Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Erster Abschnitt.
bicum, wo ihnen, als sie zur Höhle gekommen, Freuden-
feuer anzündeten, das himmlische Heer erscheint 10).

Nehmen wir nun die von Lukas erzählten Umstände
der Geburt Jesu in supranaturalem Sinne, so ergeben sich
mehrere Schwierigkeiten. Zuerst lässt sich billig fragen,
welchem Zweck die Engelerscheinung dienen sollte? 11) Die
nächste Antwort ist: die Geburt Jesu bekannt zu machen.
Aber sie wird ja durch dieselbe so wenig bekannt, dass
in das so nahe gelegene Jerusalem erst später die Magier
die erste Kunde von dem neugeborenen Judenkönig brin-
gen, und überhaupt in der weiteren Geschichte keine Spur
eines solchen Vorfalls bei der Geburt Jesu sich findet.
Kann demnach der Zweck jener ausserordentlichen Er-
scheinung nicht ihr Bekanntwerden in weiteren Kreisen
gewesen sein, weil sonst Gott seinen Zweck verfehlt ha-
ben würde: so müsste man mit Schleiermacher annehmen,
sie habe nur in der unmittelbaren Wirkung auf die Hir-
ten selber ihr Ziel gehabt 12). Dabei müsste man dann
aber mit Schleiermacher und Olshausen 13) voraussetzen,
diese Hirten seien, wie jener Simeon, von messianischen
Erwartungen besonders erfüllt gewesen, und diesen ihren
frommen Glauben habe Gott durch jene Erscheinung be-
lohnen und befestigen wollen. Aber weder von einer sol-
chen Beschaffenheit der Hirten berichtet die Erzählung ir-
gend etwas, noch wird eine bleibende Wirkung auf die-
selben bemerklich gemacht; überhaupt erscheint der gan-
zen Darstellung zufolge nichts die Hirten Betreffendes als
Zweck der Erscheinung, sondern lediglich die Verherrli-
chung und Bekanntmachung der Geburt Jesu als des Mes-
sias. Da aber das Letztere, wie schon bemerkt, nicht er-

10) Cap. 4, bei Thilo, S. 69.
11) S. Gabler im neuest. theol. Journal 7, 4, S. 410.
12) Über den Lukas, S. 33.
13) a. a. O. S. 132.

Erster Abschnitt.
bicum, wo ihnen, als sie zur Höhle gekommen, Freuden-
feuer anzündeten, das himmlische Heer erscheint 10).

Nehmen wir nun die von Lukas erzählten Umstände
der Geburt Jesu in supranaturalem Sinne, so ergeben sich
mehrere Schwierigkeiten. Zuerst läſst sich billig fragen,
welchem Zweck die Engelerscheinung dienen sollte? 11) Die
nächste Antwort ist: die Geburt Jesu bekannt zu machen.
Aber sie wird ja durch dieselbe so wenig bekannt, daſs
in das so nahe gelegene Jerusalem erst später die Magier
die erste Kunde von dem neugeborenen Judenkönig brin-
gen, und überhaupt in der weiteren Geschichte keine Spur
eines solchen Vorfalls bei der Geburt Jesu sich findet.
Kann demnach der Zweck jener ausserordentlichen Er-
scheinung nicht ihr Bekanntwerden in weiteren Kreisen
gewesen sein, weil sonst Gott seinen Zweck verfehlt ha-
ben würde: so müſste man mit Schleiermacher annehmen,
sie habe nur in der unmittelbaren Wirkung auf die Hir-
ten selber ihr Ziel gehabt 12). Dabei müſste man dann
aber mit Schleiermacher und Olshausen 13) voraussetzen,
diese Hirten seien, wie jener Simeon, von messianischen
Erwartungen besonders erfüllt gewesen, und diesen ihren
frommen Glauben habe Gott durch jene Erscheinung be-
lohnen und befestigen wollen. Aber weder von einer sol-
chen Beschaffenheit der Hirten berichtet die Erzählung ir-
gend etwas, noch wird eine bleibende Wirkung auf die-
selben bemerklich gemacht; überhaupt erscheint der gan-
zen Darstellung zufolge nichts die Hirten Betreffendes als
Zweck der Erscheinung, sondern lediglich die Verherrli-
chung und Bekanntmachung der Geburt Jesu als des Mes-
sias. Da aber das Letztere, wie schon bemerkt, nicht er-

