das Faktum der Taufe Jesu durch Johannes nicht bezwei- feln, 1) weil die urchristliche Sage es so entschieden wie wenige Punkte des Lebens Jesu voraussezt (A.G. 1, 22.); 2) weil, es zu erdichten, wenig Versuchung vorlag, da es Jesum unter den Täufer zu stellen scheinen konnte; haupt- sächlich aber 3) weil es den natürlichsten Anknüpfungs- punkt für eine Erklärung des messianischen Auftretens Jesu giebt. Wenn wir aus Einer und derselben Zeit zwei Männer haben, von welchen der eine die Nähe des Mes- siasreichs verkündigt, der andre später die Rolle des Mes- sias selbst übernimmt: so müsste auch ohne positive Nach- richten die Vermuthung entstehen, dass beide in einer Be- ziehung zu einander gestanden haben, durch den Ersteren die Idee in dem Lezteren geweckt worden sei. War aber Jesus durch Johannes zu messianischen Ideen angeregt, doch, wie natürlich, für den Anfang nur so, dass auch er der Ankunft des messianischen Individuums, als wel- ches er nicht am ersten Tage gleich sich selber wird er- kannt haben, erwartungsvoll entgegensah: so wird er sich auch der johanneischen Taufe unterzogen haben. Diese gieng sofort ohne alles Auffallende vor sich, und Jesus, keineswegs schon bei dieser Gelegenheit als der über dem Täufer Stehende angekündigt, mag, wie schon oben be- merkt, noch längere Zeit als Schüler desselben sich benom- men haben.
Sehen wir von hier vergleichend auf unsre vier evan- gelischen Berichte zurück: so verschwindet der Vorzug vollends ganz, welchen man neuerlich dem Berichte des vierten Evangeliums vor dem der übrigen einräumen wollte. Denn das allein Historische, die Taufe Jesu durch Johan- nes, erwähnt der bezeichnete Evangelist, einzig um das mythische Beiwerk bemüht, gar nicht, diese Nebenum- stände aber berichtet er in der That nur darin einfacher als die Synoptiker, dass er von dem Sichöffnen des Him- mels nichts erwähnt; denn die göttliche Anrede fehlt, wenn
Zweiter Abschnitt.
das Faktum der Taufe Jesu durch Johannes nicht bezwei- feln, 1) weil die urchristliche Sage es so entschieden wie wenige Punkte des Lebens Jesu voraussezt (A.G. 1, 22.); 2) weil, es zu erdichten, wenig Versuchung vorlag, da es Jesum unter den Täufer zu stellen scheinen konnte; haupt- sächlich aber 3) weil es den natürlichsten Anknüpfungs- punkt für eine Erklärung des messianischen Auftretens Jesu giebt. Wenn wir aus Einer und derselben Zeit zwei Männer haben, von welchen der eine die Nähe des Mes- siasreichs verkündigt, der andre später die Rolle des Mes- sias selbst übernimmt: so müſste auch ohne positive Nach- richten die Vermuthung entstehen, daſs beide in einer Be- ziehung zu einander gestanden haben, durch den Ersteren die Idee in dem Lezteren geweckt worden sei. War aber Jesus durch Johannes zu messianischen Ideen angeregt, doch, wie natürlich, für den Anfang nur so, daſs auch er der Ankunft des messianischen Individuums, als wel- ches er nicht am ersten Tage gleich sich selber wird er- kannt haben, erwartungsvoll entgegensah: so wird er sich auch der johanneischen Taufe unterzogen haben. Diese gieng sofort ohne alles Auffallende vor sich, und Jesus, keineswegs schon bei dieser Gelegenheit als der über dem Täufer Stehende angekündigt, mag, wie schon oben be- merkt, noch längere Zeit als Schüler desselben sich benom- men haben.
Sehen wir von hier vergleichend auf unsre vier evan- gelischen Berichte zurück: so verschwindet der Vorzug vollends ganz, welchen man neuerlich dem Berichte des vierten Evangeliums vor dem der übrigen einräumen wollte. Denn das allein Historische, die Taufe Jesu durch Johan- nes, erwähnt der bezeichnete Evangelist, einzig um das mythische Beiwerk bemüht, gar nicht, diese Nebenum- stände aber berichtet er in der That nur darin einfacher als die Synoptiker, daſs er von dem Sichöffnen des Him- mels nichts erwähnt; denn die göttliche Anrede fehlt, wenn
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Zweiter Abschnitt.
das Faktum der Taufe Jesu durch Johannes nicht bezwei-
feln, 1) weil die urchristliche Sage es so entschieden wie
wenige Punkte des Lebens Jesu voraussezt (A.G. 1, 22.);
2) weil, es zu erdichten, wenig Versuchung vorlag, da es
Jesum unter den Täufer zu stellen scheinen konnte; haupt-
sächlich aber 3) weil es den natürlichsten Anknüpfungs-
punkt für eine Erklärung des messianischen Auftretens
Jesu giebt. Wenn wir aus Einer und derselben Zeit zwei
Männer haben, von welchen der eine die Nähe des Mes-
siasreichs verkündigt, der andre später die Rolle des Mes-
sias selbst übernimmt: so müſste auch ohne positive Nach-
richten die Vermuthung entstehen, daſs beide in einer Be-
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die Idee in dem Lezteren geweckt worden sei. War aber
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doch, wie natürlich, für den Anfang nur so, daſs auch
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ches er nicht am ersten Tage gleich sich selber wird er-
kannt haben, erwartungsvoll entgegensah: so wird er sich
auch der johanneischen Taufe unterzogen haben. Diese
gieng sofort ohne alles Auffallende vor sich, und Jesus,
keineswegs schon bei dieser Gelegenheit als der über dem
Täufer Stehende angekündigt, mag, wie schon oben be-
merkt, noch längere Zeit als Schüler desselben sich benom-
men haben.
Sehen wir von hier vergleichend auf unsre vier evan-
gelischen Berichte zurück: so verschwindet der Vorzug
vollends ganz, welchen man neuerlich dem Berichte des
vierten Evangeliums vor dem der übrigen einräumen wollte.
Denn das allein Historische, die Taufe Jesu durch Johan-
nes, erwähnt der bezeichnete Evangelist, einzig um das
mythische Beiwerk bemüht, gar nicht, diese Nebenum-
stände aber berichtet er in der That nur darin einfacher
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 390. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/414>, abgerufen am 25.11.2024.
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