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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Viertes Kapitel. §. 28.
Lesart, und zwar die Einen am nomen proprium, indem
sie entweder nach Tertullians Vorgang, welcher den Cen-
sus geradezu dem Saturninus zuschreibt 15), den Namen
von diesem, oder von Quintilius in den Text setzen 16).
Die Andern nehmen bei den übrigen Worten Änderungen
und Zusätze vor, -- am leichtesten noch Paulus, welcher
statt [unleserliches Material - 2 Zeichen fehlen]te aute liest, und annimmt, schon unter Herodes I.
habe Augustus aus den oben angegebenen Gründen die An-
ordnungen zu einem Census getroffen, und diese seien be-
reits so weit gediehen gewesen, um Jesu Eltern zu der
Reise nach Bethlehem zu veranlassen; doch sei Augustus
wieder begütigt worden, und so die Sache damals noch
nicht durchgeführt, vielmehr aute e apographe erst gerau-
me Zeit später, unter Quirinus, gehalten worden 17).

Solchen willkührlichen Textveränderungen gegenüber
sind immerhin diejenigen Versuche höher zu stellen, wel-
che ohne dergleichen, auf dem reinen Wege der Ausle-
gung, zurechtzukommen unternehmen. Freilich mit Storr
und Süskind prote in diesem Zusammenhang für protera
zu nehmen, und es von einer Schatzung vor der Quirini-
schen zu verstehen 18), ist grammatisch nicht weniger ge-
waltsam, als nach prote -- pro tes einzuschieben 19), es
kritisch ist. Ebensowenig lässt sich mit Wetstein (z. d. St.)
annehmen, dass ein schon unter Herodes gegebenes Vor-
spiel des spätern Quirinischen Census, etwa der schon er-
wähnte Huldigungseid, nachmals mit jenem unter Einem
Namen zusammengefasst worden sei. Endlich, das egemo-
neuontos in weiterem Sinne von der Funktion eines ausser-

15) Adv. Marcion. 4, 19, Opp. ed. Semler, Vol. 1, S. 261.
16) S. bei Winer, Realwörterbuch u. d. A. Quirinus.
17) a. a. O. S. 174 f.
18) Storr, opusc. acad. 3, S. 126 f. Süskind, vermischte Auf-
sätze, S. 63.
19) Michaelis, Anm. z. d. St. und Einl. in d. N. T. 1, 71.

Viertes Kapitel. §. 28.
Lesart, und zwar die Einen am nomen proprium, indem
sie entweder nach Tertullians Vorgang, welcher den Cen-
sus geradezu dem Saturninus zuschreibt 15), den Namen
von diesem, oder von Quintilius in den Text setzen 16).
Die Andern nehmen bei den übrigen Worten Änderungen
und Zusätze vor, — am leichtesten noch Paulus, welcher
statt [unleserliches Material – 2 Zeichen fehlen]τη αὐτὴ liest, und annimmt, schon unter Herodes I.
habe Augustus aus den oben angegebenen Gründen die An-
ordnungen zu einem Census getroffen, und diese seien be-
reits so weit gediehen gewesen, um Jesu Eltern zu der
Reise nach Bethlehem zu veranlassen; doch sei Augustus
wieder begütigt worden, und so die Sache damals noch
nicht durchgeführt, vielmehr αὐτὴ ἡ ἀπογραφὴ erst gerau-
me Zeit später, unter Quirinus, gehalten worden 17).

Solchen willkührlichen Textveränderungen gegenüber
sind immerhin diejenigen Versuche höher zu stellen, wel-
che ohne dergleichen, auf dem reinen Wege der Ausle-
gung, zurechtzukommen unternehmen. Freilich mit Storr
und Süskind πρώτη in diesem Zusammenhang für προτέρα
zu nehmen, und es von einer Schatzung vor der Quirini-
schen zu verstehen 18), ist grammatisch nicht weniger ge-
waltsam, als nach πρώτη — πρὸ τῆς einzuschieben 19), es
kritisch ist. Ebensowenig läſst sich mit Wetstein (z. d. St.)
annehmen, daſs ein schon unter Herodes gegebenes Vor-
spiel des spätern Quirinischen Census, etwa der schon er-
wähnte Huldigungseid, nachmals mit jenem unter Einem
Namen zusammengefaſst worden sei. Endlich, das ἡγεμο-
νεύοντος in weiterem Sinne von der Funktion eines ausser-

15) Adv. Marcion. 4, 19, Opp. ed. Semler, Vol. 1, S. 261.
16) S. bei Winer, Realwörterbuch u. d. A. Quirinus.
17) a. a. O. S. 174 f.
18) Storr, opusc. acad. 3, S. 126 f. Süskind, vermischte Auf-
sätze, S. 63.
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[203/0227] Viertes Kapitel. §. 28. Lesart, und zwar die Einen am nomen proprium, indem sie entweder nach Tertullians Vorgang, welcher den Cen- sus geradezu dem Saturninus zuschreibt 15), den Namen von diesem, oder von Quintilius in den Text setzen 16). Die Andern nehmen bei den übrigen Worten Änderungen und Zusätze vor, — am leichtesten noch Paulus, welcher statt __τη αὐτὴ liest, und annimmt, schon unter Herodes I. habe Augustus aus den oben angegebenen Gründen die An- ordnungen zu einem Census getroffen, und diese seien be- reits so weit gediehen gewesen, um Jesu Eltern zu der Reise nach Bethlehem zu veranlassen; doch sei Augustus wieder begütigt worden, und so die Sache damals noch nicht durchgeführt, vielmehr αὐτὴ ἡ ἀπογραφὴ erst gerau- me Zeit später, unter Quirinus, gehalten worden 17). Solchen willkührlichen Textveränderungen gegenüber sind immerhin diejenigen Versuche höher zu stellen, wel- che ohne dergleichen, auf dem reinen Wege der Ausle- gung, zurechtzukommen unternehmen. Freilich mit Storr und Süskind πρώτη in diesem Zusammenhang für προτέρα zu nehmen, und es von einer Schatzung vor der Quirini- schen zu verstehen 18), ist grammatisch nicht weniger ge- waltsam, als nach πρώτη — πρὸ τῆς einzuschieben 19), es kritisch ist. Ebensowenig läſst sich mit Wetstein (z. d. St.) annehmen, daſs ein schon unter Herodes gegebenes Vor- spiel des spätern Quirinischen Census, etwa der schon er- wähnte Huldigungseid, nachmals mit jenem unter Einem Namen zusammengefaſst worden sei. Endlich, das ἡγεμο- νεύοντος in weiterem Sinne von der Funktion eines ausser- 15) Adv. Marcion. 4, 19, Opp. ed. Semler, Vol. 1, S. 261. 16) S. bei Winer, Realwörterbuch u. d. A. Quirinus. 17) a. a. O. S. 174 f. 18) Storr, opusc. acad. 3, S. 126 f. Süskind, vermischte Auf- sätze, S. 63. 19) Michaelis, Anm. z. d. St. und Einl. in d. N. T. 1, 71.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/227>, abgerufen am 05.05.2024.