mit der Lage des Reichs schon besser anlassen, und bin- nen dreier Jahre etwa wird die Gefahr verschwunden sein. So viel ist in jedem Falle durch die neuere Auslegung zur Evidenz gebracht, dass nur ein Zeichen aus der Gegen- wart und nächsten Zukunft in den Verhältnissen, wie sie die Einleitung zu dem Orakel des Jesaias angiebt, einen Sinn haben konnte. Wie unpassend ist die prophetische Rede nach der Deutung Hengstenberg's 4): so gewiss der- einst noch der Messias unter dem Bundesvolke von einer Jungfrau geboren werden wird, so unmöglich ist es, dass das Volk, unter welchem er geboren werden und die Fa- milie, von welcher er abstammen soll, zu Grunde gehe. Wie übel berechnet von dem Propheten, die Unwahrschein- lichkeit der nahen Rettung durch eine grössere Unwahr- scheinlichkeit aus der fernen Zukunft wahrscheinlich ma- chen zu wollen! Und dann vollends der gegebene T[er]m[i]n von wenigen Jahren! Der Sturz der beiden Königreiche, deutet hier Hengstenberg, soll erfolgen, -- nicht in der Zeit bis nun demnächst der bezeichnete Knabe wirklich in die Unterscheidungsjahre treten wird, sondern -- in so viel Zeit von jezt an, als in fernster Zukunft einst zwi- schen der Geburt des Messias und seiner ersten Entwicke- lung vergehen wird, also ungefähr in drei Jahren. Wel- che abenteuerliche Vermengung der Zeiten! Ein Kind soll geboren werden in ferner Zukunft, und was nun gesche- hen soll, ehe dieses Kind in die Unterscheidungsjahre treten wird, das soll in die nächste Gegenwart fallen.
So entschieden aber Paulus und seine Partei gegen Hengstenberg und die Seinigen darin Recht hat, dass sei- nem ursprünglichen Lokalsinn nach das Orakel des Jesaias auf gegebene Zeitverhältnisse, und nicht auf den künftigen Messias oder gar auf Jesus sich beziehe: ebenso entschie- den hat Hengstenberg gegen Paulus Recht, wenn er dar-
4) Christologie des A. T.s 1, b, S. 47.
Erster Abschnitt.
mit der Lage des Reichs schon besser anlassen, und bin- nen dreier Jahre etwa wird die Gefahr verschwunden sein. So viel ist in jedem Falle durch die neuere Auslegung zur Evidenz gebracht, daſs nur ein Zeichen aus der Gegen- wart und nächsten Zukunft in den Verhältnissen, wie sie die Einleitung zu dem Orakel des Jesaias angiebt, einen Sinn haben konnte. Wie unpassend ist die prophetische Rede nach der Deutung Hengstenberg's 4): so gewiſs der- einst noch der Messias unter dem Bundesvolke von einer Jungfrau geboren werden wird, so unmöglich ist es, daſs das Volk, unter welchem er geboren werden und die Fa- milie, von welcher er abstammen soll, zu Grunde gehe. Wie übel berechnet von dem Propheten, die Unwahrschein- lichkeit der nahen Rettung durch eine gröſsere Unwahr- scheinlichkeit aus der fernen Zukunft wahrscheinlich ma- chen zu wollen! Und dann vollends der gegebene T[er]m[i]n von wenigen Jahren! Der Sturz der beiden Königreiche, deutet hier Hengstenberg, soll erfolgen, — nicht in der Zeit bis nun demnächst der bezeichnete Knabe wirklich in die Unterscheidungsjahre treten wird, sondern — in so viel Zeit von jezt an, als in fernster Zukunft einst zwi- schen der Geburt des Messias und seiner ersten Entwicke- lung vergehen wird, also ungefähr in drei Jahren. Wel- che abenteuerliche Vermengung der Zeiten! Ein Kind soll geboren werden in ferner Zukunft, und was nun gesche- hen soll, ehe dieses Kind in die Unterscheidungsjahre treten wird, das soll in die nächste Gegenwart fallen.
