Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweites Kapitel. §. 51.
macht sein, wodurch, wie Paulus sehr wahr bemerkt, die
Verfasser den Exegeten grosse Mühe erspart haben wür-
den. Überdiess ist gegen die Auffassung des Vorgangs als
Ekstase mit Recht eingewendet worden, dass dergleichen
Zustände sonst nicht im Leben Jesu vorkommen 8), gegen
die Annahme eines Traums aber diess, dass Jesus sonst
nirgends einen Traum und zwar mit solchem Gewichte wie-
dererzählt habe 9). Ferner, was das Bewirkende dieser
Zustände betrifft, so begreift man nicht, wozu Gott in Je-
su diese Vision erregt hätte, und ebensowenig, dass der
Teufel eine solche, zumal in Christo, hervorzubringen
Macht und Befugniss gehabt haben sollte; bei der Annah-
me eines durch die eigenen Gedanken Jesu bewirkten Trau-
mes aber darf man nicht vergessen, dass man dabei eine
grosse Gewalt jener falschen Messiasideen im Gemüthe Je-
su voraussezt 10).

Kann so nach dem Ergebniss der lezten Betrachtung
die Versuchungsgeschichte nicht als innerer Vorgang ge-
nommen werden, und nach dem früher Ausgeführten nicht
als übernatürlicher: so scheint nichts übrig zu sein, als
dieselbe als äussere zwar, aber durchaus natürliche Bege-
gebenheit anzusehen, d. h. also den Versucher zu einem blo-
sen Menschen zu machen. Nachdem Johannes auf Jesum
als den Messias aufmerksam gemacht hatte, meint der Verf.
der natürlichen Geschichte des Propheten von Nazaret 11),
habe die herrschende Partei zu Jerusalem einen listigen
Pharisäer ausgesandt, der Jesum auf die Probe stellen soll-
te, ob er wirklich messianische Wunderkräfte besässe, und
ob er nicht in das Interesse der Priesterschaft zu ziehen

8) Ullmann, über die Unsündlichkeit Jesu, in s. Studien 1, 1,
S. 56.
9) Usteri, a. a. O. S. 775.
10) Ebenders. S. 776.
11) 1. Bd. S. 542 ff., nach Hermann von der Hardt, Basedow
u. A.; noch neuestens Kuinöl S. 81.

Zweites Kapitel. §. 51.
macht sein, wodurch, wie Paulus sehr wahr bemerkt, die
Verfasser den Exegeten groſse Mühe erspart haben wür-
den. Überdieſs ist gegen die Auffassung des Vorgangs als
Ekstase mit Recht eingewendet worden, daſs dergleichen
Zustände sonst nicht im Leben Jesu vorkommen 8), gegen
die Annahme eines Traums aber dieſs, daſs Jesus sonst
nirgends einen Traum und zwar mit solchem Gewichte wie-
dererzählt habe 9). Ferner, was das Bewirkende dieser
Zustände betrifft, so begreift man nicht, wozu Gott in Je-
su diese Vision erregt hätte, und ebensowenig, daſs der
Teufel eine solche, zumal in Christo, hervorzubringen
Macht und Befugniſs gehabt haben sollte; bei der Annah-
me eines durch die eigenen Gedanken Jesu bewirkten Trau-
mes aber darf man nicht vergessen, daſs man dabei eine
groſse Gewalt jener falschen Messiasideen im Gemüthe Je-
su voraussezt 10).

Kann so nach dem Ergebniſs der lezten Betrachtung
die Versuchungsgeschichte nicht als innerer Vorgang ge-
nommen werden, und nach dem früher Ausgeführten nicht
als übernatürlicher: so scheint nichts übrig zu sein, als
dieselbe als äussere zwar, aber durchaus natürliche Bege-
gebenheit anzusehen, d. h. also den Versucher zu einem blo-
sen Menschen zu machen. Nachdem Johannes auf Jesum
als den Messias aufmerksam gemacht hatte, meint der Verf.
der natürlichen Geschichte des Propheten von Nazaret 11),
habe die herrschende Partei zu Jerusalem einen listigen
Pharisäer ausgesandt, der Jesum auf die Probe stellen soll-
te, ob er wirklich messianische Wunderkräfte besäſse, und
ob er nicht in das Interesse der Priesterschaft zu ziehen