10) Cap. 4, bei Thilo, S. 69.
11) S. Gabler im neuest. theol. Journal 7, 4, S. 410.
12) Über den Lukas, S. 33.
13) a. a. O. S. 132.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0234" n="210"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Erster Abschnitt</hi>.</fw><lb/><hi rendition="#i">bicum</hi>, wo ihnen, als sie zur Höhle gekommen, Freuden-<lb/>
feuer anzündeten, das himmlische Heer erscheint <note place="foot" n="10)">Cap. 4, bei <hi rendition="#k">Thilo</hi>, S. 69.</note>.</p><lb/>
            <p>Nehmen wir nun die von Lukas erzählten Umstände<lb/>
der Geburt Jesu in supranaturalem Sinne, so ergeben sich<lb/>
mehrere Schwierigkeiten. Zuerst lä&#x017F;st sich billig fragen,<lb/>
welchem Zweck die Engelerscheinung dienen sollte? <note place="foot" n="11)">S. <hi rendition="#k">Gabler</hi> im neuest. theol. Journal 7, 4, S. 410.</note> Die<lb/>
nächste Antwort ist: die Geburt Jesu bekannt zu machen.<lb/>
Aber sie wird ja durch dieselbe so wenig bekannt, da&#x017F;s<lb/>
in das so nahe gelegene Jerusalem erst später die Magier<lb/>
die erste Kunde von dem neugeborenen Judenkönig brin-<lb/>
gen, und überhaupt in der weiteren Geschichte keine Spur<lb/>
eines solchen Vorfalls bei der Geburt Jesu sich findet.<lb/>
Kann demnach der Zweck jener ausserordentlichen Er-<lb/>
scheinung nicht ihr Bekanntwerden in weiteren Kreisen<lb/>
gewesen sein, weil sonst Gott seinen Zweck verfehlt ha-<lb/>
ben würde: so mü&#x017F;ste man mit <hi rendition="#k">Schleiermacher</hi> annehmen,<lb/>
sie habe nur in der unmittelbaren Wirkung auf die Hir-<lb/>
ten selber ihr Ziel gehabt <note place="foot" n="12)">Über den Lukas, S. 33.</note>. Dabei mü&#x017F;ste man dann<lb/>
aber mit <hi rendition="#k">Schleiermacher</hi> und <hi rendition="#k">Olshausen</hi> <note place="foot" n="13)">a. a. O. S. 132.</note> voraussetzen,<lb/>
diese Hirten seien, wie jener Simeon, von messianischen<lb/>
Erwartungen besonders erfüllt gewesen, und diesen ihren<lb/>
frommen Glauben habe Gott durch jene Erscheinung be-<lb/>
lohnen und befestigen wollen. Aber weder von einer sol-<lb/>
chen Beschaffenheit der Hirten berichtet die Erzählung ir-<lb/>
gend etwas, noch wird eine bleibende Wirkung auf die-<lb/>
selben bemerklich gemacht; überhaupt erscheint der gan-<lb/>
zen Darstellung zufolge nichts die Hirten Betreffendes als<lb/>
Zweck der Erscheinung, sondern lediglich die Verherrli-<lb/>
chung und Bekanntmachung der Geburt Jesu als des Mes-<lb/>
sias. Da aber das Letztere, wie schon bemerkt, nicht er-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[210/0234] Erster Abschnitt. bicum, wo ihnen, als sie zur Höhle gekommen, Freuden- feuer anzündeten, das himmlische Heer erscheint 10). Nehmen wir nun die von Lukas erzählten Umstände der Geburt Jesu in supranaturalem Sinne, so ergeben sich mehrere Schwierigkeiten. Zuerst läſst sich billig fragen, welchem Zweck die Engelerscheinung dienen sollte? 11) Die nächste Antwort ist: die Geburt Jesu bekannt zu machen. Aber sie wird ja durch dieselbe so wenig bekannt, daſs in das so nahe gelegene Jerusalem erst später die Magier die erste Kunde von dem neugeborenen Judenkönig brin- gen, und überhaupt in der weiteren Geschichte keine Spur eines solchen Vorfalls bei der Geburt Jesu sich findet. Kann demnach der Zweck jener ausserordentlichen Er- scheinung nicht ihr Bekanntwerden in weiteren Kreisen gewesen sein, weil sonst Gott seinen Zweck verfehlt ha- ben würde: so müſste man mit Schleiermacher annehmen, sie habe nur in der unmittelbaren Wirkung auf die Hir- ten selber ihr Ziel gehabt 12). Dabei müſste man dann aber mit Schleiermacher und Olshausen 13) voraussetzen, diese Hirten seien, wie jener Simeon, von messianischen Erwartungen besonders erfüllt gewesen, und diesen ihren frommen Glauben habe Gott durch jene Erscheinung be- lohnen und befestigen wollen. Aber weder von einer sol- chen Beschaffenheit der Hirten berichtet die Erzählung ir- gend etwas, noch wird eine bleibende Wirkung auf die- selben bemerklich gemacht; überhaupt erscheint der gan- zen Darstellung zufolge nichts die Hirten Betreffendes als Zweck der Erscheinung, sondern lediglich die Verherrli- chung und Bekanntmachung der Geburt Jesu als des Mes- sias. Da aber das Letztere, wie schon bemerkt, nicht er- 10) Cap. 4, bei Thilo, S. 69. 11) S. Gabler im neuest. theol. Journal 7, 4, S. 410. 12) Über den Lukas, S. 33. 13) a. a. O. S. 132.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/234
Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/234>, abgerufen am 24.11.2024.