Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.Zweiter Abschnitt. dass die Differenz nicht zum Widerspruch werde, was nurdadurch geschehen kann, dass man versucht, jene Abwei- chung nicht aus einer verschiedenen Ansicht der Evangeli- sten von dem Aufenthalt Jesu, sondern, bei gleicher An- sicht aus verschiedener Absicht zu erklären. Da nehmen nun die Einen an, dem Matthäus als Galiläer sei das Ga- liläische das Nächste gewesen, und desswegen habe er, obwohl auch der jerusalemischen Wirksamkeit Jesu kun- dig, doch nur auf die Darstellung von jenem sich beschränkt 5). Allein welcher Biograph, der, unerachtet er seinen Helden selbst in verschiedene Provinzen begleitet und ihn in den- selben hatte wirken gesehen, doch nur das von ihm er- zählte, was er gerade in seiner, des Biographen, Heimath verrichtet hatte! Schwerlich ist eine solche provineielle Bornirtheit jemals vorgekommen. Daher haben Andere die Annahme vorgezogen, dass Matthäus, zu Jerusalem schrei- bend, aus der ihm vollständig bekannten Masse der Reden und Thaten Jesu vornehmlich nur die galiläischen heraus- gehoben habe, weil das in dem entfernteren Galiläa Ge- schehene zu Jerusalem weniger bekannt war und also eher erzählt zu werden brauchte, als das, was, in und bei Je- rusalem vorgegangen, allen daselbst Wohnenden noch in frischer Erinnerung stand 6). Doch hiegegen ist bereits von Andern 7) bemerkt worden, wie unerwiesen die specielle Bestimmung des Matthäusevangeliums für judäische und je- rusalemische Christen sei, dass aber, diese selbst vorausge- sezt, doch auch eine genaue Hinweisung auf das in der Heimath der Leser Geschehene keineswegs überflüssig hätte erscheinen können, und dass endlich (was auch gegen den vorlezten Erklärungsversuch gilt) die gleiche Beschränkung Jesu auf Galiläa bei Markus und Lukas sich hieraus nicht 5) Paulus, ex. Handb. 1, a. S. 39. 6) Guerike, Beiträge zur Einleitung in das N. T. S. 33. 7) Schneckenburger, über den Ursprung u. s. w. S. 9.
Zweiter Abschnitt. daſs die Differenz nicht zum Widerspruch werde, was nurdadurch geschehen kann, daſs man versucht, jene Abwei- chung nicht aus einer verschiedenen Ansicht der Evangeli- sten von dem Aufenthalt Jesu, sondern, bei gleicher An- sicht aus verschiedener Absicht zu erklären. Da nehmen nun die Einen an, dem Matthäus als Galiläer sei das Ga- liläische das Nächste gewesen, und deſswegen habe er, obwohl auch der jerusalemischen Wirksamkeit Jesu kun- dig, doch nur auf die Darstellung von jenem sich beschränkt 5). Allein welcher Biograph, der, unerachtet er seinen Helden selbst in verschiedene Provinzen begleitet und ihn in den- selben hatte wirken gesehen, doch nur das von ihm er- zählte, was er gerade in seiner, des Biographen, Heimath verrichtet hatte! Schwerlich ist eine solche provineielle Bornirtheit jemals vorgekommen. Daher haben Andere die Annahme vorgezogen, daſs Matthäus, zu Jerusalem schrei- bend, aus der ihm vollständig bekannten Masse der Reden und Thaten Jesu vornehmlich nur die galiläischen heraus- gehoben habe, weil das in dem entfernteren Galiläa Ge- schehene zu Jerusalem weniger bekannt war und also eher erzählt zu werden brauchte, als das, was, in und bei Je- rusalem vorgegangen, allen daselbst Wohnenden noch in frischer Erinnerung stand 6). Doch hiegegen ist bereits von Andern 7) bemerkt worden, wie unerwiesen die specielle Bestimmung des Matthäusevangeliums für judäische und je- rusalemische Christen sei, daſs aber, diese selbst vorausge- sezt, doch auch eine genaue Hinweisung auf das in der Heimath der Leser Geschehene keineswegs überflüssig hätte erscheinen können, und daſs endlich (was auch gegen den vorlezten Erklärungsversuch gilt) die gleiche Beschränkung Jesu auf Galiläa bei Markus und Lukas sich hieraus nicht 5) Paulus, ex. Handb. 1, a. S. 39. 6) Guerike, Beiträge zur Einleitung in das N. T. S. 33. 7) Schneckenburger, über den Ursprung u. s. w. S. 9.
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Zweiter Abschnitt.
daſs die Differenz nicht zum Widerspruch werde, was nur
dadurch geschehen kann, daſs man versucht, jene Abwei-
chung nicht aus einer verschiedenen Ansicht der Evangeli-
sten von dem Aufenthalt Jesu, sondern, bei gleicher An-
sicht aus verschiedener Absicht zu erklären. Da nehmen
nun die Einen an, dem Matthäus als Galiläer sei das Ga-
liläische das Nächste gewesen, und deſswegen habe er,
obwohl auch der jerusalemischen Wirksamkeit Jesu kun-
dig, doch nur auf die Darstellung von jenem sich beschränkt 5).
Allein welcher Biograph, der, unerachtet er seinen Helden
selbst in verschiedene Provinzen begleitet und ihn in den-
selben hatte wirken gesehen, doch nur das von ihm er-
zählte, was er gerade in seiner, des Biographen, Heimath
verrichtet hatte! Schwerlich ist eine solche provineielle
Bornirtheit jemals vorgekommen. Daher haben Andere die
Annahme vorgezogen, daſs Matthäus, zu Jerusalem schrei-
bend, aus der ihm vollständig bekannten Masse der Reden
und Thaten Jesu vornehmlich nur die galiläischen heraus-
gehoben habe, weil das in dem entfernteren Galiläa Ge-
schehene zu Jerusalem weniger bekannt war und also eher
erzählt zu werden brauchte, als das, was, in und bei Je-
rusalem vorgegangen, allen daselbst Wohnenden noch in
frischer Erinnerung stand 6). Doch hiegegen ist bereits von
Andern 7) bemerkt worden, wie unerwiesen die specielle
Bestimmung des Matthäusevangeliums für judäische und je-
rusalemische Christen sei, daſs aber, diese selbst vorausge-
sezt, doch auch eine genaue Hinweisung auf das in der
Heimath der Leser Geschehene keineswegs überflüssig hätte
erscheinen können, und daſs endlich (was auch gegen den
vorlezten Erklärungsversuch gilt) die gleiche Beschränkung
Jesu auf Galiläa bei Markus und Lukas sich hieraus nicht
5) Paulus, ex. Handb. 1, a. S. 39.
6) Guerike, Beiträge zur Einleitung in das N. T. S. 33.
7) Schneckenburger, über den Ursprung u. s. w. S. 9.
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