Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.Zweiter Abschnitt. Lukas in Hinsicht der Ausführlichkeit bestehen soll, dasanschauliche Gemälde der tumultuarischen Schlussscene, ha- ben selbst diejenigen, welche im Ganzen seiner Erzählung den Vorzug geben, doch nicht ganz zurechtzulegen gewusst. Denn einmal konnte man sich nicht verbergen, dass die Gründe einer so äusserst gewaltsamen Vertreibung aus der Darstellung des Lukas nicht erhellen 12), und doch lässt sich, dass es dabei auf das Leben Jesu abgesehen gewesen sei, nicht (mit Schleiermacher 13)) leugnen, ohne das eis to katakremnisai auton (V. 29.) geradezu für einen falschen Zusaz des Referenten zu erklären, wodurch seine Glaub- würdigkeit für den ganzen Abschnitt einen bedeutenden Stoss bekäme. Besonders aber das dielthon dia mesou auton eporeueto (V. 30.) ist ein Zug, der sich, wenigstens nach des Erzählers Absicht, nicht durch den blossen Herrscher- blick Jesu (mit Hase) erklären lässt, sondern auch hier behält Olshausen Recht, wenn er sagt, der Tendenz des Schriftstellers nach solle ausgesprochen sein, Jesus sei dess- wegen ungekränkt mitten durch seine wüthenden Feinde hindurchgegangen, weil seine göttliche Kraft Sinn und Glie- der derselben gebunden hielt, weil seine Stunde noch nicht gekommen war (Joh. S, 20.), und weil Niemand sein Le- ben von ihm nehmen konnte, bis er selbst es hingab (Joh. 10, 18.) 14). Nur um so weniger aber wird man auch in diesem Zuge das verherrlichende Bestreben der Sage ver- kennen, vermöge dessen sie Jesum als einen solchen dar- zustellen liebte, von welchem, wie von einem Lot (1 Mos. 19, 11.) und Elisa (2 Kön. 6, 18.) eine höhere Hand, oder besser seine eigene Macht als höheren Wesens, die Feinde abwehrte, wenn man auch nicht gerade, was schon Ter- 12) Hase, Leben Jesu, §. 56. 13) Über den Lukas, S. 63. 14) a. a. O. S. 479, vgl. 2, S. 214.
Zweiter Abschnitt. Lukas in Hinsicht der Ausführlichkeit bestehen soll, dasanschauliche Gemälde der tumultuarischen Schluſsscene, ha- ben selbst diejenigen, welche im Ganzen seiner Erzählung den Vorzug geben, doch nicht ganz zurechtzulegen gewuſst. Denn einmal konnte man sich nicht verbergen, daſs die Gründe einer so äusserst gewaltsamen Vertreibung aus der Darstellung des Lukas nicht erhellen 12), und doch läſst sich, daſs es dabei auf das Leben Jesu abgesehen gewesen sei, nicht (mit Schleiermacher 13)) leugnen, ohne das εἰς τὸ κατακρημνίσαι αυτὸν (V. 29.) geradezu für einen falschen Zusaz des Referenten zu erklären, wodurch seine Glaub- würdigkeit für den ganzen Abschnitt einen bedeutenden Stoſs bekäme. Besonders aber das διελϑὼν διὰ μέσου αὐτῶν ἐπορεύετο (V. 30.) ist ein Zug, der sich, wenigstens nach des Erzählers Absicht, nicht durch den bloſsen Herrscher- blick Jesu (mit Hase) erklären läſst, sondern auch hier behält Olshausen Recht, wenn er sagt, der Tendenz des Schriftstellers nach solle ausgesprochen sein, Jesus sei deſs- wegen ungekränkt mitten durch seine wüthenden Feinde hindurchgegangen, weil seine göttliche Kraft Sinn und Glie- der derselben gebunden hielt, weil seine Stunde noch nicht gekommen war (Joh. S, 20.), und weil Niemand sein Le- ben von ihm nehmen konnte, bis er selbst es hingab (Joh. 10, 18.) 14). Nur um so weniger aber wird man auch in diesem Zuge das verherrlichende Bestreben der Sage ver- kennen, vermöge dessen sie Jesum als einen solchen dar- zustellen liebte, von welchem, wie von einem Lot (1 Mos. 19, 11.) und Elisa (2 Kön. 6, 18.) eine höhere Hand, oder besser seine eigene Macht als höheren Wesens, die Feinde abwehrte, wenn man auch nicht gerade, was schon Ter- 12) Hase, Leben Jesu, §. 56. 13) Über den Lukas, S. 63. 14) a. a. O. S. 479, vgl. 2, S. 214.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0476" n="452"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweiter Abschnitt</hi>.</fw><lb/> Lukas in Hinsicht der Ausführlichkeit bestehen soll, das<lb/> anschauliche Gemälde der tumultuarischen Schluſsscene, ha-<lb/> ben selbst diejenigen, welche im Ganzen seiner Erzählung<lb/> den Vorzug geben, doch nicht ganz zurechtzulegen gewuſst.