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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Drittes Kapitel. §. 25.
genommen werden, und besonders unter den späteren Ju-
den war eine sinnliche Auffassung des früher geistig und
bildlich Gemeinten gewöhnlich geworden. Dieser natürli-
chen Neigung, das uios theou vom Messias in immer wörtli-
cherem Verstande zu nehmen, kam dann einerseits der Zu-
satz entgegen, welchen Ps. 2, 7. das messianisch gedeutete
b@niy at'ah in dem hay'vm y@lid@t'ika hat, welches fast unausbleib-
lich verleiten musste, hier an ein physisches Verhältniss
zu denken; andererseits das jesaianische Orakel von der
gebärenden Jungfrau, welches man, wie so viele, deren
nächste Beziehung sich verdunkelt hatte, auf den Messias
bezogen zu haben scheint: worauf dann die Begriffe von
Gottessohn und Sohn der Jungfrau so combinirt wurden,
dass man die göttliche Wirksamkeit an die Stelle der mensch-
lich-väterlichen setzte. Fr[ei]lich versichert Wetstein, dass
nie ein Jude die jesaianische Stelle auf den Messias bezo-
gen habe 11), und auch Schöttgen weiss Spuren der An-
sicht vom Messias als Jungfrauensohn aus den Rabbinen
nur äusserst mühselig zusammenzulesen 12): allein bei der
Mangelhaftigkeit der Nachrichten über die messianischen
Ideen jener Zeit beweist diess nichts gegen die Vorauss[e]-
zung einer Zeitvorstellung, von welcher die vollständigen
Prämissen im A. T., und eine kaum verkennbare Folge
im neuen sich findet.

Aber auch abgesehen von der Gültigkeit oder Ungül-
tigkeit jener Analogie, stimmen die bezeichneten zwei Par-
teien von Auslegern darin überein, dass bei der mythischen
Auffassung der Empfängnissgeschichte unerklärbar bleibe,
wie Jesus das habe werden können, was er werden sollte
und wirklich wurde. Wenn diess Olshausen so versteht,
dass der Erlöser nicht von einem Manne aus sündigem Sa-

11) N. T. 1, S. 239.
12) Horae, 2, S. 421 ff. Jüngere Rabbinen haben sie allerdings,
s. Matthaei, Religionsgl. der Apostel 2, a. S. 555 ff.
Das Leben Jesu I. Band. 12

Drittes Kapitel. §. 25.
genommen werden, und besonders unter den späteren Ju-
den war eine sinnliche Auffassung des früher geistig und
bildlich Gemeinten gewöhnlich geworden. Dieser natürli-
chen Neigung, das υἱὸς ϑεοῦ vom Messias in immer wörtli-
cherem Verstande zu nehmen, kam dann einerseits der Zu-
satz entgegen, welchen Ps. 2, 7. das messianisch gedeutete
בְנִי אַתָּה in dem הַיּוֺם יְלִדְתִּךָ hat, welches fast unausbleib-
lich verleiten muſste, hier an ein physisches Verhältniſs
zu denken; andererseits das jesaianische Orakel von der
gebärenden Jungfrau, welches man, wie so viele, deren
nächste Beziehung sich verdunkelt hatte, auf den Messias
bezogen zu haben scheint: worauf dann die Begriffe von
Gottessohn und Sohn der Jungfrau so combinirt wurden,
daſs man die göttliche Wirksamkeit an die Stelle der mensch-
lich-väterlichen setzte. Fr[ei]lich versichert Wetstein, daſs
nie ein Jude die jesaianische Stelle auf den Messias bezo-
gen habe 11), und auch Schöttgen weiſs Spuren der An-
sicht vom Messias als Jungfrauensohn aus den Rabbinen
nur äusserst mühselig zusammenzulesen 12): allein bei der
Mangelhaftigkeit der Nachrichten über die messianischen
Ideen jener Zeit beweist dieſs nichts gegen die Vorauss[e]-
zung einer Zeitvorstellung, von welcher die vollständigen
Prämissen im A. T., und eine kaum verkennbare Folge
im neuen sich findet.

Aber auch abgesehen von der Gültigkeit oder Ungül-
tigkeit jener Analogie, stimmen die bezeichneten zwei Par-
teien von Auslegern darin überein, daſs bei der mythischen
Auffassung der Empfängniſsgeschichte unerklärbar bleibe,
wie Jesus das habe werden können, was er werden sollte
und wirklich wurde. Wenn dieſs Olshausen so versteht,
daſs der Erlöser nicht von einem Manne aus sündigem Sa-

11) N. T. 1, S. 239.
12) Horae, 2, S. 421 ff. Jüngere Rabbinen haben sie allerdings,
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[177/0201] Drittes Kapitel. §. 25. genommen werden, und besonders unter den späteren Ju- den war eine sinnliche Auffassung des früher geistig und bildlich Gemeinten gewöhnlich geworden. Dieser natürli- chen Neigung, das υἱὸς ϑεοῦ vom Messias in immer wörtli- cherem Verstande zu nehmen, kam dann einerseits der Zu- satz entgegen, welchen Ps. 2, 7. das messianisch gedeutete בְנִי אַתָּה in dem הַיּוֺם יְלִדְתִּךָ hat, welches fast unausbleib- lich verleiten muſste, hier an ein physisches Verhältniſs zu denken; andererseits das jesaianische Orakel von der gebärenden Jungfrau, welches man, wie so viele, deren nächste Beziehung sich verdunkelt hatte, auf den Messias bezogen zu haben scheint: worauf dann die Begriffe von Gottessohn und Sohn der Jungfrau so combinirt wurden, daſs man die göttliche Wirksamkeit an die Stelle der mensch- lich-väterlichen setzte. Freilich versichert Wetstein, daſs nie ein Jude die jesaianische Stelle auf den Messias bezo- gen habe 11), und auch Schöttgen weiſs Spuren der An- sicht vom Messias als Jungfrauensohn aus den Rabbinen nur äusserst mühselig zusammenzulesen 12): allein bei der Mangelhaftigkeit der Nachrichten über die messianischen Ideen jener Zeit beweist dieſs nichts gegen die Vorausse- zung einer Zeitvorstellung, von welcher die vollständigen Prämissen im A. T., und eine kaum verkennbare Folge im neuen sich findet. Aber auch abgesehen von der Gültigkeit oder Ungül- tigkeit jener Analogie, stimmen die bezeichneten zwei Par- teien von Auslegern darin überein, daſs bei der mythischen Auffassung der Empfängniſsgeschichte unerklärbar bleibe, wie Jesus das habe werden können, was er werden sollte und wirklich wurde. Wenn dieſs Olshausen so versteht, daſs der Erlöser nicht von einem Manne aus sündigem Sa- 11) N. T. 1, S. 239. 12) Horae, 2, S. 421 ff. Jüngere Rabbinen haben sie allerdings, s. Matthaei, Religionsgl. der Apostel 2, a. S. 555 ff. Das Leben Jesu I. Band. 12

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/201>, abgerufen am 25.11.2024.