welchem sein Geist die vorigen Gedanken unwissend in redende und handelnde Gestalten umschafft.
Für diese Verlegung des ganzen Vorgangs in das In- nere Jesu glauben die Erklärer einige Züge der evangeli- schen Erzählung selbst anführen zu können. Das anekhthe eis ten eremon upo tou pneumatos bei Matthäus, noch mehr das egeto en to pneumati bei Lukas sei doch ganz entspre- chend den Formeln: egenomen en pneumati, Offenb. 1, 10., apenegke me eis eremon en pneumati, ebend. 17,3., und ähnli- chen bei Ezechiel; da nun in diesen Stellen nur von in- nerer Anschauung die Rede sei, so könne auch in der uns- rigen kein äusserer Vorgang gemeint sein 6). Allein mit Grund hat man dagegen bemerkt 7), dass jene Formeln für sich beides bedeuten können: vom göttlichen Geist äusser- lich und wirklich wohin versezt werden, wie A. G. 8, 39. 2. K. 2, 16; oder nur innerlich und visionär, wie in den angeführten Stellen der Apokalypse, und dass zwischen bei- den möglichen Deutungen der Zusammenhang entscheiden müsse. Dieser entscheide nun allerdings in einem durch und durch visionären Buche, wie die Apokalypse und Eze- chiel, für einen blos inneren Vorgang; in einem geschicht- lichen Werke aber, wie unsere Evangelien, für einen äus- seren. Träume ohnehin, aber auch Visionen werden in den historischen Büchern des N. T.s immer durch ausdrück- liche Bemerkungen als solche angekündigt, und so müsste es auch an unsrer Stelle entweder eiden en oramati, en eksasei heissen, wie A. G. 9, 12. 10, 10. oder ephane auto kat' onar, wie Matth. 1, 20. 2, 13. Namentlich aber, wenn ein Traum erzählt werden sollte, müsste der Übergang aus demselben zu dem weitern Verlauf der wirklichen Geschich- te, wie Matth. 1, 24. 2, 14. 21., durch ein diegertheis ge-
6)Paulus, a. a. O., vergl. Kuinöl, in Matth. p. 77.
7)Fritzsche, in Matth. 155 f. Usteri, Beitrag zur Erklärung der Versuchungsgeschichte, a. a. O. S. 774 f.
Zweiter Abschnitt.
welchem sein Geist die vorigen Gedanken unwissend in redende und handelnde Gestalten umschafft.
Für diese Verlegung des ganzen Vorgangs in das In- nere Jesu glauben die Erklärer einige Züge der evangeli- schen Erzählung selbst anführen zu können. Das ἀνήχϑη εἰς τὴν ἔρημον ὑπὸ τοῦ πνεύματος bei Matthäus, noch mehr das ἤγετο ἐν τῷ πνεύματι bei Lukas sei doch ganz entspre- chend den Formeln: ἐγενόμην ἐν πνεύματι, Offenb. 1, 10., ἀπήνεγκέ με εἰς ἔρημον ἐν πνεύματι, ebend. 17,3., und ähnli- chen bei Ezechiel; da nun in diesen Stellen nur von in- nerer Anschauung die Rede sei, so könne auch in der uns- rigen kein äusserer Vorgang gemeint sein 6). Allein mit Grund hat man dagegen bemerkt 7), daſs jene Formeln für sich beides bedeuten können: vom göttlichen Geist äusser- lich und wirklich wohin versezt werden, wie A. G. 8, 39. 2. K. 2, 16; oder nur innerlich und visionär, wie in den angeführten Stellen der Apokalypse, und daſs zwischen bei- den möglichen Deutungen der Zusammenhang entscheiden müsse. Dieser entscheide nun allerdings in einem durch und durch visionären Buche, wie die Apokalypse und Eze- chiel, für einen blos inneren Vorgang; in einem geschicht- lichen Werke aber, wie unsere Evangelien, für einen äus- seren. Träume ohnehin, aber auch Visionen werden in den historischen Büchern des N. T.s immer durch ausdrück- liche Bemerkungen als solche angekündigt, und so müſste es auch an unsrer Stelle entweder εἶδεν ἐν ὁράματι, ἐν ἐκςάσει heiſsen, wie A. G. 9, 12. 10, 10. oder ἐφάνη αὐτῷ κατ' ὄναρ, wie Matth. 1, 20. 2, 13. Namentlich aber, wenn ein Traum erzählt werden sollte, müſste der Übergang aus demselben zu dem weitern Verlauf der wirklichen Geschich- te, wie Matth. 1, 24. 2, 14. 21., durch ein διεγερϑεὶς ge-
6)Paulus, a. a. O., vergl. Kuinöl, in Matth. p. 77.
7)Fritzsche, in Matth. 155 f. Usteri, Beitrag zur Erklärung der Versuchungsgeschichte, a. a. O. S. 774 f.
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Zweiter Abschnitt.
welchem sein Geist die vorigen Gedanken unwissend in
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Für diese Verlegung des ganzen Vorgangs in das In-
nere Jesu glauben die Erklärer einige Züge der evangeli-
schen Erzählung selbst anführen zu können. Das ἀνήχϑη
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das ἤγετο ἐν τῷ πνεύματι bei Lukas sei doch ganz entspre-
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ἀπήνεγκέ με εἰς ἔρημον ἐν πνεύματι, ebend. 17,3., und ähnli-
chen bei Ezechiel; da nun in diesen Stellen nur von in-
nerer Anschauung die Rede sei, so könne auch in der uns-
rigen kein äusserer Vorgang gemeint sein 6). Allein mit
Grund hat man dagegen bemerkt 7), daſs jene Formeln für
sich beides bedeuten können: vom göttlichen Geist äusser-
lich und wirklich wohin versezt werden, wie A. G. 8, 39.
2. K. 2, 16; oder nur innerlich und visionär, wie in den
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den möglichen Deutungen der Zusammenhang entscheiden
müsse. Dieser entscheide nun allerdings in einem durch
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chiel, für einen blos inneren Vorgang; in einem geschicht-
lichen Werke aber, wie unsere Evangelien, für einen äus-
seren. Träume ohnehin, aber auch Visionen werden in
den historischen Büchern des N. T.s immer durch ausdrück-
liche Bemerkungen als solche angekündigt, und so müſste
es auch an unsrer Stelle entweder εἶδεν ἐν ὁράματι, ἐν
ἐκςάσει heiſsen, wie A. G. 9, 12. 10, 10. oder ἐφάνη αὐτῷ
κατ' ὄναρ, wie Matth. 1, 20. 2, 13. Namentlich aber, wenn
ein Traum erzählt werden sollte, müſste der Übergang aus
demselben zu dem weitern Verlauf der wirklichen Geschich-
te, wie Matth. 1, 24. 2, 14. 21., durch ein διεγερϑεὶς ge-
6) Paulus, a. a. O., vergl. Kuinöl, in Matth. p. 77.
7) Fritzsche, in Matth. 155 f. Usteri, Beitrag zur Erklärung
der Versuchungsgeschichte, a. a. O. S. 774 f.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 412. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/436>, abgerufen am 25.11.2024.
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