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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Erster Abschnitt.
nachher nicht eingetreten sei: heisst es aber, wie bei Mat-
thäus, ouk e. a. eos ou eteken, so liegt in dem Ausgebären der
göttlichen Frucht keine Unmöglichkeit, sondern umgekehrt
die Wiederherstellung der Möglichkeit, d. h. Schicklich-
keit, das eheliche Verhältniss in Wirklichkeit treten zu
lassen 18).

Auch Olshausen übrigens widerspricht hier der kla-
ren Grammatik und Logik nur, weil ihn ähnliche dogma-
tische Gründe, wie die Kirchenväter, dazu treiben; ohne
nämlich die Heiligkeit der Ehe beeinträchtigen zu wollen,
meint er, Joseph habe nach solchen Erfahrungen (?) wohl
denken müssen, seine Ehe mit Maria habe einen andern
Zweck, als den, Kinder zu erzeugen; auch scheine es na-
tur(?)gemäss zu sein 19), dass die letzte Davididin des
Zweiges, aus welchem der Messias geboren ward, mit die-
sem letzten, ewigen Sprössling ihr Geschlecht beschlossen
habe 20). Es lässt sich hienach eine hübsche Leiter des Glau-
bens und respective Aberglaubens in Bezug auf das Ver-
hältniss zwischen Maria und Joseph entwerfen:

1. Zeitgenossen Jesu und Verfasser der Genealogieen:
Joseph und Maria Eheleute, und aus ihrer Ehe Jesus erzeugt.

2. Zeitalter und Verfasser unsrer Geburtsgeschichten:
Maria und Joseph nur verlobt, Joseph ohne Antheil an
dem Kinde, und vor dessen Geburt in keiner ehelichen Be-
rührung mit Maria.

18) Das von Olshausen S. 62. zur Unterstützung seiner Ausle-
gung des eos ou ersonnene Beispiel ist besonders unglücklich
gewählt. Denn wenn gesagt wird: wir warteten bis Mitter-
nacht, aber es kam Niemand, so liegt darin allerdings nicht
nothwendig, dass nun nach Mitternacht Jemand gekommen
sei: wohl aber, wenn diess nicht, das Andere, dass wir nach
Mitternacht nicht mehr gewartet haben, so dass hiedurch
dem "bis" seine exclusive Bedeutung nicht geschmälert wird.
19) Abermals ein ähnliches "passend", wie §§. 16 und 17.
20) Bibl. Comm. 1, S. 62.

Erster Abschnitt.
nachher nicht eingetreten sei: heiſst es aber, wie bei Mat-
thäus, οὐκ ἐ. ἀ. ἕως οὖ ἔτεκεν, so liegt in dem Ausgebären der
göttlichen Frucht keine Unmöglichkeit, sondern umgekehrt
die Wiederherstellung der Möglichkeit, d. h. Schicklich-
keit, das eheliche Verhältniſs in Wirklichkeit treten zu
lassen 18).

Auch Olshausen übrigens widerspricht hier der kla-
ren Grammatik und Logik nur, weil ihn ähnliche dogma-
tische Gründe, wie die Kirchenväter, dazu treiben; ohne
nämlich die Heiligkeit der Ehe beeinträchtigen zu wollen,
meint er, Joseph habe nach solchen Erfahrungen (?) wohl
denken müssen, seine Ehe mit Maria habe einen andern
Zweck, als den, Kinder zu erzeugen; auch scheine es na-
tur(?)gemäſs zu sein 19), daſs die letzte Davididin des
Zweiges, aus welchem der Messias geboren ward, mit die-
sem letzten, ewigen Spröſsling ihr Geschlecht beschlossen
habe 20). Es läſst sich hienach eine hübsche Leiter des Glau-
bens und respective Aberglaubens in Bezug auf das Ver-
hältniſs zwischen Maria und Joseph entwerfen:

1. Zeitgenossen Jesu und Verfasser der Genealogieen:
Joseph und Maria Eheleute, und aus ihrer Ehe Jesus erzeugt.

2. Zeitalter und Verfasser unsrer Geburtsgeschichten:
Maria und Joseph nur verlobt, Joseph ohne Antheil an
dem Kinde, und vor dessen Geburt in keiner ehelichen Be-
rührung mit Maria.

18) Das von Olshausen S. 62. zur Unterstützung seiner Ausle-
gung des ἕως οὖ ersonnene Beispiel ist besonders unglücklich
gewählt. Denn wenn gesagt wird: wir warteten bis Mitter-
nacht, aber es kam Niemand, so liegt darin allerdings nicht
nothwendig, dass nun nach Mitternacht Jemand gekommen
sei: wohl aber, wenn diess nicht, das Andere, dass wir nach
Mitternacht nicht mehr gewartet haben, so dass hiedurch
dem „bis“ seine exclusive Bedeutung nicht geschmälert wird.
19) Abermals ein ähnliches „passend“, wie §§. 16 und 17.
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[184/0208] Erster Abschnitt. nachher nicht eingetreten sei: heiſst es aber, wie bei Mat- thäus, οὐκ ἐ. ἀ. ἕως οὖ ἔτεκεν, so liegt in dem Ausgebären der göttlichen Frucht keine Unmöglichkeit, sondern umgekehrt die Wiederherstellung der Möglichkeit, d. h. Schicklich- keit, das eheliche Verhältniſs in Wirklichkeit treten zu lassen 18). Auch Olshausen übrigens widerspricht hier der kla- ren Grammatik und Logik nur, weil ihn ähnliche dogma- tische Gründe, wie die Kirchenväter, dazu treiben; ohne nämlich die Heiligkeit der Ehe beeinträchtigen zu wollen, meint er, Joseph habe nach solchen Erfahrungen (?) wohl denken müssen, seine Ehe mit Maria habe einen andern Zweck, als den, Kinder zu erzeugen; auch scheine es na- tur(?)gemäſs zu sein 19), daſs die letzte Davididin des Zweiges, aus welchem der Messias geboren ward, mit die- sem letzten, ewigen Spröſsling ihr Geschlecht beschlossen habe 20). Es läſst sich hienach eine hübsche Leiter des Glau- bens und respective Aberglaubens in Bezug auf das Ver- hältniſs zwischen Maria und Joseph entwerfen: 1. Zeitgenossen Jesu und Verfasser der Genealogieen: Joseph und Maria Eheleute, und aus ihrer Ehe Jesus erzeugt. 2. Zeitalter und Verfasser unsrer Geburtsgeschichten: Maria und Joseph nur verlobt, Joseph ohne Antheil an dem Kinde, und vor dessen Geburt in keiner ehelichen Be- rührung mit Maria. 18) Das von Olshausen S. 62. zur Unterstützung seiner Ausle- gung des ἕως οὖ ersonnene Beispiel ist besonders unglücklich gewählt. Denn wenn gesagt wird: wir warteten bis Mitter- nacht, aber es kam Niemand, so liegt darin allerdings nicht nothwendig, dass nun nach Mitternacht Jemand gekommen sei: wohl aber, wenn diess nicht, das Andere, dass wir nach Mitternacht nicht mehr gewartet haben, so dass hiedurch dem „bis“ seine exclusive Bedeutung nicht geschmälert wird. 19) Abermals ein ähnliches „passend“, wie §§. 16 und 17. 20) Bibl. Comm. 1, S. 62.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/208>, abgerufen am 05.05.2024.