
Nachrichten von einer Vergiftung vielmehr das mythisch
eingekleidete Philosophem finde, wie die Sehnsucht nach
einem besseren Zustande, als der in welchem man sich be-
finde, die Quelle alles Übels in der Welt sei. So zog
Eichhorn wenigstens an diesem Punkte vor, lieber die Ge-
schichte aufzugeben, um die Idee festzuhalten, als mit
Aufopferung jedes höheren Gedankeninhalts an der Ge-
11) Zuerst erschienen im vierten Theil des Repertoriums für bi-
blische und morgenländische Literatur, später mit Anmer-
kungen herausgegeben von Gabler, von 1790 an.
12) Eichhorns Urgeschichte, herausgegeben von Gabler, 3. Thl.
S. 98 ff.
13) Allgem. Biblioth. 1. Bd. S. 989, und Einleitung in das A. T.
3. Thl. S. 82.
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