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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Zweiter Abschnitt.
rem Maasse auf dem Messias ruhen werde, diese Erwar-
tung ergab sich von selbst, sobald einmal die messianische
Zeit als die der Ausgiessung des Geistes über alles Fleisch
gefasst war (Joel 3, 1 ff.) 11), und Jes. 11, 1 f. war ja von
dem Spross Isai's ausdrücklich gesagt, dass auf ihm der
Geist Gottes in aller seiner Fülle, als Geist der Weisheit
und Klugheit, der Stärke und Gottesfurcht ruhen werde.
Und zwar ist in dem Ausdruck: nv'kha `al, welcher hier von
dem Ruhen des Geistes auf dem bezeichneten Subjekte ge-
braucht ist, bereits ein Moment sinnlicher Anschauung ent-
halten, indem jenes Verbum ein Sichniederlassen von Hee-
ren, oder, wie das entsprechende arabische Wort, auch
von Thieren bedeutet; diesem nv'kha aber entspricht deutlich
genug das johanneische menein, obgleich die LXX es noch
genauer durch anapauesthai wiedergeben. War einmal
durch einen solchen Ausdruck die Einbildungskraft ange-
regt: so musste sie sich zur Vollendung des Bildes um so
mehr getrieben finden, als das Herabkommen des Geistes
auf den Messias ausgezeichnet werden musste, jüdischer-
seits vor der Art, wie auch über Propheten (z. B. Jes.
61, 1.), christlicherseits vor der, wie auch über die ge-
tauften Christen (z. B. A. G. 19, 1 ff.) der göttliche Geist
zu kommen pflegte 12); war einmal gegeben, dass der
Geist sich auf den Messias niederlassen werde: so lag die
Frage nahe: wie wird er sich niederlassen? Diess musste
sich nach der Volksvorstellung bestimmen, je nachdem näm-
lich bei den Juden der göttliche Geist unter diesem oder
jenem Bilde vorgestellt zu werden pflegte. Im A. T. und
auch im neuen (A. G. 2, 3.) finden wir vorzugsweise das
Feuer als Symbol des heiligen Geistes 13), woraus aber

11) Vergl. Fritzsche, Comm. in Matth. z. d. St.
12) Schleiermacher, über den Lukas, S. 57.
13) Lücke, Comm. zum Ev. Joh. 1, S. 367.

Zweiter Abschnitt.
rem Maaſse auf dem Messias ruhen werde, diese Erwar-
tung ergab sich von selbst, sobald einmal die messianische
Zeit als die der Ausgiessung des Geistes über alles Fleisch
gefaſst war (Joël 3, 1 ff.) 11), und Jes. 11, 1 f. war ja von
dem Sproſs Isai's ausdrücklich gesagt, daſs auf ihm der
Geist Gottes in aller seiner Fülle, als Geist der Weisheit
und Klugheit, der Stärke und Gottesfurcht ruhen werde.
Und zwar ist in dem Ausdruck: נוּחַ עַל־, welcher hier von
dem Ruhen des Geistes auf dem bezeichneten Subjekte ge-
braucht ist, bereits ein Moment sinnlicher Anschauung ent-
halten, indem jenes Verbum ein Sichniederlassen von Hee-
ren, oder, wie das entsprechende arabische Wort, auch
von Thieren bedeutet; diesem נוּחַ aber entspricht deutlich
genug das johanneische μένειν, obgleich die LXX es noch
genauer durch ἀναπαύεσϑαι wiedergeben. War einmal
durch einen solchen Ausdruck die Einbildungskraft ange-
regt: so muſste sie sich zur Vollendung des Bildes um so
mehr getrieben finden, als das Herabkommen des Geistes
auf den Messias ausgezeichnet werden muſste, jüdischer-
seits vor der Art, wie auch über Propheten (z. B. Jes.
61, 1.), christlicherseits vor der, wie auch über die ge-
tauften Christen (z. B. A. G. 19, 1 ff.) der göttliche Geist
zu kommen pflegte 12); war einmal gegeben, daſs der
Geist sich auf den Messias niederlassen werde: so lag die
Frage nahe: wie wird er sich niederlassen? Dieſs muſste
sich nach der Volksvorstellung bestimmen, je nachdem näm-
lich bei den Juden der göttliche Geist unter diesem oder
jenem Bilde vorgestellt zu werden pflegte. Im A. T. und
auch im neuen (A. G. 2, 3.) finden wir vorzugsweise das
Feuer als Symbol des heiligen Geistes 13), woraus aber

11) Vergl. Fritzsche, Comm. in Matth. z. d. St.
12) Schleiermacher, über den Lukas, S. 57.
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[386/0410] Zweiter Abschnitt. rem Maaſse auf dem Messias ruhen werde, diese Erwar- tung ergab sich von selbst, sobald einmal die messianische Zeit als die der Ausgiessung des Geistes über alles Fleisch gefaſst war (Joël 3, 1 ff.) 11), und Jes. 11, 1 f. war ja von dem Sproſs Isai's ausdrücklich gesagt, daſs auf ihm der Geist Gottes in aller seiner Fülle, als Geist der Weisheit und Klugheit, der Stärke und Gottesfurcht ruhen werde. Und zwar ist in dem Ausdruck: נוּחַ עַל־, welcher hier von dem Ruhen des Geistes auf dem bezeichneten Subjekte ge- braucht ist, bereits ein Moment sinnlicher Anschauung ent- halten, indem jenes Verbum ein Sichniederlassen von Hee- ren, oder, wie das entsprechende arabische Wort, auch von Thieren bedeutet; diesem נוּחַ aber entspricht deutlich genug das johanneische μένειν, obgleich die LXX es noch genauer durch ἀναπαύεσϑαι wiedergeben. War einmal durch einen solchen Ausdruck die Einbildungskraft ange- regt: so muſste sie sich zur Vollendung des Bildes um so mehr getrieben finden, als das Herabkommen des Geistes auf den Messias ausgezeichnet werden muſste, jüdischer- seits vor der Art, wie auch über Propheten (z. B. Jes. 61, 1.), christlicherseits vor der, wie auch über die ge- tauften Christen (z. B. A. G. 19, 1 ff.) der göttliche Geist zu kommen pflegte 12); war einmal gegeben, daſs der Geist sich auf den Messias niederlassen werde: so lag die Frage nahe: wie wird er sich niederlassen? Dieſs muſste sich nach der Volksvorstellung bestimmen, je nachdem näm- lich bei den Juden der göttliche Geist unter diesem oder jenem Bilde vorgestellt zu werden pflegte. Im A. T. und auch im neuen (A. G. 2, 3.) finden wir vorzugsweise das Feuer als Symbol des heiligen Geistes 13), woraus aber 11) Vergl. Fritzsche, Comm. in Matth. z. d. St. 12) Schleiermacher, über den Lukas, S. 57. 13) Lücke, Comm. zum Ev. Joh. 1, S. 367.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 386. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/410>, abgerufen am 24.05.2024.