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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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sten vor einem ähnlichen Schicksale sicher war. Hier al-
so ist die Form der Darstellung, dass Jesus seiner Sicher-
heit wegen nach Galiläa gegangen sei, jedenfalls preisszu-
geben: es fragt sich nur, ob nicht der wesentliche Inhalt
der Nachricht sich doch noch retten lasse? Matthäus und
Markus knüpfen an diese nach des Täufers Verhaftung erfolgte
Reise Jesu nach Galiläa die Anfänge seiner öffentlichen Wirk-
samkeit, und dass diese erst nach des Täufers Wegnahme
begonnen habe, diess Wesentliche möchte ich ihnen gerne
glauben. Denn wenn es an und für sich schon das Natür-
lichste ist, dass der Abgang des Täufers, dessen Schüler er
bis dahin gewesen zu sein scheint (dass die Evangelisten
Jesum gleich nach der Taufe sich wieder von Johannes trennen,
und die Gefangennehmung desselben nur aus der Ferne ver-
nehmen lassen, können wir, wie im folgenden Kapitel noch
klarer werden wird, nicht als historisch anerkennen), Jesum
bewog, an seiner Statt die Predigt des metanoeite; eggike
gar e basileia ton ouranon fortzusetzen: so spricht auch
unser oben aufgestellter Kanon ganz für den Matthäus.
Denn fragt man: was konnte eher die verherrlichende Sa-
ge ohne historischen Grund erdichten, dass Johannes schon
vor Jesu Auftritt abgetreten sei, oder dass er noch einige
Zeit lang mit ihm zusammengewirkt habe? so wird man
nicht anders sagen können, als: das Letztere. Tritt näm-
lich derjenige, welchem der Held einer Erzählung über-
legen ist, schon vor dessen Auftritt vom Schauplaz ab:
so geht die beste Gelegenheit verloren, den Helden
seine Übermacht beweisen zu lassen, welche nur dann in
ihrem vollen Glanze sich zeigen kann, wenn die Erzählung
der aufgehenden Sonne gegenüber den schwindenden Mond
noch über dem Horizonte stehen, und allmählig immer mehr
erbleichen lässt. Gerade das Letztere nun findet bei Jo-
hannes und auch schon bei Lukas statt: das Erstere aber
bei Matthäus und Markus, indem diese beiden den Täufer
schon vor dem Eintritt Jesu in die Schranken vom Schau-

Zweiter Abschnitt.
sten vor einem ähnlichen Schicksale sicher war. Hier al-
so ist die Form der Darstellung, daſs Jesus seiner Sicher-
heit wegen nach Galiläa gegangen sei, jedenfalls preiſszu-
geben: es fragt sich nur, ob nicht der wesentliche Inhalt
der Nachricht sich doch noch retten lasse? Matthäus und
Markus knüpfen an diese nach des Täufers Verhaftung erfolgte
Reise Jesu nach Galiläa die Anfänge seiner öffentlichen Wirk-
samkeit, und daſs diese erst nach des Täufers Wegnahme
begonnen habe, dieſs Wesentliche möchte ich ihnen gerne
glauben. Denn wenn es an und für sich schon das Natür-
lichste ist, daſs der Abgang des Täufers, dessen Schüler er
bis dahin gewesen zu sein scheint (daſs die Evangelisten
Jesum gleich nach der Taufe sich wieder von Johannes trennen,
und die Gefangennehmung desselben nur aus der Ferne ver-
nehmen lassen, können wir, wie im folgenden Kapitel noch
klarer werden wird, nicht als historisch anerkennen), Jesum
bewog, an seiner Statt die Predigt des μετανοεῖτε· ἤγγικε
γαρ ἡ βασιλεία τῶν οὐρανῶν fortzusetzen: so spricht auch
unser oben aufgestellter Kanon ganz für den Matthäus.
Denn fragt man: was konnte eher die verherrlichende Sa-
ge ohne historischen Grund erdichten, daſs Johannes schon
vor Jesu Auftritt abgetreten sei, oder daſs er noch einige
Zeit lang mit ihm zusammengewirkt habe? so wird man
nicht anders sagen können, als: das Letztere. Tritt näm-
lich derjenige, welchem der Held einer Erzählung über-
legen ist, schon vor dessen Auftritt vom Schauplaz ab:
so geht die beste Gelegenheit verloren, den Helden
seine Übermacht beweisen zu lassen, welche nur dann in
ihrem vollen Glanze sich zeigen kann, wenn die Erzählung
der aufgehenden Sonne gegenüber den schwindenden Mond
noch über dem Horizonte stehen, und allmählig immer mehr
erbleichen läſst. Gerade das Letztere nun findet bei Jo-
hannes und auch schon bei Lukas statt: das Erstere aber
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[354/0378] Zweiter Abschnitt. sten vor einem ähnlichen Schicksale sicher war. Hier al- so ist die Form der Darstellung, daſs Jesus seiner Sicher- heit wegen nach Galiläa gegangen sei, jedenfalls preiſszu- geben: es fragt sich nur, ob nicht der wesentliche Inhalt der Nachricht sich doch noch retten lasse? Matthäus und Markus knüpfen an diese nach des Täufers Verhaftung erfolgte Reise Jesu nach Galiläa die Anfänge seiner öffentlichen Wirk- samkeit, und daſs diese erst nach des Täufers Wegnahme begonnen habe, dieſs Wesentliche möchte ich ihnen gerne glauben. Denn wenn es an und für sich schon das Natür- lichste ist, daſs der Abgang des Täufers, dessen Schüler er bis dahin gewesen zu sein scheint (daſs die Evangelisten Jesum gleich nach der Taufe sich wieder von Johannes trennen, und die Gefangennehmung desselben nur aus der Ferne ver- nehmen lassen, können wir, wie im folgenden Kapitel noch klarer werden wird, nicht als historisch anerkennen), Jesum bewog, an seiner Statt die Predigt des μετανοεῖτε· ἤγγικε γαρ ἡ βασιλεία τῶν οὐρανῶν fortzusetzen: so spricht auch unser oben aufgestellter Kanon ganz für den Matthäus. Denn fragt man: was konnte eher die verherrlichende Sa- ge ohne historischen Grund erdichten, daſs Johannes schon vor Jesu Auftritt abgetreten sei, oder daſs er noch einige Zeit lang mit ihm zusammengewirkt habe? so wird man nicht anders sagen können, als: das Letztere. Tritt näm- lich derjenige, welchem der Held einer Erzählung über- legen ist, schon vor dessen Auftritt vom Schauplaz ab: so geht die beste Gelegenheit verloren, den Helden seine Übermacht beweisen zu lassen, welche nur dann in ihrem vollen Glanze sich zeigen kann, wenn die Erzählung der aufgehenden Sonne gegenüber den schwindenden Mond noch über dem Horizonte stehen, und allmählig immer mehr erbleichen läſst. Gerade das Letztere nun findet bei Jo- hannes und auch schon bei Lukas statt: das Erstere aber bei Matthäus und Markus, indem diese beiden den Täufer schon vor dem Eintritt Jesu in die Schranken vom Schau-

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/378>, abgerufen am 25.11.2024.