Engelerscheinung im Traum, wie er sie giebt, leichter na- türlich erklären lasse; vom supranaturalistischen aber die des Lukas, weil die Art, wie hier dem Verdachte gegen die heilige Jungfrau zuvorgekommen wird, gotteswürdiger sei: allein ein solches Abwägen eines Berichts gegen den andern in Bezug auf historische Glaubwürdigkeit hat auf dem Standpunkt, welchen man mit dem Aufgeben ihrer Vereinbarkeit betritt, eigentlich keine Stelle mehr. Denn nach äusserer wie innerer Beschaffenheit sehen sich die bei- den Erzählungen so ähnlich, dass ohne höchste Inconsequenz nicht die eine als historisch aufgegeben, die andre fest- gehalten werden kann, sondern, was der einen Recht ist, muss der andern billig sein. Beide stehen in kanonischen Evangelien ohne gegründeten Verdacht der Unächtheit; beide haben den Zweck, Jesum als übernatürlich Erzeug- ten darzustellen; beide thun diess durch die Erscheinung und Botschaft eines Engels: wo wäre hier das unterschei- dende Kriterium, die eine zu verwerfen, die andre aber festzuhalten? Nein, wenn nicht beide historisch richtig sein können: so ist es weder die eine noch die andre, und wir sehen uns auch hier mit Nothwendigkeit auf den mythischen Standpunkt versezt.
Auf diesem fallen dann auch von selbst die verschie- denen Deutungen weg, welche man, namentlich von Sei- ten natürlicher Erklärer, von den beiden Engelerscheinun- gen zu geben versucht hat. Wenn Paulus die Erscheinung bei Matthäus für einen natürlichen Traum erklärt, bewirkt durch die vorangegangne Mittheilung der Maria über die ihr zu Theil gewordene Verkündigung, von welcher Joseph gewusst haben müsse, weil sich nur daraus erkläre, wie er sich im Traume ganz ähnliche Worte könne sagen las- sen, als früher der Engel der Maria gesagt hatte 10): so beweist vielmehr gerade diese Ähnlichkeit der Worte des
10) a. a. O. S. 146.
Drittes Kapitel. §. 20.
Engelerscheinung im Traum, wie er sie giebt, leichter na- türlich erklären lasse; vom supranaturalistischen aber die des Lukas, weil die Art, wie hier dem Verdachte gegen die heilige Jungfrau zuvorgekommen wird, gotteswürdiger sei: allein ein solches Abwägen eines Berichts gegen den andern in Bezug auf historische Glaubwürdigkeit hat auf dem Standpunkt, welchen man mit dem Aufgeben ihrer Vereinbarkeit betritt, eigentlich keine Stelle mehr. Denn nach äusserer wie innerer Beschaffenheit sehen sich die bei- den Erzählungen so ähnlich, daſs ohne höchste Inconsequenz nicht die eine als historisch aufgegeben, die andre fest- gehalten werden kann, sondern, was der einen Recht ist, muſs der andern billig sein. Beide stehen in kanonischen Evangelien ohne gegründeten Verdacht der Unächtheit; beide haben den Zweck, Jesum als übernatürlich Erzeug- ten darzustellen; beide thun dieſs durch die Erscheinung und Botschaft eines Engels: wo wäre hier das unterschei- dende Kriterium, die eine zu verwerfen, die andre aber festzuhalten? Nein, wenn nicht beide historisch richtig sein können: so ist es weder die eine noch die andre, und wir sehen uns auch hier mit Nothwendigkeit auf den mythischen Standpunkt versezt.
Auf diesem fallen dann auch von selbst die verschie- denen Deutungen weg, welche man, namentlich von Sei- ten natürlicher Erklärer, von den beiden Engelerscheinun- gen zu geben versucht hat. Wenn Paulus die Erscheinung bei Matthäus für einen natürlichen Traum erklärt, bewirkt durch die vorangegangne Mittheilung der Maria über die ihr zu Theil gewordene Verkündigung, von welcher Joseph gewuſst haben müsse, weil sich nur daraus erkläre, wie er sich im Traume ganz ähnliche Worte könne sagen las- sen, als früher der Engel der Maria gesagt hatte 10): so beweist vielmehr gerade diese Ähnlichkeit der Worte des
10) a. a. O. S. 146.
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Drittes Kapitel. §. 20.
Engelerscheinung im Traum, wie er sie giebt, leichter na-
türlich erklären lasse; vom supranaturalistischen aber die
des Lukas, weil die Art, wie hier dem Verdachte gegen
die heilige Jungfrau zuvorgekommen wird, gotteswürdiger
sei: allein ein solches Abwägen eines Berichts gegen den
andern in Bezug auf historische Glaubwürdigkeit hat auf
dem Standpunkt, welchen man mit dem Aufgeben ihrer
Vereinbarkeit betritt, eigentlich keine Stelle mehr. Denn
nach äusserer wie innerer Beschaffenheit sehen sich die bei-
den Erzählungen so ähnlich, daſs ohne höchste Inconsequenz
nicht die eine als historisch aufgegeben, die andre fest-
gehalten werden kann, sondern, was der einen Recht ist,
muſs der andern billig sein. Beide stehen in kanonischen
Evangelien ohne gegründeten Verdacht der Unächtheit;
beide haben den Zweck, Jesum als übernatürlich Erzeug-
ten darzustellen; beide thun dieſs durch die Erscheinung
und Botschaft eines Engels: wo wäre hier das unterschei-
dende Kriterium, die eine zu verwerfen, die andre aber
festzuhalten? Nein, wenn nicht beide historisch richtig
sein können: so ist es weder die eine noch die andre,
und wir sehen uns auch hier mit Nothwendigkeit auf den
mythischen Standpunkt versezt.
Auf diesem fallen dann auch von selbst die verschie-
denen Deutungen weg, welche man, namentlich von Sei-
ten natürlicher Erklärer, von den beiden Engelerscheinun-
gen zu geben versucht hat. Wenn Paulus die Erscheinung
bei Matthäus für einen natürlichen Traum erklärt, bewirkt
durch die vorangegangne Mittheilung der Maria über die
ihr zu Theil gewordene Verkündigung, von welcher Joseph
gewuſst haben müsse, weil sich nur daraus erkläre, wie
er sich im Traume ganz ähnliche Worte könne sagen las-
sen, als früher der Engel der Maria gesagt hatte 10): so
beweist vielmehr gerade diese Ähnlichkeit der Worte des
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/165>, abgerufen am 23.11.2024.
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