8) Ullmann, über die Unsündlichkeit Jesu, in s. Studien 1, 1,
S. 56.
9) Usteri, a. a. O. S. 775.
10) Ebenders. S. 776.
11) 1. Bd. S. 542 ff., nach Hermann von der Hardt, Basedow
u. A.; noch neuestens Kuinöl S. 81.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0437" n="413"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweites Kapitel</hi>. §. 51.</fw><lb/>
macht sein, wodurch, wie <hi rendition="#k">Paulus</hi> sehr wahr bemerkt, die<lb/>
Verfasser den Exegeten gro&#x017F;se Mühe erspart haben wür-<lb/>
den. Überdie&#x017F;s ist gegen die Auffassung des Vorgangs als<lb/>
Ekstase mit Recht eingewendet worden, da&#x017F;s dergleichen<lb/>
Zustände sonst nicht im Leben Jesu vorkommen <note place="foot" n="8)"><hi rendition="#k">Ullmann</hi>, über die Unsündlichkeit Jesu, in s. Studien 1, 1,<lb/>
S. 56.</note>, gegen<lb/>
die Annahme eines Traums aber die&#x017F;s, da&#x017F;s Jesus sonst<lb/>
nirgends einen Traum und zwar mit solchem Gewichte wie-<lb/>
dererzählt habe <note place="foot" n="9)"><hi rendition="#k">Usteri</hi>, a. a. O. S. 775.</note>. Ferner, was das Bewirkende dieser<lb/>
Zustände betrifft, so begreift man nicht, wozu Gott in Je-<lb/>
su diese Vision erregt hätte, und ebensowenig, da&#x017F;s der<lb/>
Teufel eine solche, zumal in Christo, hervorzubringen<lb/>
Macht und Befugni&#x017F;s gehabt haben sollte; bei der Annah-<lb/>
me eines durch die eigenen Gedanken Jesu bewirkten Trau-<lb/>
mes aber darf man nicht vergessen, da&#x017F;s man dabei eine<lb/>
gro&#x017F;se Gewalt jener falschen Messiasideen im Gemüthe Je-<lb/>
su voraussezt <note place="foot" n="10)">Ebenders. S. 776.</note>.</p><lb/>
            <p>Kann so nach dem Ergebni&#x017F;s der lezten Betrachtung<lb/>
die Versuchungsgeschichte nicht als innerer Vorgang ge-<lb/>
nommen werden, und nach dem früher Ausgeführten nicht<lb/>
als übernatürlicher: so scheint nichts übrig zu sein, als<lb/>
dieselbe als äussere zwar, aber durchaus natürliche Bege-<lb/>
gebenheit anzusehen, d. h. also den Versucher zu einem blo-<lb/>
sen Menschen zu machen. Nachdem Johannes auf Jesum<lb/>
als den Messias aufmerksam gemacht hatte, meint der Verf.<lb/>
der natürlichen Geschichte des Propheten von Nazaret <note place="foot" n="11)">1. Bd. S. 542 ff., nach Hermann von der <hi rendition="#k">Hardt, Basedow</hi><lb/>
u. A.; noch neuestens <hi rendition="#k">Kuinöl</hi> S. 81.</note>,<lb/>
habe die herrschende Partei zu Jerusalem einen listigen<lb/>
Pharisäer ausgesandt, der Jesum auf die Probe stellen soll-<lb/>
te, ob er wirklich messianische Wunderkräfte besä&#x017F;se, und<lb/>
ob er nicht in das Interesse der Priesterschaft zu ziehen<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[413/0437] Zweites Kapitel. §. 51. macht sein, wodurch, wie Paulus sehr wahr bemerkt, die Verfasser den Exegeten groſse Mühe erspart haben wür- den. Überdieſs ist gegen die Auffassung des Vorgangs als Ekstase mit Recht eingewendet worden, daſs dergleichen Zustände sonst nicht im Leben Jesu vorkommen 8), gegen die Annahme eines Traums aber dieſs, daſs Jesus sonst nirgends einen Traum und zwar mit solchem Gewichte wie- dererzählt habe 9). Ferner, was das Bewirkende dieser Zustände betrifft, so begreift man nicht, wozu Gott in Je- su diese Vision erregt hätte, und ebensowenig, daſs der Teufel eine solche, zumal in Christo, hervorzubringen Macht und Befugniſs gehabt haben sollte; bei der Annah- me eines durch die eigenen Gedanken Jesu bewirkten Trau- mes aber darf man nicht vergessen, daſs man dabei eine groſse Gewalt jener falschen Messiasideen im Gemüthe Je- su voraussezt 10). Kann so nach dem Ergebniſs der lezten Betrachtung die Versuchungsgeschichte nicht als innerer Vorgang ge- nommen werden, und nach dem früher Ausgeführten nicht als übernatürlicher: so scheint nichts übrig zu sein, als dieselbe als äussere zwar, aber durchaus natürliche Bege- gebenheit anzusehen, d. h. also den Versucher zu einem blo- sen Menschen zu machen. Nachdem Johannes auf Jesum als den Messias aufmerksam gemacht hatte, meint der Verf. der natürlichen Geschichte des Propheten von Nazaret 11), habe die herrschende Partei zu Jerusalem einen listigen Pharisäer ausgesandt, der Jesum auf die Probe stellen soll- te, ob er wirklich messianische Wunderkräfte besäſse, und ob er nicht in das Interesse der Priesterschaft zu ziehen 8) Ullmann, über die Unsündlichkeit Jesu, in s. Studien 1, 1, S. 56. 9) Usteri, a. a. O. S. 775. 10) Ebenders. S. 776. 11) 1. Bd. S. 542 ff., nach Hermann von der Hardt, Basedow u. A.; noch neuestens Kuinöl S. 81.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/437
Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 413. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/437>, abgerufen am 25.11.2024.