nicht folgt, dass nicht auch noch andere sinnliche Gegen- stände als solche Symbole haben gebraucht werden können. Nun war aber in einer A. T.lichen Hauptstelle über die rv'kha elhoiym (1. Mos. 1, 2.) diese als schwebend (m@ratepe[t]) dar- gestellt; suchte man hiefür ein sinnliches Substrat, so konnte man nicht sowohl an Feuer, als an die Bewegung eines Vogels denken, wie denn das rakhap 5. Mos. 32, 11. von dem Schweben eines solchen über seinen Jungen gebraucht ist. Konnte aber bei dem unbestimmten Bilde eines Vogels über- haupt für jenes Schweben des Gottesgeistes die Vorstellung wieder nicht stehen bleiben: so musste alles auf die Wahl gerade der Taube hinführen.
Im Orient, namentlich in Syrien und Palästina, ist die Taube ein heiliger Vogel 14), und zwar gerade aus ei- nem Grunde, welcher beinahe nöthigen musste, sie mit dem auf den Urgewässern schwebenden Geiste, 1. Mos. 1, 2., in Beziehung zu setzen. Die Taube nämlich, als brütende, war ein Symbol der belebenden Naturwärme 15), sie stellte also ganz jene Funktion dar, welche in der mosaischen Schöpfungsgeschichte dem göttlichen Geiste zugeschrieben wird, durch seine belebende Kraft aus dem chaotischen Zustande der ersten Schöpfung die Welt des Lebens her- vorzurufen. Überdiess, als die Erde zum zweitenmal vom Wasser bedeckt worden war, ist es eine von Noa ausge- sendete Taube, welche über den Wassern schwebt, und durch das Oelblatt, das sie bringt und zuletzt durch ihr Aussenbleiben die wiedergekehrte Möglichkeit des Lebens auf der Erde verkündigt. Wen kann es hienach noch Wun- der nehmen, wenn in jüdischen Schriften der über dem Ur-
14) Tibull. Carm. L. 1. eleg. 8. V. 17 f. und dazu die Anmerkung von Broeckhuis; Creuzer, Symbolik, 2, S. 70 f.; Paulus, exeg. Handb. 1, a, S. 369.
15)Creuzer, Symbolik 2, S. 80.
25*
Zweites Kapitel. §. 47.
nicht folgt, daſs nicht auch noch andere sinnliche Gegen- stände als solche Symbole haben gebraucht werden können. Nun war aber in einer A. T.lichen Hauptstelle über die רוּחַ אֱלהִֹים (1. Mos. 1, 2.) diese als schwebend (מְרַתֶפֶ[ת]) dar- gestellt; suchte man hiefür ein sinnliches Substrat, so konnte man nicht sowohl an Feuer, als an die Bewegung eines Vogels denken, wie denn das רָחַפ 5. Mos. 32, 11. von dem Schweben eines solchen über seinen Jungen gebraucht ist. Konnte aber bei dem unbestimmten Bilde eines Vogels über- haupt für jenes Schweben des Gottesgeistes die Vorstellung wieder nicht stehen bleiben: so muſste alles auf die Wahl gerade der Taube hinführen.
Im Orient, namentlich in Syrien und Palästina, ist die Taube ein heiliger Vogel 14), und zwar gerade aus ei- nem Grunde, welcher beinahe nöthigen muſste, sie mit dem auf den Urgewässern schwebenden Geiste, 1. Mos. 1, 2., in Beziehung zu setzen. Die Taube nämlich, als brütende, war ein Symbol der belebenden Naturwärme 15), sie stellte also ganz jene Funktion dar, welche in der mosaischen Schöpfungsgeschichte dem göttlichen Geiste zugeschrieben wird, durch seine belebende Kraft aus dem chaotischen Zustande der ersten Schöpfung die Welt des Lebens her- vorzurufen. Überdieſs, als die Erde zum zweitenmal vom Wasser bedeckt worden war, ist es eine von Noa ausge- sendete Taube, welche über den Wassern schwebt, und durch das Oelblatt, das sie bringt und zuletzt durch ihr Aussenbleiben die wiedergekehrte Möglichkeit des Lebens auf der Erde verkündigt. Wen kann es hienach noch Wun- der nehmen, wenn in jüdischen Schriften der über dem Ur-
14) Tibull. Carm. L. 1. eleg. 8. V. 17 f. und dazu die Anmerkung von Broeckhuis; Creuzer, Symbolik, 2, S. 70 f.; Paulus, exeg. Handb. 1, a, S. 369.
15)Creuzer, Symbolik 2, S. 80.
