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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Zweiter Abschnitt.
nigen, welche sich zuerst zur mythischen Auffassung der
vorliegenden Erzählung hinneigten, doch wo möglich noch
an einem Strohhalm von Historie sich zu halten suchten.
Da die Geneigtheit zur mythischen Auffassung der Versu-
chungsgeschichte oft nur einseitig durch die Scheue vor dem
Teufelsglauben veranlasst war, so war man zufrieden, die
Vorgänge mit dem Teufel für mythisch zu erklären, und
liess den 40tägigen Aufenthalt in der Wüste um so lieber
in geschichtlichem Werth, als man dadurch eine Veranlas-
sung für die Entstehung des Mythus zu bekommen glaubte,
welche man in Gedanken und Ideen zu finden noch nicht
im Stande war. So sollte denn also Jesus nach seiner Tau-
fe wirklich 40 Tage unter Nüchternheit und Gebet allein
in der Wüste zugebracht haben, und um einen Grund und
Zweck dieses Aufenthalts zu finden, soll man auf die Sa-
ge von einer in dieser Zeit vorgefallenen Versuchung des
Teufels gerathen sein, den man sich ohnehin in der Wüste
dachte 1). Als ob ein solcher Aufenthalt nicht auch schon
durch den Zweck einer heiligen Ascese hinlänglich erklärt
gewesen wäre 2), und was die Hauptsache ist, als ob nicht
gerade ein 40tägiges Fasten in der Wüste, auch ohne ge-
schichtlichen Grund, zu erdichten, wegen der vor Augen
liegenden Parallele mit gleichen Vorgängen aus dem Leben
des Moses und Elias, ganz besonders im Interesse der Sa-
ge gelegen hätte.

So aller geschichtlichen Grundlage beraubt, sind wir
zur Ableitung der vorliegenden Erzählung rein nur auf Ge-
danken, auf jüdische und urchristliche Vorstellungen ver-
wiesen, und hier sind wir so glücklich, sagen zu können,
dass sich kein Zug in der Erzählung findet, der nicht aus

1) Diese Ansicht verband J. E. Ch. Schmidt späterhin mit der
im vorigen §. von ihm angeführten, s. seine Bibliothek, 2,
S. 223 ff. Andere s. bei Ruinöl, S. 80.
2) Fritzsche, in Matth. S. 176.

Zweiter Abschnitt.
nigen, welche sich zuerst zur mythischen Auffassung der
vorliegenden Erzählung hinneigten, doch wo möglich noch
an einem Strohhalm von Historie sich zu halten suchten.
Da die Geneigtheit zur mythischen Auffassung der Versu-
chungsgeschichte oft nur einseitig durch die Scheue vor dem
Teufelsglauben veranlaſst war, so war man zufrieden, die
Vorgänge mit dem Teufel für mythisch zu erklären, und
lieſs den 40tägigen Aufenthalt in der Wüste um so lieber
in geschichtlichem Werth, als man dadurch eine Veranlas-
sung für die Entstehung des Mythus zu bekommen glaubte,
welche man in Gedanken und Ideen zu finden noch nicht
im Stande war. So sollte denn also Jesus nach seiner Tau-
fe wirklich 40 Tage unter Nüchternheit und Gebet allein
in der Wüste zugebracht haben, und um einen Grund und
Zweck dieses Aufenthalts zu finden, soll man auf die Sa-
ge von einer in dieser Zeit vorgefallenen Versuchung des
Teufels gerathen sein, den man sich ohnehin in der Wüste
dachte 1). Als ob ein solcher Aufenthalt nicht auch schon
durch den Zweck einer heiligen Ascese hinlänglich erklärt
gewesen wäre 2), und was die Hauptsache ist, als ob nicht
gerade ein 40tägiges Fasten in der Wüste, auch ohne ge-
schichtlichen Grund, zu erdichten, wegen der vor Augen
liegenden Parallele mit gleichen Vorgängen aus dem Leben
des Moses und Elias, ganz besonders im Interesse der Sa-
ge gelegen hätte.

So aller geschichtlichen Grundlage beraubt, sind wir
zur Ableitung der vorliegenden Erzählung rein nur auf Ge-
danken, auf jüdische und urchristliche Vorstellungen ver-
wiesen, und hier sind wir so glücklich, sagen zu können,
daſs sich kein Zug in der Erzählung findet, der nicht aus

1) Diese Ansicht verband J. E. Ch. Schmidt späterhin mit der
im vorigen §. von ihm angeführten, s. seine Bibliothek, 2,
S. 223 ff. Andere s. bei Ruinöl, S. 80.
2) Fritzsche, in Matth. S. 176.
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[418/0442] Zweiter Abschnitt. nigen, welche sich zuerst zur mythischen Auffassung der vorliegenden Erzählung hinneigten, doch wo möglich noch an einem Strohhalm von Historie sich zu halten suchten. Da die Geneigtheit zur mythischen Auffassung der Versu- chungsgeschichte oft nur einseitig durch die Scheue vor dem Teufelsglauben veranlaſst war, so war man zufrieden, die Vorgänge mit dem Teufel für mythisch zu erklären, und lieſs den 40tägigen Aufenthalt in der Wüste um so lieber in geschichtlichem Werth, als man dadurch eine Veranlas- sung für die Entstehung des Mythus zu bekommen glaubte, welche man in Gedanken und Ideen zu finden noch nicht im Stande war. So sollte denn also Jesus nach seiner Tau- fe wirklich 40 Tage unter Nüchternheit und Gebet allein in der Wüste zugebracht haben, und um einen Grund und Zweck dieses Aufenthalts zu finden, soll man auf die Sa- ge von einer in dieser Zeit vorgefallenen Versuchung des Teufels gerathen sein, den man sich ohnehin in der Wüste dachte 1). Als ob ein solcher Aufenthalt nicht auch schon durch den Zweck einer heiligen Ascese hinlänglich erklärt gewesen wäre 2), und was die Hauptsache ist, als ob nicht gerade ein 40tägiges Fasten in der Wüste, auch ohne ge- schichtlichen Grund, zu erdichten, wegen der vor Augen liegenden Parallele mit gleichen Vorgängen aus dem Leben des Moses und Elias, ganz besonders im Interesse der Sa- ge gelegen hätte. So aller geschichtlichen Grundlage beraubt, sind wir zur Ableitung der vorliegenden Erzählung rein nur auf Ge- danken, auf jüdische und urchristliche Vorstellungen ver- wiesen, und hier sind wir so glücklich, sagen zu können, daſs sich kein Zug in der Erzählung findet, der nicht aus 1) Diese Ansicht verband J. E. Ch. Schmidt späterhin mit der im vorigen §. von ihm angeführten, s. seine Bibliothek, 2, S. 223 ff. Andere s. bei Ruinöl, S. 80. 2) Fritzsche, in Matth. S. 176.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 418. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/442>, abgerufen am 22.11.2024.