<lb/> Denn einmal konnte man sich nicht verbergen, daſs die<lb/> Gründe einer so äusserst gewaltsamen Vertreibung aus der<lb/> Darstellung des Lukas nicht erhellen <note place="foot" n="12)"><hi rendition="#k">Hase</hi>, Leben Jesu, §. 56.</note>, und doch läſst<lb/> sich, daſs es dabei auf das Leben Jesu abgesehen gewesen<lb/> sei, nicht (mit <hi rendition="#k">Schleiermacher</hi> <note place="foot" n="13)">Über den Lukas, S. 63.</note>) leugnen, ohne das <foreign xml:lang="ell">εἰς<lb/> τὸ κατακρημνίσαι αυτὸν</foreign> (V. 29.) geradezu für einen falschen<lb/> Zusaz des Referenten zu erklären, wodurch seine Glaub-<lb/> würdigkeit für den ganzen Abschnitt einen bedeutenden<lb/> Stoſs bekäme. Besonders aber das <foreign xml:lang="ell">διελϑὼν διὰ μέσου αὐτῶν<lb/> ἐπορεύετο</foreign> (V. 30.) ist ein Zug, der sich, wenigstens nach<lb/> des Erzählers Absicht, nicht durch den bloſsen Herrscher-<lb/> blick Jesu (mit <hi rendition="#k">Hase</hi>) erklären läſst, sondern auch hier<lb/> behält <hi rendition="#k">Olshausen</hi> Recht, wenn er sagt, der Tendenz des<lb/> Schriftstellers nach solle ausgesprochen sein, Jesus sei deſs-<lb/> wegen ungekränkt mitten durch seine wüthenden Feinde<lb/> hindurchgegangen, weil seine göttliche Kraft Sinn und Glie-<lb/> der derselben gebunden hielt, weil seine Stunde noch nicht<lb/> gekommen war (Joh. S, 20.), und weil Niemand sein Le-<lb/> ben von ihm nehmen konnte, bis er selbst es hingab (Joh.<lb/> 10, 18.) <note place="foot" n="14)">a. a. O. S. 479, vgl. 2, S. 214.</note>. Nur um so weniger aber wird man auch in<lb/> diesem Zuge das verherrlichende Bestreben der Sage ver-<lb/> kennen, vermöge dessen sie Jesum als einen solchen dar-<lb/> zustellen liebte, von welchem, wie von einem Lot (1 Mos.<lb/> 19, 11.) und Elisa (2 Kön. 6, 18.) eine höhere Hand, oder<lb/> besser seine eigene Macht als höheren Wesens, die Feinde<lb/> abwehrte, wenn man auch nicht gerade, was schon Ter-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [452/0476]
Zweiter Abschnitt.
Lukas in Hinsicht der Ausführlichkeit bestehen soll, das
anschauliche Gemälde der tumultuarischen Schluſsscene, ha-
ben selbst diejenigen, welche im Ganzen seiner Erzählung
den Vorzug geben, doch nicht ganz zurechtzulegen gewuſst.
Denn einmal konnte man sich nicht verbergen, daſs die
Gründe einer so äusserst gewaltsamen Vertreibung aus der
Darstellung des Lukas nicht erhellen 12), und doch läſst
sich, daſs es dabei auf das Leben Jesu abgesehen gewesen
sei, nicht (mit Schleiermacher 13)) leugnen, ohne das εἰς
τὸ κατακρημνίσαι αυτὸν (V. 29.) geradezu für einen falschen
Zusaz des Referenten zu erklären, wodurch seine Glaub-
würdigkeit für den ganzen Abschnitt einen bedeutenden
Stoſs bekäme. Besonders aber das διελϑὼν διὰ μέσου αὐτῶν
ἐπορεύετο (V. 30.) ist ein Zug, der sich, wenigstens nach
des Erzählers Absicht, nicht durch den bloſsen Herrscher-
blick Jesu (mit Hase) erklären läſst, sondern auch hier
behält Olshausen Recht, wenn er sagt, der Tendenz des
Schriftstellers nach solle ausgesprochen sein, Jesus sei deſs-
wegen ungekränkt mitten durch seine wüthenden Feinde
hindurchgegangen, weil seine göttliche Kraft Sinn und Glie-
der derselben gebunden hielt, weil seine Stunde noch nicht
gekommen war (Joh. S, 20.), und weil Niemand sein Le-
ben von ihm nehmen konnte, bis er selbst es hingab (Joh.
10, 18.) 14). Nur um so weniger aber wird man auch in
diesem Zuge das verherrlichende Bestreben der Sage ver-
kennen, vermöge dessen sie Jesum als einen solchen dar-
zustellen liebte, von welchem, wie von einem Lot (1 Mos.
19, 11.) und Elisa (2 Kön. 6, 18.) eine höhere Hand, oder
besser seine eigene Macht als höheren Wesens, die Feinde
abwehrte, wenn man auch nicht gerade, was schon Ter-
12) Hase, Leben Jesu, §. 56.
13) Über den Lukas, S. 63.
14) a. a. O. S. 479, vgl. 2, S. 214.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |