Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweites Kapitel. §. 17.
und durch Maria ein Enkel des Eli 20). Indem man hie-
gegen einwenden kann, dass die Juden bei ihren Genea-
logieen auf die weibliche Linie keine Rücksicht zu neh-
men pflegten 21): so kommt hier die weitere Hypothese
zu Hülfe, dass Maria eine Erbtochter, d. h. die Tochter
eines söhnelosen Vaters gewesen, in welchem Falle es nach
4. Mos. 36, 6. und Nehem. 7, 63. die jüdische Sitte mit
sich gebracht habe, dass der Mann, den eine solche Toch-
ter ehlichte, nicht nur aus demselben Stamme mit ihr sein
musste, sondern sich auch in ihr Geschlecht aufnehmen
liess, und somit ihre Vorfahren zu den seinigen machte.
Allein nur das Erstere ist aus der mosaischen Stelle er-
weislich, wogegen aus der andern in Vergleichung mit
mehreren ähnlichen (Esra 2, 61. 4. Mos. 32, 41. vergl.
mit 1. Chron. 2, 21. f.) nur so viel erhellt, dass ausnahms-
weise bisweilen Einer nach den mütterlichen Vorfahren be-
nannt wurde. Indem so die Schwierigkeit wegen der jü-
dischen Sitte bleibt, so tritt sie doch ganz zurück hinter
einer ungleich bedeutenderen. Wenn es nämlich gleich
nicht geleugnet werden kann, dass das bei Lukas zu sup-
plirende uios nach dem Hebräischen auch Schwiegersohn
oder Enkel bedeuten könnte, so dürfte doch der Zusammen-
hang nicht so entschieden dagegen sein, wie hier. Etlich
und 70mal deutet in dieser Genealogie das tou den eigentli-
chen Sohn an: wie könnte es das Einemal bei Joseph
den Schwiegersohn bezeichnen 22)? oder wie gar nach
Andern das durchaus im Nominativ zu supplirende uios
in immer steigender Progression: Sohn, Enkel, Uren-
kel, bis zum entferntesten Abkömmling hin? Beruft man
sich auf das Adam tou theou, wo das tou auch nicht Sohn im

20) So z. B. Lightfoot horae p. 750.
21) Vgl. Juchasin f. 55, 2. bei Lightfoot S. 183. und Bava bathra
f. 110, 2. bei Wetstein S. 230 f.
22) Vergl. die Bemerkung Wetstein's zu Luc. 3, 23.

Zweites Kapitel. §. 17.
und durch Maria ein Enkel des Eli 20). Indem man hie-
gegen einwenden kann, daſs die Juden bei ihren Genea-
logieen auf die weibliche Linie keine Rücksicht zu neh-
men pflegten 21): so kommt hier die weitere Hypothese
zu Hülfe, daſs Maria eine Erbtochter, d. h. die Tochter
eines söhnelosen Vaters gewesen, in welchem Falle es nach
4. Mos. 36, 6. und Nehem. 7, 63. die jüdische Sitte mit
sich gebracht habe, daſs der Mann, den eine solche Toch-
ter ehlichte, nicht nur aus demselben Stamme mit ihr sein
muſste, sondern sich auch in ihr Geschlecht aufnehmen
lieſs, und somit ihre Vorfahren zu den seinigen machte.
Allein nur das Erstere ist aus der mosaischen Stelle er-
weislich, wogegen aus der andern in Vergleichung mit
mehreren ähnlichen (Esra 2, 61. 4. Mos. 32, 41. vergl.
mit 1. Chron. 2, 21. f.) nur so viel erhellt, daſs ausnahms-
weise bisweilen Einer nach den mütterlichen Vorfahren be-
nannt wurde. Indem so die Schwierigkeit wegen der jü-
dischen Sitte bleibt, so tritt sie doch ganz zurück hinter
einer ungleich bedeutenderen. Wenn es nämlich gleich
nicht geleugnet werden kann, daſs das bei Lukas zu sup-
plirende υἱὸς nach dem Hebräischen auch Schwiegersohn
oder Enkel bedeuten könnte, so dürfte doch der Zusammen-
hang nicht so entschieden dagegen sein, wie hier. Etlich
und 70mal deutet in dieser Genealogie das τοῦ den eigentli-
chen Sohn an: wie könnte es das Einemal bei Joseph
den Schwiegersohn bezeichnen 22)? oder wie gar nach
Andern das durchaus im Nominativ zu supplirende υἱὸς
in immer steigender Progression: Sohn, Enkel, Uren-
kel, bis zum entferntesten Abkömmling hin? Beruft man
sich auf das Ἀδὰμ τοῦ ϑεοῦ, wo das τοῦ auch nicht Sohn im

