Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.Einleitung. §. 5. liche im Leben Jesu, seine Wunder, machte besondersThomas Woolston zum Gegenstand seiner Angriffe 8), ein Mann, der auch durch die eigenthümliche Stellung noch besonders bemerkenswerth ist, welche er sich zwischen der alten allegorischen und der neuen naturalistischen Schrifterklärung giebt. Seine ganze Darstellung nämlich bewegt sich in der Alternative: wolle man die Wunder- erzählungen als wirkliche Geschichte festhalten, so verlie- ren sie allen göttlichen Gehalt, und sinken zu ungereimten Streichen, elenden Possen, oder gemeinen Betrügereien herunter: wolle man daher das Göttliche in diesen Erzäh- lungen nicht verlieren, so müsse man mit Aufopferung ih- res geschichtlichen Charakters sie nur als geschichtartige Darstellungen gewisser geistlichen Wahrheiten fassen, wo- für sofort die Auctoritäten der grössten Allegoristen unter den Kirchenvätern, eines Origenes, Augustinus u. A. ange- führt werden, so jedoch, dass ihnen Woolston die Meinung unterstellt, als wollten sie, wie er, durch die allegori- sche Erklärung die buchstäbliche verdrängen, während sie doch, wenige Beispiele bei Origenes abgerechnet, beide Erklärungen nebeneinander bestehen zu lassen geneigt sind. Die Darstellungen Woolstons können Zweifel übrig lassen, auf welche der zwei von ihm einander gegenübergestellten Seiten er mit seiner eignen Ansicht gehöre; bedenkt man die Thatsache, dass er, ehe er als Gegner des gewöhnlichen Christenthums hervortrat, sich mit allegorischer Schrifter- klärung beschäftigte 9): so könnte man diese für seine ei- gentliche Meinung ansehen; wogegen aber die Ausführun- gen über die Ungereimtheit des buchstäblichen Sinns der Wundergeschichten mit solcher Vorliebe von ihm gegeben 8) Six discourses on the miracles of our Saviour. Einzeln her- ausgegeben von 1727--1729. Nebst zwei Vertheidigungs- schriften von den JJ. 1729 u. 30. 9) Schröckh, Kirchengesch. seit der Reform. 6. Thl. S. 191.
Einleitung. §. 5. liche im Leben Jesu, seine Wunder, machte besondersThomas Woolston zum Gegenstand seiner Angriffe 8), ein Mann, der auch durch die eigenthümliche Stellung noch besonders bemerkenswerth ist, welche er sich zwischen der alten allegorischen und der neuen naturalistischen Schrifterklärung giebt. Seine ganze Darstellung nämlich bewegt sich in der Alternative: wolle man die Wunder- erzählungen als wirkliche Geschichte festhalten, so verlie- ren sie allen göttlichen Gehalt, und sinken zu ungereimten Streichen, elenden Possen, oder gemeinen Betrügereien herunter: wolle man daher das Göttliche in diesen Erzäh- lungen nicht verlieren, so müsse man mit Aufopferung ih- res geschichtlichen Charakters sie nur als geschichtartige Darstellungen gewisser geistlichen Wahrheiten fassen, wo- für sofort die Auctoritäten der gröſsten Allegoristen unter den Kirchenvätern, eines Origenes, Augustinus u. A. ange- führt werden, so jedoch, daſs ihnen Woolston die Meinung unterstellt, als wollten sie, wie er, durch die allegori- sche Erklärung die buchstäbliche verdrängen, während sie doch, wenige Beispiele bei Origenes abgerechnet, beide Erklärungen nebeneinander bestehen zu lassen geneigt sind. Die Darstellungen Woolstons können Zweifel übrig lassen, auf welche der zwei von ihm einander gegenübergestellten Seiten er mit seiner eignen Ansicht gehöre; bedenkt man die Thatsache, daſs er, ehe er als Gegner des gewöhnlichen Christenthums hervortrat, sich mit allegorischer Schrifter- klärung beschäftigte 9): so könnte man diese für seine ei- gentliche Meinung ansehen; wogegen aber die Ausführun- gen über die Ungereimtheit des buchstäblichen Sinns der Wundergeschichten mit solcher Vorliebe von ihm gegeben 8) Six discourses on the miracles of our Saviour. Einzeln her- ausgegeben von 1727—1729. Nebst zwei Vertheidigungs- schriften von den JJ. 1729 u. 30. 9) Schröckh, Kirchengesch. seit der Reform. 6. Thl. S. 191.
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Einleitung. §. 5.
liche im Leben Jesu, seine Wunder, machte besonders
Thomas Woolston zum Gegenstand seiner Angriffe 8),
ein Mann, der auch durch die eigenthümliche Stellung noch
besonders bemerkenswerth ist, welche er sich zwischen
der alten allegorischen und der neuen naturalistischen
Schrifterklärung giebt. Seine ganze Darstellung nämlich
bewegt sich in der Alternative: wolle man die Wunder-
erzählungen als wirkliche Geschichte festhalten, so verlie-
ren sie allen göttlichen Gehalt, und sinken zu ungereimten
Streichen, elenden Possen, oder gemeinen Betrügereien
herunter: wolle man daher das Göttliche in diesen Erzäh-
lungen nicht verlieren, so müsse man mit Aufopferung ih-
res geschichtlichen Charakters sie nur als geschichtartige
Darstellungen gewisser geistlichen Wahrheiten fassen, wo-
für sofort die Auctoritäten der gröſsten Allegoristen unter
den Kirchenvätern, eines Origenes, Augustinus u. A. ange-
führt werden, so jedoch, daſs ihnen Woolston die Meinung
unterstellt, als wollten sie, wie er, durch die allegori-
sche Erklärung die buchstäbliche verdrängen, während sie
doch, wenige Beispiele bei Origenes abgerechnet, beide
Erklärungen nebeneinander bestehen zu lassen geneigt sind.
Die Darstellungen Woolstons können Zweifel übrig lassen,
auf welche der zwei von ihm einander gegenübergestellten
Seiten er mit seiner eignen Ansicht gehöre; bedenkt man
die Thatsache, daſs er, ehe er als Gegner des gewöhnlichen
Christenthums hervortrat, sich mit allegorischer Schrifter-
klärung beschäftigte 9): so könnte man diese für seine ei-
gentliche Meinung ansehen; wogegen aber die Ausführun-
gen über die Ungereimtheit des buchstäblichen Sinns der
Wundergeschichten mit solcher Vorliebe von ihm gegeben
8) Six discourses on the miracles of our Saviour. Einzeln her-
ausgegeben von 1727—1729. Nebst zwei Vertheidigungs-
schriften von den JJ. 1729 u. 30.
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