perfectum, ein unsichtbares Vorangegangensein bedeutet, so dass der Evangelist sagen wolle: der Stern, den die Magier im Morgenlande erblickt und seitdem nicht mehr gesehen hatten, kam plözlich in Bethlehem über dem Hau- se des Kindes wieder zum Vorschein, er war ihnen also dahin vorangegangen 19). Allein das heisst rationalistische Kunstgriffe auf das Gebiet der orthodoxen Exegese verpflan- zen; denn dass hier nicht blos das proegen, sondern auch das eos elthon k. t. l[.] das Vorangehen des Sterns als eine nicht schon vorher abgeschlossene, sondern erst noch vor den Augen der Magier sich verlaufende Begebenheit be- zeichnet, das kann nur eine exegetische Willkühr verken- nen, welche dann consequenterweise auch noch weiter ge- hen, und die ganze Erzählung auf das Gebiet des Natürli- chen herüberziehen muss. Ebenso, wenn Olshausen zwar einräumt, dass ein Stern durch seinen Stand unmöglich ein einzelnes Haus bezeichnen könne, dass daher die Magier das Haus des Kindes wohl haben erfragen müssen, und nur in kindlich naiver Weise auch den Ausgang wie den Anfang ihrer Reise auf den himmlischen Führer bezogen haben 20): so ist er damit auf den rationalistischen Stand- punkt herübergetreten und liest natürliche Erklärungsgründe zwischen die Linien des biblischen Textes hinein, was er selbst an andern Stellen einem Paulus u. A. mit Recht übel nimmt.
Die Magier treten nun in das Haus, bezeigen dem Kinde ihre Verehrung und überreichen ihm Produkte ih- rer Heimath als Geschenke (V. 11.). Man kann sich hie- bei wundern, dass der Überraschung nicht gedacht ist, welche es für diese Männer sein musste, statt des erwar- teten Prinzen ein Kind in ganz gewöhnlichen, vielleicht dürftigen Umständen zu finden 21). So weit freilich darf
19) Vermischte Aufsätze, S. 8.
20) Bibl. Comm. 1, S. 70.
21)Schmidt, exeg. Beiträge, 1, 152 ff.
Erster Abschnitt.
perfectum, ein unsichtbares Vorangegangensein bedeutet, so daſs der Evangelist sagen wolle: der Stern, den die Magier im Morgenlande erblickt und seitdem nicht mehr gesehen hatten, kam plözlich in Bethlehem über dem Hau- se des Kindes wieder zum Vorschein, er war ihnen also dahin vorangegangen 19). Allein das heiſst rationalistische Kunstgriffe auf das Gebiet der orthodoxen Exegese verpflan- zen; denn daſs hier nicht blos das προῆγεν, sondern auch das ἔως ἐλϑὼν κ. τ. λ[.] das Vorangehen des Sterns als eine nicht schon vorher abgeschlossene, sondern erst noch vor den Augen der Magier sich verlaufende Begebenheit be- zeichnet, das kann nur eine exegetische Willkühr verken- nen, welche dann consequenterweise auch noch weiter ge- hen, und die ganze Erzählung auf das Gebiet des Natürli- chen herüberziehen muſs. Ebenso, wenn Olshausen zwar einräumt, daſs ein Stern durch seinen Stand unmöglich ein einzelnes Haus bezeichnen könne, daſs daher die Magier das Haus des Kindes wohl haben erfragen müssen, und nur in kindlich naiver Weise auch den Ausgang wie den Anfang ihrer Reise auf den himmlischen Führer bezogen haben 20): so ist er damit auf den rationalistischen Stand- punkt herübergetreten und liest natürliche Erklärungsgründe zwischen die Linien des biblischen Textes hinein, was er selbst an andern Stellen einem Paulus u. A. mit Recht übel nimmt.
Die Magier treten nun in das Haus, bezeigen dem Kinde ihre Verehrung und überreichen ihm Produkte ih- rer Heimath als Geschenke (V. 11.). Man kann sich hie- bei wundern, daſs der Überraschung nicht gedacht ist, welche es für diese Männer sein muſste, statt des erwar- teten Prinzen ein Kind in ganz gewöhnlichen, vielleicht dürftigen Umständen zu finden 21). So weit freilich darf
19) Vermischte Aufsätze, S. 8.
20) Bibl. Comm. 1, S. 70.
21)Schmidt, exeg. Beiträge, 1, 152 ff.
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Erster Abschnitt.
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gesehen hatten, kam plözlich in Bethlehem über dem Hau-
se des Kindes wieder zum Vorschein, er war ihnen also
dahin vorangegangen 19). Allein das heiſst rationalistische
Kunstgriffe auf das Gebiet der orthodoxen Exegese verpflan-
zen; denn daſs hier nicht blos das προῆγεν, sondern auch
das ἔως ἐλϑὼν κ. τ. λ. das Vorangehen des Sterns als eine
nicht schon vorher abgeschlossene, sondern erst noch vor
den Augen der Magier sich verlaufende Begebenheit be-
zeichnet, das kann nur eine exegetische Willkühr verken-
nen, welche dann consequenterweise auch noch weiter ge-
hen, und die ganze Erzählung auf das Gebiet des Natürli-
chen herüberziehen muſs. Ebenso, wenn Olshausen zwar
einräumt, daſs ein Stern durch seinen Stand unmöglich ein
einzelnes Haus bezeichnen könne, daſs daher die Magier
das Haus des Kindes wohl haben erfragen müssen, und
nur in kindlich naiver Weise auch den Ausgang wie den
Anfang ihrer Reise auf den himmlischen Führer bezogen
haben 20): so ist er damit auf den rationalistischen Stand-
punkt herübergetreten und liest natürliche Erklärungsgründe
zwischen die Linien des biblischen Textes hinein, was er
selbst an andern Stellen einem Paulus u. A. mit Recht
übel nimmt.
Die Magier treten nun in das Haus, bezeigen dem
Kinde ihre Verehrung und überreichen ihm Produkte ih-
rer Heimath als Geschenke (V. 11.). Man kann sich hie-
bei wundern, daſs der Überraschung nicht gedacht ist,
welche es für diese Männer sein muſste, statt des erwar-
teten Prinzen ein Kind in ganz gewöhnlichen, vielleicht
dürftigen Umständen zu finden 21). So weit freilich darf
19) Vermischte Aufsätze, S. 8.
20) Bibl. Comm. 1, S. 70.
21) Schmidt, exeg. Beiträge, 1, 152 ff.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/254>, abgerufen am 16.07.2024.
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