20) So z. B. Lightfoot horae p. 750.
21) Vgl. Juchasin f. 55, 2. bei Lightfoot S. 183. und Bava bathra
f. 110, 2. bei Wetstein S. 230 f.
22) Vergl. die Bemerkung Wetstein's zu Luc. 3, 23.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0149" n="125"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweites Kapitel</hi>. §. 17.</fw><lb/>
und durch Maria ein Enkel des Eli <note place="foot" n="20)">So z. B. <hi rendition="#k">Lightfoot</hi> horae p. 750.</note>. Indem man hie-<lb/>
gegen einwenden kann, da&#x017F;s die Juden bei ihren Genea-<lb/>
logieen auf die weibliche Linie keine Rücksicht zu neh-<lb/>
men pflegten <note place="foot" n="21)">Vgl. Juchasin f. 55, 2. bei <hi rendition="#k">Lightfoot</hi> S. 183. und Bava bathra<lb/>
f. 110, 2. bei <hi rendition="#k">Wetstein</hi> S. 230 f.</note>: so kommt hier die weitere Hypothese<lb/>
zu Hülfe, da&#x017F;s Maria eine Erbtochter, d. h. die Tochter<lb/>
eines söhnelosen Vaters gewesen, in welchem Falle es nach<lb/>
4. Mos. 36, 6. und Nehem. 7, 63. die jüdische Sitte mit<lb/>
sich gebracht habe, da&#x017F;s der Mann, den eine solche Toch-<lb/>
ter ehlichte, nicht nur aus demselben Stamme mit ihr sein<lb/>
mu&#x017F;ste, sondern sich auch in ihr Geschlecht aufnehmen<lb/>
lie&#x017F;s, und somit ihre Vorfahren zu den seinigen machte.<lb/>
Allein nur das Erstere ist aus der mosaischen Stelle er-<lb/>
weislich, wogegen aus der andern in Vergleichung mit<lb/>
mehreren ähnlichen (Esra 2, 61. 4. Mos. 32, 41. vergl.<lb/>
mit 1. Chron. 2, 21. f.) nur so viel erhellt, da&#x017F;s ausnahms-<lb/>
weise bisweilen Einer nach den mütterlichen Vorfahren be-<lb/>
nannt wurde. Indem so die Schwierigkeit wegen der jü-<lb/>
dischen Sitte bleibt, so tritt sie doch ganz zurück hinter<lb/>
einer ungleich bedeutenderen. Wenn es nämlich gleich<lb/>
nicht geleugnet werden kann, da&#x017F;s das bei Lukas zu sup-<lb/>
plirende <foreign xml:lang="ell">&#x03C5;&#x1F31;&#x1F78;&#x03C2;</foreign> nach dem Hebräischen auch Schwiegersohn<lb/>
oder Enkel bedeuten könnte, so dürfte doch der Zusammen-<lb/>
hang nicht so entschieden dagegen sein, wie hier. Etlich<lb/>
und 70mal deutet in dieser Genealogie das <foreign xml:lang="ell">&#x03C4;&#x03BF;&#x1FE6;</foreign> den eigentli-<lb/>
chen Sohn an: wie könnte es das Einemal bei Joseph<lb/>
den Schwiegersohn bezeichnen <note place="foot" n="22)">Vergl. die Bemerkung <hi rendition="#k">Wetstein</hi>'s zu Luc. 3, 23.</note>? oder wie gar nach<lb/>
Andern das durchaus im Nominativ zu supplirende <foreign xml:lang="ell">&#x03C5;&#x1F31;&#x1F78;&#x03C2;</foreign><lb/>
in immer steigender Progression: Sohn, Enkel, Uren-<lb/>
kel, bis zum entferntesten Abkömmling hin? Beruft man<lb/>
sich auf das <foreign xml:lang="ell">&#x1F08;&#x03B4;&#x1F70;&#x03BC; &#x03C4;&#x03BF;&#x1FE6; &#x03D1;&#x03B5;&#x03BF;&#x1FE6;</foreign>, wo das <foreign xml:lang="ell">&#x03C4;&#x03BF;&#x1FE6;</foreign> auch nicht Sohn im<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[125/0149] Zweites Kapitel. §. 17. und durch Maria ein Enkel des Eli 20). Indem man hie- gegen einwenden kann, daſs die Juden bei ihren Genea- logieen auf die weibliche Linie keine Rücksicht zu neh- men pflegten 21): so kommt hier die weitere Hypothese zu Hülfe, daſs Maria eine Erbtochter, d. h. die Tochter eines söhnelosen Vaters gewesen, in welchem Falle es nach 4. Mos. 36, 6. und Nehem. 7, 63. die jüdische Sitte mit sich gebracht habe, daſs der Mann, den eine solche Toch- ter ehlichte, nicht nur aus demselben Stamme mit ihr sein muſste, sondern sich auch in ihr Geschlecht aufnehmen lieſs, und somit ihre Vorfahren zu den seinigen machte. Allein nur das Erstere ist aus der mosaischen Stelle er- weislich, wogegen aus der andern in Vergleichung mit mehreren ähnlichen (Esra 2, 61. 4. Mos. 32, 41. vergl. mit 1. Chron. 2, 21. f.) nur so viel erhellt, daſs ausnahms- weise bisweilen Einer nach den mütterlichen Vorfahren be- nannt wurde. Indem so die Schwierigkeit wegen der jü- dischen Sitte bleibt, so tritt sie doch ganz zurück hinter einer ungleich bedeutenderen. Wenn es nämlich gleich nicht geleugnet werden kann, daſs das bei Lukas zu sup- plirende υἱὸς nach dem Hebräischen auch Schwiegersohn oder Enkel bedeuten könnte, so dürfte doch der Zusammen- hang nicht so entschieden dagegen sein, wie hier. Etlich und 70mal deutet in dieser Genealogie das τοῦ den eigentli- chen Sohn an: wie könnte es das Einemal bei Joseph den Schwiegersohn bezeichnen 22)? oder wie gar nach Andern das durchaus im Nominativ zu supplirende υἱὸς in immer steigender Progression: Sohn, Enkel, Uren- kel, bis zum entferntesten Abkömmling hin? Beruft man sich auf das Ἀδὰμ τοῦ ϑεοῦ, wo das τοῦ auch nicht Sohn im 20) So z. B. Lightfoot horae p. 750. 21) Vgl. Juchasin f. 55, 2. bei Lightfoot S. 183. und Bava bathra f. 110, 2. bei Wetstein S. 230 f. 22) Vergl. die Bemerkung Wetstein's zu Luc. 3, 23.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/149
Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/149>, abgerufen am 24.11.2024.