Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.Erster Abschnitt. natürlichen Zuges wegen 12) die evangelische Erzählungverdächtig finden. Allein zu einer solchen Auffassung der Worte nöthigt uns nichts, da nach jüdischer Sitte der rab- binische Unterricht von der Art war, dass nicht blos die Lehrer den Schülern, sondern auch diese den Lehrern Fragen vorlegten, wenn sie über etwas Aufschluss wünsch- ten 13). So dürfen wir daher auch hier an solche, einem Knaben geziemende Fragen um so wahrscheinlicher den- ken, als unser Text nicht ohne Absicht, wie es scheint, die Verwunderung der Lehrer nicht an die Fragen, son- dern an die apokriseis Jesu knüpft, also an dasjenige, worin sich Jesus am meisten als verständigen Schüler zei- gen konnte. -- Bedenklicher könnte der Ausdruck schei- nen, dass der Knabe Jesus en meso ton didaskalon geses- sen habe. Denn was einem Schüler ziemte, das sagt uns Paulus A.G. 22, 3., nämlich sich zu bilden para tous podas der Rabbinen, indem diese auf Kathedern, die Schüler aber auf dem Boden sassen 14), nicht aber mitten unter den Lehrern Plaz zu nehmen. Freilich glaubt man das en meso bald so erklären zu können, dass es nur ein Sitzen zwischen den Lehrern bedeute, indem mehrere Lehrer auf ihren Suggesten, und zwischen diesen Jesus mit andern Schülern auf der Erde sitzend vorgestellt wer- de 15); bald soll es überhaupt nur in Gesellschaft von Leh- rern, d. h. in der Synagoge, bedeuten 16): allein dem Wortsinn nach scheint doch kathezesthai en meso tinon, wenn auch nicht, wie Schöttgen in majorem Jesu glo- riam glaubt 17), einen Ehrenplaz, so doch ein Sitzen in 12) Dafür erkennt diese Vorstellung auch Olshausen an, S. 151. 13) s. die Belege (z. B. Hieros. Taanith 67, 4.) bei Wetstein und Lightfoot z. d. St. 14) Lightfoot, horae, S. 742. 15) Paulus, a. a. O. S. 279. 16) Kuinöl, a. a. O. S. 353 f. 17) Horae, 2, S. 886.
Erster Abschnitt. natürlichen Zuges wegen 12) die evangelische Erzählungverdächtig finden. Allein zu einer solchen Auffassung der Worte nöthigt uns nichts, da nach jüdischer Sitte der rab- binische Unterricht von der Art war, daſs nicht blos die Lehrer den Schülern, sondern auch diese den Lehrern Fragen vorlegten, wenn sie über etwas Aufschluſs wünsch- ten 13). So dürfen wir daher auch hier an solche, einem Knaben geziemende Fragen um so wahrscheinlicher den- ken, als unser Text nicht ohne Absicht, wie es scheint, die Verwunderung der Lehrer nicht an die Fragen, son- dern an die ἀποκρίσεις Jesu knüpft, also an dasjenige, worin sich Jesus am meisten als verständigen Schüler zei- gen konnte. — Bedenklicher könnte der Ausdruck schei- nen, daſs der Knabe Jesus ἐν μέσῳ τῶν διδασκάλων geses- sen habe. Denn was einem Schüler ziemte, das sagt uns Paulus A.G. 22, 3., nämlich sich zu bilden παρὰ τοὺς πόδας der Rabbinen, indem diese auf Kathedern, die Schüler aber auf dem Boden saſsen 14), nicht aber mitten unter den Lehrern Plaz zu nehmen. Freilich glaubt man das ἐν μέσῳ bald so erklären zu können, daſs es nur ein Sitzen zwischen den Lehrern bedeute, indem mehrere Lehrer auf ihren Suggesten, und zwischen diesen Jesus mit andern Schülern auf der Erde sitzend vorgestellt wer- de 15); bald soll es überhaupt nur in Gesellschaft von Leh- rern, d. h. in der Synagoge, bedeuten 16): allein dem Wortsinn nach scheint doch καϑέζεσϑαι ἐν μέσῳ τινῶν, wenn auch nicht, wie Schöttgen in majorem Jesu glo- riam glaubt 17), einen Ehrenplaz, so doch ein Sitzen in 12) Dafür erkennt diese Vorstellung auch Olshausen an, S. 151. 13) s. die Belege (z. B. Hieros. Taanith 67, 4.) bei Wetstein und Lightfoot z. d. St. 14) Lightfoot, horae, S. 742. 15) Paulus, a. a. O. S. 279. 16) Kuinöl, a. a. O. S. 353 f. 17) Horae, 2, S. 886.
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Erster Abschnitt.
natürlichen Zuges wegen 12) die evangelische Erzählung
verdächtig finden. Allein zu einer solchen Auffassung der
Worte nöthigt uns nichts, da nach jüdischer Sitte der rab-
binische Unterricht von der Art war, daſs nicht blos die
Lehrer den Schülern, sondern auch diese den Lehrern
Fragen vorlegten, wenn sie über etwas Aufschluſs wünsch-
ten 13). So dürfen wir daher auch hier an solche, einem
Knaben geziemende Fragen um so wahrscheinlicher den-
ken, als unser Text nicht ohne Absicht, wie es scheint,
die Verwunderung der Lehrer nicht an die Fragen, son-
dern an die ἀποκρίσεις Jesu knüpft, also an dasjenige,
worin sich Jesus am meisten als verständigen Schüler zei-
gen konnte. — Bedenklicher könnte der Ausdruck schei-
nen, daſs der Knabe Jesus ἐν μέσῳ τῶν διδασκάλων geses-
sen habe. Denn was einem Schüler ziemte, das sagt uns
Paulus A.G. 22, 3., nämlich sich zu bilden παρὰ τοὺς πόδας
der Rabbinen, indem diese auf Kathedern, die Schüler
aber auf dem Boden saſsen 14), nicht aber mitten unter
den Lehrern Plaz zu nehmen. Freilich glaubt man das
ἐν μέσῳ bald so erklären zu können, daſs es nur ein
Sitzen zwischen den Lehrern bedeute, indem mehrere
Lehrer auf ihren Suggesten, und zwischen diesen Jesus
mit andern Schülern auf der Erde sitzend vorgestellt wer-
de 15); bald soll es überhaupt nur in Gesellschaft von Leh-
rern, d. h. in der Synagoge, bedeuten 16): allein dem
Wortsinn nach scheint doch καϑέζεσϑαι ἐν μέσῳ τινῶν,
wenn auch nicht, wie Schöttgen in majorem Jesu glo-
riam glaubt 17), einen Ehrenplaz, so doch ein Sitzen in
12) Dafür erkennt diese Vorstellung auch Olshausen an, S. 151.
13) s. die Belege (z. B. Hieros. Taanith 67, 4.) bei Wetstein
und Lightfoot z. d. St.
14) Lightfoot, horae, S. 742.
15) Paulus, a. a. O. S. 279.
16) Kuinöl, a. a. O. S. 353 f.
17) Horae, 2, S. 886.
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