So entschieden aber Paulus und seine Partei gegen Hengstenberg und die Seinigen darin Recht hat, daſs sei- nem ursprünglichen Lokalsinn nach das Orakel des Jesaias auf gegebene Zeitverhältnisse, und nicht auf den künftigen Messias oder gar auf Jesus sich beziehe: ebenso entschie- den hat Hengstenberg gegen Paulus Recht, wenn er dar-
4) Christologie des A. T.s 1, b, S. 47.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0170"n="146"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Erster Abschnitt</hi>.</fw><lb/>
mit der Lage des Reichs schon besser anlassen, und bin-<lb/>
nen dreier Jahre etwa wird die Gefahr verschwunden sein.<lb/>
So viel ist in jedem Falle durch die neuere Auslegung zur<lb/>
Evidenz gebracht, daſs nur ein Zeichen aus der Gegen-<lb/>
wart und nächsten Zukunft in den Verhältnissen, wie sie<lb/>
die Einleitung zu dem Orakel des Jesaias angiebt, einen<lb/>
Sinn haben konnte. Wie unpassend ist die prophetische<lb/>
Rede nach der Deutung <hirendition="#k">Hengstenberg</hi>'s <noteplace="foot"n="4)">Christologie des A. T.s 1, b, S. 47.</note>: so gewiſs der-<lb/>
einst noch der Messias unter dem Bundesvolke von einer<lb/>
Jungfrau geboren werden wird, so unmöglich ist es, daſs<lb/>
das Volk, unter welchem er geboren werden und die Fa-<lb/>
milie, von welcher er abstammen soll, zu Grunde gehe.<lb/>
Wie übel berechnet von dem Propheten, die Unwahrschein-<lb/>
lichkeit der nahen Rettung durch eine gröſsere Unwahr-<lb/>
scheinlichkeit aus der fernen Zukunft wahrscheinlich ma-<lb/>
chen zu wollen! Und dann vollends der gegebene <choice><sic>T<gapreason="lost"unit="chars"quantity="2"/>m<gapreason="lost"unit="chars"quantity="1"/>n</sic><corr>T<supplied>er</supplied>m<supplied>i</supplied>n</corr></choice><lb/>
von wenigen Jahren! Der Sturz der beiden Königreiche,<lb/>
deutet hier <hirendition="#k">Hengstenberg</hi>, soll erfolgen, — nicht in der<lb/>
Zeit bis nun demnächst der bezeichnete Knabe wirklich in<lb/>
die Unterscheidungsjahre treten wird, sondern — in so<lb/>
viel Zeit von jezt an, als in fernster Zukunft einst zwi-<lb/>
schen der Geburt des Messias und seiner ersten Entwicke-<lb/>
lung vergehen wird, also ungefähr in drei Jahren. Wel-<lb/>
che abenteuerliche Vermengung der Zeiten! Ein Kind soll<lb/>
geboren werden in ferner Zukunft, und was nun gesche-<lb/>
hen soll, ehe dieses Kind in die Unterscheidungsjahre<lb/>
treten wird, das soll in die nächste Gegenwart fallen.</p><lb/><p>So entschieden aber <hirendition="#k">Paulus</hi> und seine Partei gegen<lb/><hirendition="#k">Hengstenberg</hi> und die Seinigen darin Recht hat, daſs sei-<lb/>
nem ursprünglichen Lokalsinn nach das Orakel des Jesaias<lb/>
auf gegebene Zeitverhältnisse, und nicht auf den künftigen<lb/>
Messias oder gar auf Jesus sich beziehe: ebenso entschie-<lb/>
den hat <hirendition="#k">Hengstenberg</hi> gegen <hirendition="#k">Paulus</hi> Recht, wenn er dar-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[146/0170]
Erster Abschnitt.
mit der Lage des Reichs schon besser anlassen, und bin-
nen dreier Jahre etwa wird die Gefahr verschwunden sein.
So viel ist in jedem Falle durch die neuere Auslegung zur
Evidenz gebracht, daſs nur ein Zeichen aus der Gegen-
wart und nächsten Zukunft in den Verhältnissen, wie sie
die Einleitung zu dem Orakel des Jesaias angiebt, einen
Sinn haben konnte. Wie unpassend ist die prophetische
Rede nach der Deutung Hengstenberg's 4): so gewiſs der-
einst noch der Messias unter dem Bundesvolke von einer
Jungfrau geboren werden wird, so unmöglich ist es, daſs
das Volk, unter welchem er geboren werden und die Fa-
milie, von welcher er abstammen soll, zu Grunde gehe.
Wie übel berechnet von dem Propheten, die Unwahrschein-
lichkeit der nahen Rettung durch eine gröſsere Unwahr-
scheinlichkeit aus der fernen Zukunft wahrscheinlich ma-
chen zu wollen! Und dann vollends der gegebene Termin
von wenigen Jahren! Der Sturz der beiden Königreiche,
deutet hier Hengstenberg, soll erfolgen, — nicht in der
Zeit bis nun demnächst der bezeichnete Knabe wirklich in
die Unterscheidungsjahre treten wird, sondern — in so
viel Zeit von jezt an, als in fernster Zukunft einst zwi-
schen der Geburt des Messias und seiner ersten Entwicke-
lung vergehen wird, also ungefähr in drei Jahren. Wel-
che abenteuerliche Vermengung der Zeiten! Ein Kind soll
geboren werden in ferner Zukunft, und was nun gesche-
hen soll, ehe dieses Kind in die Unterscheidungsjahre
treten wird, das soll in die nächste Gegenwart fallen.
So entschieden aber Paulus und seine Partei gegen
Hengstenberg und die Seinigen darin Recht hat, daſs sei-
nem ursprünglichen Lokalsinn nach das Orakel des Jesaias
auf gegebene Zeitverhältnisse, und nicht auf den künftigen
Messias oder gar auf Jesus sich beziehe: ebenso entschie-
den hat Hengstenberg gegen Paulus Recht, wenn er dar-
4) Christologie des A. T.s 1, b, S. 47.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/170>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.