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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Erster Abschnitt.
zu seiner apographe macht, dass sie nämlich vorgenommen
worden sei egemoneuontos tes Surias Kureniou; denn von der
Quirinischen Schatzung ist es nun notorisch, dass sie nicht
schon unter Herodes oder in der ersten Zeit des Archelaus
stattfand, wohin nach Lukas selbst die Geburt Jesu fällt.
Quirinus nämlich war damals noch nicht Proconsul von
Syrien, sondern diese Stelle bekleideten in den lezten
Jahren des Herodes Sentius Saturninus und nach ihm
Quintilius Varus; erst längere Zeit nach des Herodes
Tode trat Quirinus das syrische Proconsulat an. Dass die-
ser einen Census in Judäa vorgenommen, ist aus Josephus
gewiss 11), welcher aber zugleich bemerkt, er sei zu des-
sen Vornahme geschickt worden tes Arkhelaou khoras upo-
telous prosnemetheises te Suron 12), also beiläufig zehn
Jahre nach der Zeit, in welcher nach Lukas und Mat-
thäus Jesus geboren sein müsste. Dass aber Lukas diesen
Census hier meint, erhellt aus der Vergleichung von A.G.
5, 37., wo er sagt, zur Zeit der apographe, -- ohne Zwei-
fel derselben, von welcher im Evangelium die Rede gewe-
sen -- sei Judas der Galiläer aufgestanden: dieser aber
empörte sich nach Josephus eben wegen jener Schatzung
des Quirinus 13). -- Doch auch diesen so unleugbar schei-
nenden Widerspruch des Lukas gegen die Geschichte ha-
ben die Erklärer auf verschiedene Weise lösen zu können
geglaubt. Die Beherztesten dadurch, dass sie den ganzen
zweiten Vers für eine schon frühzeitig in den Text gekom-
mene Glosse erklärten 14). Andere durch Änderung der

11) Antiq. 18, 1, 1.
12) Ebendas. 17, 13, 5.
13) Ebend. 18, 1, 1.
14) So z. B. Kuinöl, Comm. in Luc. p. 320. Wenn Olshausen,
Comm. 1, S. 130., vermuthet, schon Lukas selbst möge in
den Text des von ihm benützten Familienberichts diese Glos-
se hineingetragen haben: so baut er eine Erdichtung auf die
andere, um -- eine halbe Massregel herauszubringen.

Erster Abschnitt.
zu seiner ἀπογραφὴ macht, daſs sie nämlich vorgenommen
worden sei ἡγεμονεύοντος τῆς̛ Συρίας Κυρηνίου; denn von der
Quirinischen Schatzung ist es nun notorisch, daſs sie nicht
schon unter Herodes oder in der ersten Zeit des Archelaus
stattfand, wohin nach Lukas selbst die Geburt Jesu fällt.
Quirinus nämlich war damals noch nicht Proconsul von
Syrien, sondern diese Stelle bekleideten in den lezten
Jahren des Herodes Sentius Saturninus und nach ihm
Quintilius Varus; erst längere Zeit nach des Herodes
Tode trat Quirinus das syrische Proconsulat an. Daſs die-
ser einen Census in Judäa vorgenommen, ist aus Josephus
gewiſs 11), welcher aber zugleich bemerkt, er sei zu des-
sen Vornahme geschickt worden τῆς Ἀρχελάου χώρας ὑπο-
τελοῦς προςνεμηϑείσης τῇ Σύρων 12), also beiläufig zehn
Jahre nach der Zeit, in welcher nach Lukas und Mat-
thäus Jesus geboren sein müſste. Daſs aber Lukas diesen
Census hier meint, erhellt aus der Vergleichung von A.G.
5, 37., wo er sagt, zur Zeit der ἀπογραφὴ, — ohne Zwei-
fel derselben, von welcher im Evangelium die Rede gewe-
sen — sei Judas der Galiläer aufgestanden: dieser aber
empörte sich nach Josephus eben wegen jener Schatzung
des Quirinus 13). — Doch auch diesen so unleugbar schei-
nenden Widerspruch des Lukas gegen die Geschichte ha-
ben die Erklärer auf verschiedene Weise lösen zu können
geglaubt. Die Beherztesten dadurch, daſs sie den ganzen
zweiten Vers für eine schon frühzeitig in den Text gekom-
mene Glosse erklärten 14). Andere durch Änderung der

11) Antiq. 18, 1, 1.
12) Ebendas. 17, 13, 5.
13) Ebend. 18, 1, 1.
14) So z. B. Kuinöl, Comm. in Luc. p. 320. Wenn Olshausen,
Comm. 1, S. 130., vermuthet, schon Lukas selbst möge in
den Text des von ihm benützten Familienberichts diese Glos-
se hineingetragen haben: so baut er eine Erdichtung auf die
andere, um — eine halbe Massregel herauszubringen.
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[202/0226] Erster Abschnitt. zu seiner ἀπογραφὴ macht, daſs sie nämlich vorgenommen worden sei ἡγεμονεύοντος τῆς̛ Συρίας Κυρηνίου; denn von der Quirinischen Schatzung ist es nun notorisch, daſs sie nicht schon unter Herodes oder in der ersten Zeit des Archelaus stattfand, wohin nach Lukas selbst die Geburt Jesu fällt. Quirinus nämlich war damals noch nicht Proconsul von Syrien, sondern diese Stelle bekleideten in den lezten Jahren des Herodes Sentius Saturninus und nach ihm Quintilius Varus; erst längere Zeit nach des Herodes Tode trat Quirinus das syrische Proconsulat an. Daſs die- ser einen Census in Judäa vorgenommen, ist aus Josephus gewiſs 11), welcher aber zugleich bemerkt, er sei zu des- sen Vornahme geschickt worden τῆς Ἀρχελάου χώρας ὑπο- τελοῦς προςνεμηϑείσης τῇ Σύρων 12), also beiläufig zehn Jahre nach der Zeit, in welcher nach Lukas und Mat- thäus Jesus geboren sein müſste. Daſs aber Lukas diesen Census hier meint, erhellt aus der Vergleichung von A.G. 5, 37., wo er sagt, zur Zeit der ἀπογραφὴ, — ohne Zwei- fel derselben, von welcher im Evangelium die Rede gewe- sen — sei Judas der Galiläer aufgestanden: dieser aber empörte sich nach Josephus eben wegen jener Schatzung des Quirinus 13). — Doch auch diesen so unleugbar schei- nenden Widerspruch des Lukas gegen die Geschichte ha- ben die Erklärer auf verschiedene Weise lösen zu können geglaubt. Die Beherztesten dadurch, daſs sie den ganzen zweiten Vers für eine schon frühzeitig in den Text gekom- mene Glosse erklärten 14). Andere durch Änderung der 11) Antiq. 18, 1, 1. 12) Ebendas. 17, 13, 5. 13) Ebend. 18, 1, 1. 14) So z. B. Kuinöl, Comm. in Luc. p. 320. Wenn Olshausen, Comm. 1, S. 130., vermuthet, schon Lukas selbst möge in den Text des von ihm benützten Familienberichts diese Glos- se hineingetragen haben: so baut er eine Erdichtung auf die andere, um — eine halbe Massregel herauszubringen.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/226>, abgerufen am 24.11.2024.