Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.Fünftes Kapitel. §. 36. 48. f.) Diese Bezeichnung Gottes als tou patros könnteman unbestimmt davon nehmen wollen, dass er dadurch Gott als den Vater aller Menschen, und nur so auch als den seinigen darstellen wolle. Allein, es so zu verste- hen, verbietet nicht allein das hinzugesezte mou, da bei je- nem Sinne (wie Matth. 6, 9.) emon stehen müsste, son- dern hauptsächlich, dass Jesu Eltern diese Rede nicht ver- stehen, (V. 50.), was bestimmt darauf hindeutet, dass der Ausdruck etwas Besonderes bedeuten muss, was hier nur das Geheimniss der Messianität Jesu, der, als solcher, uios theou im besondern Sinne war, sein kann. Dass nun aber in dem 12jährigen Jesus schon das Bewusstsein seiner Messianität aufgegangen gewesen, ob diess auf orthodoxem Standpunkte consequent angenommen werden könne, und ob es nicht gegen die auch von diesem Standpunkt behaup- tete menschliche Form der Entwickelung Jesu verstosse, soll hier nicht untersucht werden. Ebenso kann die na- türliche Erklärung, welche das Bisherige als Geschichte, wenn auch wunderlose, festhalten zu müssen glaubt, wel- che also die Eltern Jesu durch eigenthümliche Fügung der Umstände schon vor seiner Geburt zu der Überzeugung von der Messianität ihres Kindes kommen, und diese ih- rem Sohne von der ersten Kindheit an einflössen lässt, -- auch diese kann sich zwar erklären, wie Jesus schon da- mals über sein messianisches Verhältniss zu Gott so im Klaren sein konnte; aber sie kann es nur durch das Po- stulat eines unerhörten Zusammentreffens der ausserordent- lichsten Zufälle. Wir hingegen, denen sich die bisher er- zählten Begebenheiten weder im übernatürlichen, noch im natürlichen Sinne als geschichtliche bewährt haben, kön- nen uns nicht dazu verstehen, das Bewusstsein seiner mes- sianischen Bestimmung schon so frühe in Jesu entwickelt zu setzen. Denn wenn zwar das Bewusstsein einer mehr subjektiven Bestimmung, wie zum Dichter, Künstler u. dgl., wobei Alles auf die, schon frühzeitig empfindbare, innere Fünftes Kapitel. §. 36. 48. f.) Diese Bezeichnung Gottes als τοῦ πατρὸς könnteman unbestimmt davon nehmen wollen, daſs er dadurch Gott als den Vater aller Menschen, und nur so auch als den seinigen darstellen wolle. Allein, es so zu verste- hen, verbietet nicht allein das hinzugesezte μου, da bei je- nem Sinne (wie Matth. 6, 9.) ἡμῶν stehen müſste, son- dern hauptsächlich, daſs Jesu Eltern diese Rede nicht ver- stehen, (V. 50.), was bestimmt darauf hindeutet, daſs der Ausdruck etwas Besonderes bedeuten muſs, was hier nur das Geheimniſs der Messianität Jesu, der, als solcher, υἱὸς ϑεοῦ im besondern Sinne war, sein kann. Daſs nun aber in dem 12jährigen Jesus schon das Bewuſstsein seiner Messianität aufgegangen gewesen, ob dieſs auf orthodoxem Standpunkte consequent angenommen werden könne, und ob es nicht gegen die auch von diesem Standpunkt behaup- tete menschliche Form der Entwickelung Jesu verstoſse, soll hier nicht untersucht werden. Ebenso kann die na- türliche Erklärung, welche das Bisherige als Geschichte, wenn auch wunderlose, festhalten zu müssen glaubt, wel- che also die Eltern Jesu durch eigenthümliche Fügung der Umstände schon vor seiner Geburt zu der Überzeugung von der Messianität ihres Kindes kommen, und diese ih- rem Sohne von der ersten Kindheit an einflöſsen läſst, — auch diese kann sich zwar erklären, wie Jesus schon da- mals über sein messianisches Verhältniſs zu Gott so im Klaren sein konnte; aber sie kann es nur durch das Po- stulat eines unerhörten Zusammentreffens der ausserordent- lichsten Zufälle. Wir hingegen, denen sich die bisher er- zählten Begebenheiten weder im übernatürlichen, noch im natürlichen Sinne als geschichtliche bewährt haben, kön- nen uns nicht dazu verstehen, das Bewuſstsein seiner mes- sianischen Bestimmung schon so frühe in Jesu entwickelt zu setzen. 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Fünftes Kapitel. §. 36.
48. f.) Diese Bezeichnung Gottes als τοῦ πατρὸς könnte
man unbestimmt davon nehmen wollen, daſs er dadurch
Gott als den Vater aller Menschen, und nur so auch als
den seinigen darstellen wolle. Allein, es so zu verste-
hen, verbietet nicht allein das hinzugesezte μου, da bei je-
nem Sinne (wie Matth. 6, 9.) ἡμῶν stehen müſste, son-
dern hauptsächlich, daſs Jesu Eltern diese Rede nicht ver-
stehen, (V. 50.), was bestimmt darauf hindeutet, daſs
der Ausdruck etwas Besonderes bedeuten muſs, was hier
nur das Geheimniſs der Messianität Jesu, der, als solcher,
υἱὸς ϑεοῦ im besondern Sinne war, sein kann. Daſs nun
aber in dem 12jährigen Jesus schon das Bewuſstsein seiner
Messianität aufgegangen gewesen, ob dieſs auf orthodoxem
Standpunkte consequent angenommen werden könne, und
ob es nicht gegen die auch von diesem Standpunkt behaup-
tete menschliche Form der Entwickelung Jesu verstoſse,
soll hier nicht untersucht werden. Ebenso kann die na-
türliche Erklärung, welche das Bisherige als Geschichte,
wenn auch wunderlose, festhalten zu müssen glaubt, wel-
che also die Eltern Jesu durch eigenthümliche Fügung der
Umstände schon vor seiner Geburt zu der Überzeugung
von der Messianität ihres Kindes kommen, und diese ih-
rem Sohne von der ersten Kindheit an einflöſsen läſst, —
auch diese kann sich zwar erklären, wie Jesus schon da-
mals über sein messianisches Verhältniſs zu Gott so im
Klaren sein konnte; aber sie kann es nur durch das Po-
stulat eines unerhörten Zusammentreffens der ausserordent-
lichsten Zufälle. Wir hingegen, denen sich die bisher er-
zählten Begebenheiten weder im übernatürlichen, noch im
natürlichen Sinne als geschichtliche bewährt haben, kön-
nen uns nicht dazu verstehen, das Bewuſstsein seiner mes-
sianischen Bestimmung schon so frühe in Jesu entwickelt
zu setzen. Denn wenn zwar das Bewuſstsein einer mehr
subjektiven Bestimmung, wie zum Dichter, Künstler u. dgl.,
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