25*
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0411"n="387"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Zweites Kapitel</hi>. §. 47.</fw><lb/>
nicht folgt, daſs nicht auch noch andere sinnliche Gegen-<lb/>
stände als solche Symbole haben gebraucht werden können.<lb/>
Nun war aber in einer A. T.lichen Hauptstelle über die<lb/><foreignxml:lang="heb">רוּחַאֱלהִֹים</foreign> (1. Mos. 1, 2.) diese als schwebend (<foreignxml:lang="heb">מְרַתֶפֶ<supplied>ת</supplied></foreign>) dar-<lb/>
gestellt; suchte man hiefür ein sinnliches Substrat, so konnte<lb/>
man nicht sowohl an Feuer, als an die Bewegung eines<lb/>
Vogels denken, wie denn das <foreignxml:lang="heb">רָחַפ</foreign> 5. Mos. 32, 11. von dem<lb/>
Schweben eines solchen über seinen Jungen gebraucht ist.<lb/>
Konnte aber bei dem unbestimmten Bilde eines Vogels über-<lb/>
haupt für jenes Schweben des Gottesgeistes die Vorstellung<lb/>
wieder nicht stehen bleiben: so muſste alles auf die Wahl<lb/>
gerade der Taube hinführen.</p><lb/><p>Im Orient, namentlich in Syrien und Palästina, ist<lb/>
die Taube ein heiliger Vogel <noteplace="foot"n="14)">Tibull. Carm. L. 1. eleg. 8. V. 17 f. und dazu die Anmerkung<lb/>
von Broeckhuis; <hirendition="#k">Creuzer</hi>, Symbolik, 2, S. 70 f.; <hirendition="#k">Paulus</hi>,<lb/>
exeg. Handb. 1, a, S. 369.</note>, und zwar gerade aus ei-<lb/>
nem Grunde, welcher beinahe nöthigen muſste, sie mit dem<lb/>
auf den Urgewässern schwebenden Geiste, 1. Mos. 1, 2., in<lb/>
Beziehung zu setzen. Die Taube nämlich, als brütende,<lb/>
war ein Symbol der belebenden Naturwärme <noteplace="foot"n="15)"><hirendition="#k">Creuzer</hi>, Symbolik 2, S. 80.</note>, sie stellte<lb/>
also ganz jene Funktion dar, welche in der mosaischen<lb/>
Schöpfungsgeschichte dem göttlichen Geiste zugeschrieben<lb/>
wird, durch seine belebende Kraft aus dem chaotischen<lb/>
Zustande der ersten Schöpfung die Welt des Lebens her-<lb/>
vorzurufen. Überdieſs, als die Erde zum zweitenmal vom<lb/>
Wasser bedeckt worden war, ist es eine von Noa ausge-<lb/>
sendete Taube, welche über den Wassern schwebt, und<lb/>
durch das Oelblatt, das sie bringt und zuletzt durch ihr<lb/>
Aussenbleiben die wiedergekehrte Möglichkeit des Lebens<lb/>
auf der Erde verkündigt. Wen kann es hienach noch Wun-<lb/>
der nehmen, wenn in jüdischen Schriften der über dem Ur-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">25*</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[387/0411]
Zweites Kapitel. §. 47.
nicht folgt, daſs nicht auch noch andere sinnliche Gegen-
stände als solche Symbole haben gebraucht werden können.
Nun war aber in einer A. T.lichen Hauptstelle über die
רוּחַ אֱלהִֹים (1. Mos. 1, 2.) diese als schwebend (מְרַתֶפֶת) dar-
gestellt; suchte man hiefür ein sinnliches Substrat, so konnte
man nicht sowohl an Feuer, als an die Bewegung eines
Vogels denken, wie denn das רָחַפ 5. Mos. 32, 11. von dem
Schweben eines solchen über seinen Jungen gebraucht ist.
Konnte aber bei dem unbestimmten Bilde eines Vogels über-
haupt für jenes Schweben des Gottesgeistes die Vorstellung
wieder nicht stehen bleiben: so muſste alles auf die Wahl
gerade der Taube hinführen.
Im Orient, namentlich in Syrien und Palästina, ist
die Taube ein heiliger Vogel 14), und zwar gerade aus ei-
nem Grunde, welcher beinahe nöthigen muſste, sie mit dem
auf den Urgewässern schwebenden Geiste, 1. Mos. 1, 2., in
Beziehung zu setzen. Die Taube nämlich, als brütende,
war ein Symbol der belebenden Naturwärme 15), sie stellte
also ganz jene Funktion dar, welche in der mosaischen
Schöpfungsgeschichte dem göttlichen Geiste zugeschrieben
wird, durch seine belebende Kraft aus dem chaotischen
Zustande der ersten Schöpfung die Welt des Lebens her-
vorzurufen. Überdieſs, als die Erde zum zweitenmal vom
Wasser bedeckt worden war, ist es eine von Noa ausge-
sendete Taube, welche über den Wassern schwebt, und
durch das Oelblatt, das sie bringt und zuletzt durch ihr
Aussenbleiben die wiedergekehrte Möglichkeit des Lebens
auf der Erde verkündigt. Wen kann es hienach noch Wun-
der nehmen, wenn in jüdischen Schriften der über dem Ur-
14) Tibull. Carm. L. 1. eleg. 8. V. 17 f. und dazu die Anmerkung
von Broeckhuis; Creuzer, Symbolik, 2, S. 70 f.; Paulus,
exeg. Handb. 1, a, S. 369.
15) Creuzer, Symbolik 2, S. 80.
25*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 387. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/411>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.